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(picture alliance/Rainer Jensen) Unionsfraktionschef Volker Kauder beißt sich auch mal in schwarze Programmatik fest, um seine Kehrtwenden zu begründen

Porträt - Volker Kauder, wendig auf dem Hochseil

Volker Kauder ist loyal. Nur wem gegenüber, das wechselt - denn für ihn ist Politik das Betrachten der Wirklichkeit. Das Portrait eines wendigen Mannes.

Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität“, pflegt Volker Kauder zu sagen. „Nein“, korrigiert der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und wedelt mit dem Zeigefinger: „Ich sage: Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Ich benutze möglichst keine Fremdworte.“ Eben noch hat er entspannt mit übereinandergeschlagenen Beinen in seinem schwarzen Ledersessel gesessen. Jetzt ist er ruckartig, wie ein Fechter, nach vorne geschnellt, die Augen blitzen hinter der Brille, und er freut sich, dass er den Punkt gemacht hat. Wenn man ihn schon zitiert, dann bitte richtig.

Also gut: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit“, heißt der Satz. Und Kauder sagt ihn immer dann, wenn er eine Kehrtwende verteidigen oder erklären muss, warum eine Sache, die er als konservativer Politiker gestern noch für unverzichtbar gehalten hat, plötzlich doch verzichtbar ist. Die Kernenergie beispielsweise. Oder die Wehrpflicht. Er federt zurück und schaut verblüfft. Kehrtwenden? Welche Kehrtwenden?

Man kann sie nachlesen – in den Archiven. Über die Wehrpflicht sagte Kauder im Juni 2010, das sei „eine Frage, die in den Kernbereich unserer Programmatik als Union insgesamt hineinreicht“. Ein Jahr später, nachdem sie auf Betreiben des CSU-Ministers Guttenberg abgeschafft worden ist, ist sie plötzlich entbehrlich. Die Wehrpflicht, so wird Kauder zitiert, sei doch nicht Markenkern der Union.

Es gibt viele Beispiele seiner Wendigkeit. Anfangs strikt gegen Finanzhilfen für Griechenland, heute ebenso strikt dafür. Anfangs für, dann gegen die Brennelementesteuer. Als die Frage ansteht, um wie viele Jahre die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert werden solle, düpiert er Umweltminister Norbert Röttgen, der deutlich schneller aussteigen will. Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima gehört er dann mit der Kanzlerin zu den entschiedensten Gegnern der Atomkraft. Begründung: „Es gibt Ereignisse, nach denen die Welt anders aussieht als vorher. Ein solches Ereignis war auch der Reaktorunfall von Japan.“ Und ähnlich wie in der Wehrpflichtdebatte: Die Kernenergie habe „noch nie zum Wertefundament der Union“ gehört. „Das Wertefundament“, stellt er klar, „ist und bleibt das christliche Menschenbild.“

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Schon zu Zeiten der Großen Koalition musste sich Kauder als treuer Paladin einige wenig schmeichelhafte Beschreibungen gefallen lassen: Sie reichten von „ärmste Sau der Politik“ über „Muttis Liebling“ oder „Muttis Söhnchen“ bis „Merkels Voll­strecker“. Merkels Knecht nennen sie ihn heute noch, den Exekutor. Es ist ein wechselseitiges Treueverhältnis. Kauder hält ihr den Rücken frei und Merkel stützt ihn. „Sie hat mich noch nie überrascht“, sagt er. Andere wohl. Als ihm 2009 zugetragen wird, sein einst engster Mitarbeiter Norbert Röttgen schiele auf seinen Job, verbündet er sich mit Merkel gegen den CDU-Aufsteiger. Auf Ursula von der Leyen ist Kauder nicht gut zu sprechen: Er unterstellt ihr Kanzlerinnen-Ambitionen und bürstet sie öffentlich ab, wann immer sich die Gelegenheit ergibt – nicht auf Merkels Geheiß. Aber Merkel lässt ihn gewähren.

Als er noch Generalsekretär der baden-württembergischen CDU unter dem Landesvorsitzenden Erwin Teufel war, nannte er sich selbst stolz des „Teufels General“. Als Teufel jetzt die CDU-Vorsitzende kritisierte, weil sie dem „C“ zu wenig Beachtung schenke, war es Kauder, der ihn öffentlich zurechtwies. „Er ist ein Soldat“, sagt einer, der ihn gut kennt. „Treu, loyal, kameradschaftlich“ – und immer an Merkels Seite, von Kehrtwende zu Kehrtwende. „Wenn man in der Politik denkt, dass alles immer so läuft, wie man sich das vorgestellt hat, dann irrt man“, begründet er seine Schwenks. „Das Leben sieht anders aus. Auf neue Entwicklungen muss die Politik neue Antworten finden.“ Auf diese Weise kann man freilich alle Grundsätze über Bord werfen, wenn es die Lage erfordert.

Sein Freund, CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer, schätzt Kauders „totale Zuverlässigkeit“ ebenso wie die „Fähigkeit zur Selbstkontrolle und wenn notwendig zur Korrektur“. Wie sonst habe er es fertigbringen können, „sechs Jahre lang diesen Hochseilakt zwischen Kanzlerinnentreue und Erwartungen in der Fraktion“ zu vollziehen ohne abzustürzen.

Und es stimmt ja auch: Als Merkels reiner Vollstrecker hätte er bei den Wahlen zum Fraktionsvorsitzenden nicht jedes Mal 90 und mehr Prozent der Stimmen geholt. 2005 wäre er gerne Kanzleramtsminister geworden. Heute ist er heilfroh, dass ihm das Kanzleramt erspart blieb. Denn als Fraktionsvorsitzender hat er mehr Macht und Einfluss als jedes Kabinettsmitglied. 2005 stand er einmal mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden, seinem Freund Peter Struck im Konrad-Adenauer-Haus. Unten im Foyer verkündeten Angela Merkel und Franz Müntefering die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen. „Das hört sich ja alles ganz toll an, was die vorhaben“, sagte Struck. „Aber wissen die beiden da unten auch, dass ohne uns nichts geht?“ Darauf Kauder: „Wenn sie es jetzt nicht wissen, werden sie es noch lernen.“

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