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Wahlkampf 2013 - Warum die CDU der SPD die Themen klaut

Die SPD ist empört, auch die Union will jetzt den Anstieg der Mieten begrenzen. Während die SPD noch "Haltet den Dieb" schreit, wiederentdeckt die CDU ihr soziales Gewissen, erinnert sich an Themen, die sie einst stark gemacht hat

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Das ist ja wirklich gemein. Seit Jahren explodieren die Mieten in den großen deutschen Städten, viele Menschen fragen sich, ob sie in Zukunft noch ihre Miete bezahlen können. Viele von ihnen gehen mittlerweile auf die Straße. Und was machen die CDU und CSU? Die schreiben scheinbar völlig überraschend in ihr Wahlprogramm, sie wollen den Anstieg der Mieten bei Neuvermietung begrenzen. Und weil die Christdemokraten nun schon mal dabei sind, wollen sie in den kommenden Legislaturperioden auch noch eine Milliarde Euro investieren, um Schlaglöcher auf Straßen zu beseitigen, Schulen zu sanieren und das schnelle Internet aufs Land zu bringen. Außerdem wollen sie mehr Geld für Kinder und Mütterrenten ausgeben. 28,5 Milliarden sollen die Wahlversprechen der Union kosten, enthüllt das Handelsblatt.

Die Opposition ist empört. Als unseriös geißelt der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin die Wahlversprechen der Kanzlerin, weil sie doch zugleich einen ausgeglichenen Haushalt bis zum Jahr 2015 versprochen habe. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Joachim Poß kürt Merkel gar zur „Schuldenpäpstin“. Dabei ist die SPD vor allem beleidigt, weil die Union mal wieder programmatisch im sozialdemokratischen Vorgarten wildert und mal wieder wittert sie „Themenklau“. Was fällt der Kanzlerin eigentlich ein.

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Der Wahlkampf kommt langsam auf Touren, die Empörungsrituale werden schriller. Sieht man allerdings erstens davon ab, dass die CDU die meisten dieser vermeintlich im kleinen Kreis ausgekungelten Wahlversprechen schon im Dezember vergangenen Jahres auf ihrem Parteitag in Hannover beschlossen hat. Sieht man zweitens davon ab, dass die Wahlversprechen der Opposition wesentlich teurer und noch unseriöser sind. Und sieht man drittens davon ab, dass die Union mit ihrem Mietenversprechen einmal mehr erfolgreich auf Distanz zur FDP geht, dann offenbaren die Wahlkampfpläne der CDU vor allem eines, die CDU bereitet ihren Wahlkampf sehr viel professioneller vor als die SPD.

Die SPD hat erst die Kür ihres Kanzlerkandidaten verpatzt, dann nur mit einiger Mühe und jeder Menge innerparteilichem Streit ein Programm verabschiedet, das zu Peer Steinbrück passt. Schließlich hat der Kandidat in den letzten Wochen ein Kompetenzteam präsentiert, das im Wesentlichen aus genauso grauen wie verdienten Genossen besteht und das vor allem kollektives Gähnen provoziert. Kein Wunder, dass die Union in allen Umfragen besser dasteht und die Kanzlerin in den letzten Monaten in allen Beliebtheitsumfragen gegenüber ihrem Herausforderer deutlich zugelegt hat.

Die CDU hingegen hat offenbar in aller Ruhe und in großer Gelassenheit ihren Wahlkampf vorbereitet. Man möchte fast wetten, dass die Partei bis zum Parteitag am 23. Juni ihre Wahlversprechen auch noch mit einem Finanzierungskonzept unterlegt.

Natürlich hat es die CDU einfacher. Sie startet mit viel Rückenwind in den Wahlkampf. Die Kanzlerin ist  beim Wahlvolk weit über die Anhängerschaft der Union hinaus beliebt. Selbst von der eurokritischen Partei „Alternative für Deutschland“, die versucht, in konservativen Gefilden zu wildern, lässt sie sich bislang nicht nervös machen. Die Parole heißt nicht starkreden, sondern totschweigen. Hinzu kommt, die CDU war nie eine Programmpartei. Ihr erstes Grundsatzprogramm verabschiedete sie erst 1978, 28 Jahre nach ihrer Gründung. Die CDU ist stattdessen eine Machtmaschine. Solange die Christdemokraten davon ausgehen können, dass sie an der Macht bleiben, murren sie kaum. Zwar mahnen einzelne Christdemokraten gelegentlich, die CDU dürfen nicht ihre konservative Basis verprellen, auch Merkels Eurorettungskurs hat Gegner. Doch im Vergleich dazu, was in der SPD los ist, wenn die eigene Regierung hehre Prinzipien der Sozialdemokratie verletzt, sind alle konservativen Kritiker der Kanzlerin kreuzbrav.

Zudem ist es mitnichten so, dass der CDU Forderungen wie Lohnuntergrenze und Mietpreisbremse völlig fremd sind. Zwar kommen die familienpolitischen Forderungen eher altbacken und fantasielos daher. Die Erhöhung des Grundfreibetrages und die Erhöhung des Kindergeldes gehören nicht zu einer modernen Familienpolitik, um die Entwicklung eines Familiensplittings drückt sich die Partei herum.

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Aber vor allem scheint es so, als besinnen sich die Christdemokraten auf ihre alten sozialen Wurzeln. Diese Forderungen bedeuten, anders als die Abkehr von der Atomkraft oder der Wehrpflicht, keinen Bruch mit dem traditionellen Wertefundament. Die CDU stand in ihrer erfolgreichen Geschichte schließlich nicht nur für Westintegration, sondern auch für Montanmitbestimmung, nicht nur für Antikommunismus, sondern auch für dynamische Renten. Sie wurde nicht nur von Alfred Dregger und Karl Carstens repräsentiert, sondern auch von Heiner Geißler, Rita Süssmuth und vor allem Norbert Blüm. Die CDU konnte die Politik der alten Bundesrepublik nur deshalb so dominieren, weil es erst Adenauer und dann Kohl gelang, die Konservativen mit den Anhängern der christlichen Soziallehre zu versöhnen. 

In den Nuller-Jahren hatte die CDU zeitweise ihre sozialen Wurzeln gekappt und sich ganz dem Marktradikalismus verschrieben. Auf dem Leipziger Parteitag 2003 wurde der Herz-Jesu-Marxist Norbert Blüm sogar ausgepfiffen. Aber diesen Fehler, der ihr den Wahlsieg 2005 kostete, hat die CDU längst korrigiert. Von radikalen oder gar neoliberalen Reformen in der Sozialpolitik will Merkel schon lange nichts mehr wissen. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen wandelt erfolgreich auf den Spuren ihres legendären Vorgängers.

Das Problem der CDU sind nicht Mindestlohn, Kindergeld und Mietobergrenzen. Das Problem der CDU sind nicht ein paar sozialpolitische Forderungen im Bundestagswahlprogramm. Das Problem der CDU ist ihr erodiertes konservative Wertefundament, ein Euro, an dem immer mehr Deutsche zweifeln sowie eine Energiewende, die nicht vorankommt. Doch solange die CDU regiert und die Kanzlerin so beliebt ist, solange kann sie diese Probleme verdrängen. Die CDU muss sich erst ernsthaft um ihre Zukunft sorgen, wenn die christdemokratische Machtmaschine stottert. Doch dreieinhalb Monate vor der Bundestagwahl läuft diese wie geschmiert. Vielleicht ist die SPD ja deshalb so nervös und schimpft so lautstark über den Themenklau.

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