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Vorratsdaten - Prism verunsichert die Union

 Unter dem Eindruck der Abhöraffäre des US-Geheimdienstes Prism ist „Vorratsdatenspeicherung“ zum Unwort geworden. Die Union hat das offenbar erkannt. Gibt sie das Vorhaben auf?

Autoreninfo

Robert Birnbaum ist Redakteur im Ressort Politik beim Tagesspiegel

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Das Signal zum Beidrehen kam von ganz oben. Vor zehn Tagen war Horst Seehofer von der FDP als Festredner geladen. Zu feiern waren 150 Jahre Liberalismus in Bayern, und der CSU-Chef und Ministerpräsident fand ganz ungewöhnlich lobende Worte: Die unbeugsame Haltung der Landeschefin und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Vorratsdatenspeicherung nötige ihm „Respekt“ ab. Die Bemerkung fiel damals nicht weiter auf, zumal man bei Seehofer selten weiß, ob er solche Art Belobigung ernst meint oder eher spöttisch. Aber Seehofer hätte viele Beispiele finden können, um Leutheussers Liberalismus zu loben – und nicht ausgerechnet den zähesten und massivsten Streitpunkt zwischen der FDP-Ministerin und CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich.

Jetzt hat die CSU-Führung die Deutung nachgeliefert: Der Satz war taktisch ernst gemeint. Angesichts der Empörung über amerikanische und sonstige Lauschangriffe will der Instinktpolitiker Seehofer seine CSU ein Stück weg vom harten Sheriff-Image schieben. Die Vorratsdatenspeicherung bleibt Programm. Aber sie soll nicht mehr vorne stehen. In mildem Licht erscheinen soll eine CSU, die sich um die Bürgerrechte mindestens so sehr bekümmert wie um die Terroristenjagd.

Rückt die Union tatsächlich von der Vorratsdatenspeicherung ab?
Das Problem ist, dass alle anderen in der Union von dem abrupten Münchner Imagewechsel überrascht wurden, über den seit Freitag früh viele Medien berichteten. Profilierte Innenpolitiker wussten von nichts, selbst Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich erwischte der Vorstoß aus der eigenen Führungsetage kalt. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bestritt erst mal alles, was er las oder zu lesen glaubte.

Doch im Laufe des Tages musste auch er einräumen, dass die gesamte Unionsführung schon länger unauffällig an dieser Imagewende arbeitet. Auslöser war die erregte Debatte um das US-Spionageprogramm „Prism“. Sie fiel in die Phase, in der die Generalsekretäre von CDU und CSU das gemeinsame Wahlprogramm abstimmten. Seehofer warnte schon damals in kleiner Runde, das Thema treibe auch die bürgerliche Mitte um; man müsse über die richtige Balance bei der Datenspeicherung noch einmal nachdenken.

Gröhe und sein CSU-Kollege Alexander Dobrindt fanden daraufhin eine weiche Formel für das Wahlprogramm, die Hintertüren offen lässt. Sie war mit Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel abgestimmt, Friedrich war ebenfalls eingebunden. Das böse Wort „Vorratsdatenspeicherung“ kommt in dem kurzen Absatz nicht vor, stattdessen der technisch anmutende Begriff „Mindestspeicherfristen“. Und vor allem steht die beruhigende Versicherung: „Der Staat muss persönliche Kommunikationsdaten der Menschen schützen.“

Das ist weit entfernt von der Sprache, mit der die Union bisher gußeisern darauf beharrt hatte, dass sich Terroristen nur wirksam bekämpfen lassen, wenn die Verbindungsdaten des gesamten Telefon- und Mailverkehrs aufbewahrt und Verdächtigen auf diese Weise nachträglich nachgespürt werden kann. Wenn Friedrich die neue Wortwahl jetzt damit verteidigt, „Mindestspeicherfrist“ erkläre viel besser und präziser, um was es gehe, glaubt er das vermutlich selbst nicht.

 

 

Es geht um das Speichern von Telekommunikationsdaten auf Vorrat, um damit schwere Straftaten aufklären zu können. Unter Telekommunikationsdaten versteht man nicht den Inhalt von Telefongesprächen, SMS oder Mail, aber die Verbindungsdaten, also beispielsweise die Telefonnummer des Anrufers und Empfängers, Datum und Uhrzeit der Kommunikation aber auch IP-Adressen von Computern. Anbieter von Telekommunikationsdiensten sollen verpflichtet werden, diese Daten auf Vorrat zu speichern.

Hintergrund ist eine EU-Richtlinie, die eine Art unendliche Geschichte ist. 2002 wurde sie erstmals ernsthaft erwogen und konzipiert. Damals war noch von 12 Monaten Speicherfrist die Rede. In der Folge gab es immer mal wieder Abschwächungen oder Verschärfungen der Regel – je nach Mehrheitsverhältnis und Bedrohungslage. Die nun vorliegende EU-Richtlinie stammt aus dem Jahr 2006 und sieht eine Mindestspeicherzeit von sechs Monaten und eine maximale Speicherzeit von zwei Jahren vor. Doch auch an dieser Richtlinie gibt es seit ihrem Inkrafttreten Kritik. So geht sie den Gegnern der Vorratsdatenspeicherung zu weit – die Fristen seien zu lang und der Rahmen zu breit, weil es nicht allein um Terrorismusbekämpfung gehe, sondern insgesamt um Ermittlung und Verfolgung von schweren Straftaten. Es ist aber nicht zu erwarten, dass es in Brüssel noch vor der Bundestagswahl eine neue Richtlinie geben wird.

Deutschland ist verpflichtet, diese Richtlinie umzusetzen. Deshalb hat die große Koalition 2007 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das eine Speicherfrist von mindestens sechs Monaten und maximal sieben vorsah. Dagegen gab es Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht – unter anderem von der jetzigen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Und das Gericht erklärte das Gesetz für verfassungswidrig. Alle gespeicherten Daten mussten gelöscht werden. Zwar argumentierte das Gericht, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht grundsätzlich unvereinbar mit dem Grundgesetz sei, aber als Voraussetzung wurde gefordert, dass die Daten nur dezentral gespeichert und mit besonderen Maßnahmen gesichert würden. Seitdem streiten Justizministerin und Innenminister über eine Neuregelung.

Wie geht es nun weiter?
Deutschland hat wegen des Streits eine entsprechende Frist zur Umsetzung der EU-Richtlinie verstreichen lassen, weshalb die EU-Kommission Ende Mai 2012 Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einreichte. Dieser verhandelt nun am kommenden Dienstag den Fall. Ein Urteil wird es aber kommende Woche noch nicht geben. Sollte das Gericht eine Vertragsverletzung feststellen, droht der Bundesrepublik für jeden Tag, an dem die Richtlinie nicht in deutsches Recht umgewandelt ist, eine Strafzahlung in Höhe von rund 300 000 Euro.

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