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(picture alliance) Rauchen solange man kann: Helmut Schmidt auf dem Bundesparteitag der SPD.

EU-Tabakrichtlinie - Von Helmut Schmidt und richtigen Lobbyisten

Die Europäische Kommission hat eine Tabakrichtlinie in der Pipeline, die Lobbyisten das Fürchten lehrt. Auch Helmut Schmidt dürfte sie nicht gefallen

Drei Punker lümmeln in der Bahn herum. Einer zieht eine Zigarette aus der Tasche und dreht sie zwischen den Fingern. Da spricht sein Kollege unter rot-verzotteltem Haar hervor: „Nee, nicht hier.“ Ob die Situation ähnlich war, in der sich Altbundeskanzler Helmut Schmidt vor einiger Zeit befand, muss bezweifelt werden. Klar ist, Schmidt hatte keinen Kumpel dabei, der ihn davon abhielt, in der Bahn zu rauchen. Prompt erwischte ihn ein Kontrolleur: Der frühere Regierungschef musste Strafe zahlen, wie er neulich im Fernsehen erklärte.

Wenn Schmidt kommt, dann darf er rauchen. Das ist so, wenn der Alte in TV-Sendungen eingeladen wird, weil er da Gast ist und sonst nicht kommen würde. Und das ist so auf Bundesparteitagen wie am vergangenen Sonntag in der Messehalle des SPD-Parteitags in Hannover.

Der Punker in der Bahn ist natürlich eine andere Liga als der Altkanzler auf seinem Denkmalssockel. In Punkto Kant‘scher Imperativ aber ist ersterer klar im moralischen Vorteil. Seine Handlung könnte ohne weiteres zur Maxime einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit werden. Bei Schmidt dagegen können wir froh sein, dass er nicht mehr an den Hebeln der Macht sitzt.

Anders ist das bei Tonio Borg, dem neuen Verbraucherschutz- und Gesundheitskommissar der Europäischen Kommission. Die hat sich nach jahrelangen Grabenkämpfen nun endlich gegen die Tabaklobby durchgesetzt, der gar unmenschliche Kräfte nachgesagt werden.

Jüngstes Beispiel für diese Kräfte war Borgs Vorgänger John Dalli. Noch im Oktober trat Dalli von seinem Amt zurück. Der Vorwurf an ihn: Mit seinem Wissen soll Silvio Zammit, seines Zeichens maltesischer Unternehmer, für Dalli von der Tabakfirma Swedish Match einen hohen Geldbetrag gefordert haben – von 60 Millionen Euro ist die Rede, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Das Gegenversprechen lautete, Einfluss auf die geplante Tabakrichtlinie zu nehmen. Vor allem ging es um die Bewilligung eines Lutschtabaks, der bisher nur in Schweden erlaubt ist und von dessen Export man sich zusätzliche Einnahmen von 300 Millionen Euro erhofft habe. Zammit leugnet bis heute, Dalli spricht von einer Intrige der Tabaklobby.

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Nun aber lehrt eben diese neue Tabakrichtlinie die Zigarettenindustrie in der Vorweihnachtszeit das Fürchten. Auch wenn sie nicht der ganz große Wurf ist, wie bei demokratisch legitimierten, europäischen Prozessen so üblich: Dass die Richtlinie früher als erwartet kommt, ist eine klare Ansage an alle Tabaklobbyisten, die sich ob des neuen Kommissars in Stellung bringen. So sind die Anweisungen, die am kommenden Mittwoch vorgelegt werden sollen, denn auch unmissverständlich:

Glimmstängel mit sogenanntem charakterisierenden Geschmack soll es in Zukunft nicht mehr geben. Das beträfe auch Helmut Schmidts geliebte Mentholzigaretten. Die Schachteln würden künftig durch schockierende Ekel-Bilder von krebszerfressenden Lungen und blinden Augen verziert. Nur noch 35 Prozent der Verpackung wären für die Beschriftung vorgesehen. Typisch Brüssel: Der Durchmesser der Zigaretten soll auf eine Größe zwischen 7,5 bis 8,5 Millimeter festgelegt werden. Trotz dieses Zeichens von bizarrem Uniformitätsdrang muss der EU-Kommission gute Arbeit attestiert werden.

Denn es wird höchste Zeit, Initiative zu ergreifen. Ich schreibe das auch als ehemalige Raucherin, die in höchster Bedrängnis schwebt, ihrem Laster wieder anheim zu fallen. Der Abend in einer Raucherkneipe, die erste Weinschorle an einem lauen Frühlingsabend oder der letzte Schnaps im Morgengrauen – sie bergen Gefahr. Für den Weltgesundheitsbericht, die Global Burden of Disease Study 2010, hat gerade ein internationales Forscherteam, 486 Autoren aus 50 Nationen, die meisten Todesursachen der Welt ermittelt.

Fortschritte gibt es demnach bei der Lebenserwartung: Es sterben weniger Kinder unter fünf Jahren, Risikofaktoren wie Armut und Mangelernährung verlieren an Einfluss. Als größte Gesundheitsgefährder bleiben hoher Blutdruck, Alkohol – und das Rauchen.

Bei Helmut Schmidt natürlich ist das alles anders. Ihm raten die Ärzte, seinen nikotinbezogenen Lebensstil fortzusetzen, ansonsten drohe sein Stoffwechsel durchzudrehen. Das betont er immer wieder. Dass der Altkanzler also weiterrauchen wird, ist gewiss. Dass er damit seine Vorbildfunktion verwirkt, auch. Aufzubringen ist natürlich Verständnis für die Sucht eines alten Mannes. Seine Krankheit aber mit einem Coolnessfaktor zu versehen, ist schlicht blöde.

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