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Waffenlieferungen - „Es gibt keine deutsche Sondermoral“

Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) wünscht sich mehr deutsche Entschlossenheit bei der Waffenlieferung für Menschen in Not. Es dürfe keinen „moralischen Sonderweg“ geben, sagte er im Cicero-Online-Interview. Ein Bundestagsmandat sei für die Ausrüstung der Kurden im Irak nicht notwendig

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Herr Rühe, die Bundesregierung hat beschlossen: Es wird Waffenlieferungen an die Kurden geben. Ist diese Entscheidung richtig?
Rühe: Ja. Moral ist immer konkret, und dies ist die konkreteste Möglichkeit, weiteres Unheil zumindest zu begrenzen. Mit Hering in Champignonsauce wie in den ersten humanitären Hilfsflügen ist es nicht getan.

[[{"fid":"63351","view_mode":"copyright","type":"media","attributes":{"height":511,"width":345,"style":"height: 178px; width: 120px; margin: 5px 10px; float: left;","title":"Volker Rühe. Foto: picture alliance","class":"media-element file-copyright"}}]]Die Regierung hat sich von einem ausgesprochenen Nein zu einem klaren Ja in dieser Frage entwickelt. Ist das eine Kommunikationspanne oder mangelnde Regierungskunst, was wir in den letzten 10 Tagen erlebt haben?
Nein, ich glaube, dass die entscheidenden Akteure wirklich uneins waren und dass sie aber Lernfähigkeit bewiesen haben. Wahrscheinlich auch unter dem Eindruck dieser unglaublich emotionalen Bilder, die aus dem Nordirak gekommen sind, bis hin zur Hinrichtung des amerikanischen Journalisten James Foley. Aber wie auch immer, sie haben Lernfähigkeit bewiesen und ich hoffe, dass sie jetzt auch einen Leitfaden für zukünftige Entscheidungen gefunden haben.

Hat die Bundeswehr denn,  Sie waren Verteidigungsminister, das richtige Material? Es gab Berichte darüber, dass in Rede stehende Materialien wie beispielsweise die Nutzfahrzeuge Unimogs zu alt und nicht funktionsfähig sind.
Da hätte ich mir gewünscht, dass man sich vorher schlau gemacht hätte, welches Material man wirklich zur Verfügung hat. Aber ich denke, hier geht es im Kern um panzerbrechende Waffen, um die Ungleichheit zwischen den kurdischen Peschmerga und der IS zu beseitigen. Die sind in der Bundeswehr vorhanden. 

Wie viel Berechtigung hat das Argument der Skeptiker, die sagen: Man weiß am Ende des Tages nie, wo diese Waffen landen.
Das ist mit einem Risiko verbunden, ja. Das sieht man ja bei den Amerikanern, die Waffen an die irakische Armee gegeben haben. Aber dieses Risiko muss man in diesem Fall eingehen, um viele Menschenleben zu retten. Das ist eine Abwägungsfrage. Es gibt keine Entscheidung, die zu 100 Prozent richtig und total abgesichert ist. Und deswegen kann man diese Entscheidung so vertreten. Im Übrigen müssen wir uns an unseren Freunden und Verbündeten orientieren. Dann liegen wir nie so ganz falsch. Sie sehen, dass die Franzosen, die Engländer auch helfen.

Während Deutschland noch nachdachte und debattierte, flogen Frankreich und die USA schon Hilfsgüter und Angriffe. Es ist ein bisschen wie immer. Deutschland denkt nach und debattiert, andere handeln.
Ja, aber der Unterschied ist, dass man jetzt zu den gleichen Auffassungen gekommen ist. Ich hoffe, dass es jetzt das letzte Mal ist, dass man glaubt, hier einen moralischen Sonderweg zu finden. Denn das, was Amerikaner, Engländer, Franzosen, Italiener und auch die Tschechen tun, das orientiert sich an der Frage: Wie kann man konkret diese Menschen schützen? Es gibt keine deutsche Sondermoral.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel unterstützt eine restriktivere Rüstungsexportpolitik. Für seine Haltung musste er sich vor ein paar Tagen von Betriebsräten ordentlich einschenken lassen. Widerspricht diese Aktion jetzt der politischen Vorgabe von Gabriel?
Nein. Hier geht es nicht um kommerzielle Rüstungsexporte, sondern um Nothilfe für bedrohte Menschen. Was den kommerziellen Rüstungsexport angeht: Gabriel hat Recht, dass die Arbeitsplätze nicht das entscheidende Argument sein dürfen. Aber er übersieht, dass es eine Frage der Sicherheit für Deutschland und Europa ist, dass wir die wichtigsten Waffensysteme, die wir selbst brauchen, auch in Zukunft in Deutschland und Europa herstellen können. Dazu braucht es grundsätzlich auch Exporte. Es geht um die Sicherheit unseres Landes. Das sollte in der Debatte um die Rüstungsexporte von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen deutlich gemacht werden.

Peter Struck, einer Ihrer Nachfolger, hat einmal gesagt, die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt. Vor ein paar Tagen hat einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geschrieben, die Levante, also die Gegend, in der jetzt diese fürchterlichen Ereignisse stattfinden, betrifft uns mehr als Afghanistan. Welche dieser beiden Aussagen ist zutreffender?
Das mit dem Hindukusch stimmte nur eine kurze Zeit lang, als Al-Qaida dort eine wichtige Rolle spielte. Aber das ist schon zehn Jahre her. Es ist richtig: Was in Nordafrika und im Nahen Osten geschieht, das betrifft unsere Sicherheit viel direkter als das, was in Afghanistan geschieht. Unsere eigentlichen Sicherheitsinteressen liegen hier in Europa – die Sicherheit der Nato-Mitglieder, aber auch, was die Herausforderungen von der anderen Seite des Mittelmeeres angeht. Denen müssen wir uns stellen.

Im Zusammenhang mit den Waffenlieferungen an die Kurden rufen manche nach einem Mandat des Bundestags. Sie sind selbst Vorsitzender einer Kommission, die sich mit der Zukunft des Parlamentsvorbehalts befasst. Muss der Bundestag darüber abstimmen?
Die Rechtslage ist klar. Nur wenn Soldaten eingesetzt werden, ist ein Mandat des Bundestages notwendig. Dass es dazu eine Debatte im Parlament gibt, ist selbstverständlich in einer Demokratie. Ich bin aber völlig einverstanden damit, dass die Entscheidung selbst von der Regierung getroffen wird.

Das Interview führte Christoph Schwennicke.

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