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Völkermord-Debatte - Peinliches Rumeiern der Bundesregierung

Bei der Völkermord-Frage handelte die Bundesregierung in vorauseilendem Gehorsam – und knickte beinahe vor der Türkei ein. Dass sie sich doch noch besann, ist vor allem Joachim Gauck zu verdanken

Autoreninfo

Judith Hart ist Ressortleiterin Weltbühne bei Cicero

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Es ist, was es ist. Völkermord!

Beschäftigen wir uns mit den Tatsachen. Am 24. April 1915 ordnete der jungtürkische Innenminister Mehmet Talat Bey an, die führenden Vertreter der armenischen Gemeinschaft zu verhaften. Einen Monat später trat das „Gesetz über die Bevölkerungsumsiedelung“ in Kraft. Bis zum Kriegsende 1918 wurden weit über eine Million im Osmanischen Reich lebende Armenier aus ihren Häusern und Ortschaften verjagt, Tausende vergewaltigt, verstümmelt, erschlagen, Hunderttausende in Wüstengebiete getrieben, mit dem Ziel, sie verhungern und verdursten zu lassen.

Deutschland ist historisch mit diesen Ereignissen verbunden: Weil führende Militärs zusahen, ohne einzugreifen, und einige die Massaker an den Armeniern sogar befürworteten. Etwa Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, der den deutschen Botschafter in Konstantinopel wissen ließ: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“ Und auch, weil „Talat Pascha“ nach dem Krieg ins Berliner Exil ging und dort 1921 von einem Armenier erschossen wurde.

Für die Türken ist der Völkermord eine „Umsiedlung“


Einer der Beobachter des Prozesses gegen den Attentäter war der polnisch-jüdische Anwalt Rafael Lemkin. Er fasste angesichts des von Talat Pascha angeordneten Massenmordes an den Armeniern den Plan, eine international verankerte „Konvention gegen Genozid“ auf den Weg zu bringen. Was ihm allerdings erst nach dem Holocaust gelang, in dem Lemkin zahlreiche seiner Verwandten verlor.

Eine gezielte Vertreibung und Ermordung einer bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppe ist Völkermord und nichts anderes. Nur die Bundesregierung eierte herum und mied das böse Wort. Sie wollte die Türkei und deren ohnehin zu erratischen Zornausbrüchen neigenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht verärgern.

Denn nach türkischer – auch in allen Schulbüchern des Landes vertretener – Lesart hat es nie einen Völkermord an den Armeniern gegeben. „Nur“ eine „Umsiedlung“ in vom „Kriegsgeschehen nicht in Mitleidenschaft gezogene ruhigere Wüstengebiete“, weil man hätte fürchten müssen, dass sich die armenischen Christen mit dem Kriegsgegner Russland verbünden könnten.

Peinlicher deutscher Gehorsam


Der vorauseilende Gehorsam der Bundesregierung ist nichts als peinlich. Peinlich, weil man sich ansonsten Einiges auf „Vergangenheitsbewältigung“ einbildet. Und peinlich, weil die Botschaft an die Türkei hätte ganz klar lauten müssen: Eines Landes „Stolz“, falls es so etwas überhaupt in der Politik geben kann, wird nicht dadurch verletzt, dass man eindeutig benennt, was war.

Im Gegenteil: Wer nicht über die Reife verfügt, sich den Tatsachen und den Verfehlungen in der eigenen Geschichte zu stellen, der soll vom Stolz lieber schweigen. Und das „praktische“ Argument, das von einigen deutschen Diplomaten ins Feld geführt wurde, dass eine Verärgerung der türkischen Seite den Annäherungsprozess zwischen Ankara und Eriwan erschweren würde? Blanker Unsinn: Wie soll es denn eine echte Annäherung geben, wenn die Türkei gar nicht erst zugibt, warum eine Aussöhnung notwendig wäre? Und das nicht erst seit heute, sondern seit 100 Jahren.

Es ist wohl Bundespräsident Joachim Gauck (und einigen Bundestagsabgeordneten quer durch die Fraktionen) zu verdanken, dass diese würdelose Herumeierei beendet wurde. Er hat wissen lassen, dass er in seiner Rede anlässlich der Gedenkfeiern am 24. April Klartext sprechen werde. Mit der ihm eigenen – und in diesem Fall mehr als angebrachten – Prinzipientreue hat er wohl auch die Bundesregierung endlich dazu bewegt, die historischen Tatsachen richtig zu benennen.

Ein weiterer Zornesausbruch aus Ankara dürfte vorprogrammiert sein. Für eine klare Botschaft an die Türkei – siehe oben – gäbe es dann immer noch Gelegenheit.

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