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(picture alliance) Die saarländische Spitzenpiratin Jasmin Maurer

Saarlands Oberpiratin Maurer - Verhängnisvolle Spuren im Netz (aktualisiert)

Versucht Jasmin Maurer, die Spitzenpiratin im Saarland, ihre digitalen Altlasten verschwinden zu lassen? Eine Spurensuche im Netz legt dies nahe

Jasmin Maurer steht unter Druck. Seit dem überragenden Wahlerfolg der Piratenpartei im Saarland kann sich die Landesvorsitzende vor Interviewanfragen kaum noch retten. Alle wollen wissen, wer ist die sympathische junge Frau, deren Kreislauf am Sonntagabend vor lauter Aufregung zusammenbrach, sodass schließlich andere Piraten den Wahlerfolg im Fernsehen kommentieren mussten. Doch die 23-jährige IT-Kauffrau aus dem ländlichen Blieskastel ist nicht nur die nette politische Newcomerin von nebenan. Die frisch gewählte Landtagsabgeordnete hat einige brisante politische Datenspuren im Netz hinterlassen. Die von den Piraten gefeierte Offenheit im Umgang mit den Daten könnte ihr zum Verhängnis werden. 

„Uns ist ja allen bewusst, dass das Internet nichts vergisst.“, schrieb der Berliner Pirat Christopher Lauer vor seiner Zeit als Spitzenkandidat in einem Blogeintrag. Es ging um ein altes Chatprotokoll, in dem Lauer sich als Islamophobiker geoutet hatte. Er möge „die Muselmänner einfach nicht“, hieß es darin. In weiser Vorahnung bot der damalige Bezirkspolitiker im Blog ein öffentliches Mea Culpa an und spielte die Passagen herunter. Titel des Eintrags: Ein Lehrstück in Sachen Transparenz.

Während Lauer mit seinen Altlasten offensiv umging und das Vorgehen in einen politischen Kunstgriff verwandelte, verhält sich die saarländische Landeschefin Maurer weniger souverän. Sie versteckt ihre kulturelle Identität lieber unter der Politikergarderobe und reagiert auf Fragen nach ihrem Privatleben gereizt. Für die Öffentlichkeit will sich Jasmin Maurer neu erfinden. Aber wer politische Transparenz fordert, der muss auch einer Spurensuche im Netz stand halten können. Und was ihre digitale Lebenslinie anbelangt, war Maurer vielleicht etwas zu sorglos.

Jasmin Maurer ist das, was man einen Heavy User nennen kann, spielt Ballerspiele wie „Counterstrike“ und zeigt ihre Vorliebe für Erotikromane. Als Schülerin verfasste sie düstere Lyrik, stellte Bilder von aufgeschnittenen Armen auf die persönliche Seite. Bis vor kurzem noch debattierte sie im Netz über Hamsterzucht und Pferde, betrieb ein Portal für Amateurmodelle aus der Gruftiszene, posierte in lasziver Pose am Grabstein. Das ist alles harmlos. Zwischen den Antipolen Tierliebe und Provokation erfährt Jasmin Maurer eine Sozialisierung wie viele andere junge Menschen auch, die Subkultur um die Schnittstellen Electronic Body Music und Dark Wave ist weit verbreitet.

(gekürzt)*

Ihr Lebensgefährte Ralf Dittrich, ebenfalls Pirat, entlarvt sich in seinem Blog als Gesinnungspendler. Dort vergleicht er die linke Antifa mit den Neonazis, verharmlost dabei ausländerfeindliche Ressentiments und redet der NPD nach dem Munde: „[Die Antifa macht sich] das Gesetz unter dem Deckmantel des Schuldbewusstseins der Deutschen zu Nutze […] und wir Deutschen übersehen es. Weil wir nicht hinsehen aus Angst als Nazi verurteilt zu werden. Weil wir Angst haben, in einem Staat, der ja so viel Böses getan hat wieder als Verfechter des Nationalsozialismus gesehen zu werden…“

Lesen Sie weiter, wie sich Dittrich jetzt aus der Affäre ziehen will 

Dittrich spricht von einer Angst, die „wir alltäglich spüren, sobald ein Ausländer in unserer Nähe ist. Nicht vor dem Ausländer sondern davor etwas zu tun oder zu sagen, dass uns als Ausländerfeind zeigt.“ Manche Ausländer hätten es viel zu leicht und lägen dem Staat auf der Tasche. Irgendwo müsse der Hass hingehen und da seien die Ausländer in Deutschland, die „Imigranten“, die einfachste Lösung. An der Antifa lässt Dittrich kein gutes Haar, über die NPD urteilt Dittrich diplomatisch: „Sie haben gute und schlechte Ansichten und definitiv einige von Grund auf Falsche.“

Auf Nachfrage von Cicero Online distanziert sich der unter dem Pseudonym Kizetsu im Netz bekannte Pirat nun vehement von seinen Aussagen, stellt die Tiraden als Affekthandlung dar. Bei der Antifa entschuldigt er sich. „Ihr tragt einen wichtigen Teil zur Gesellschaft bei.“ Kizetsu ist wieder Dittrich, der homo politicus.

Dass auch die Piraten auf der Populismuswelle reiten, ist kein Geheimnis. Im einem Interview erklärte Jasmin Maurer den Wahlerfolg ihrer Partei im Saarland damit, dass sie und ihre Mitstreiter im Gegensatz zum restlichen Spektrum ganz normale Menschen seien.

Vermutlich liegt sie damit gar nicht so falsch, bis vor wenigen Tagen waren ihre drei wichtigen politischen Ziele im Netz nachzulesen. „Wahlrecht ab 16 auf Landesebene, Standards in der Nutztierhaltung und Reformation [sic!] der Leiharbeit.“ Mittlerweile sind diese und andere Einträge von Maurers Seite verschwunden. Ebenfalls verschwunden ist der Hinweis auf Maurers Engagement bei den sogenannten Kuschelpiraten, einer Arbeitsgruppe der Partei. Die Methode der Gruppe ist durchaus sympathisch. Die insgesamt 13 Mitglieder verabreden sich auf Parteiveranstaltungen, um die Menschen dort systematisch zu umarmen. Umso mehr fragt man sich nun, warum Maurer davon nichts mehr wissen will. Versucht die Piratin den Erwartungen der Medienöffentlichkeit, die plötzlich über sie hereingebrochen sind, gerecht zu werden?

Es fällt allerdings nicht zum ersten Mal auf, dass bei den Piraten politische Haltungen nicht problematisiert werden. Selten wird der persönliche politische Hintergrund von Kandidaten ausgeleuchtet, die in der jungen Partei schnell Karriere machen können. Das hat die Piraten schon mehrfach in die Bredouille befördert. Bodo Thiesen etwa musste sein gerade erst gewonnenes Parteiamt schnell wieder ablegen. Vor seiner Zeit als Pirat hatte dieser im Netz andere Holocaustleugner verteidigt und erklärt, dass Hitler den zweiten Weltkrieg nicht gewollt habe. Der damalige Parteivorsitzende Jens Seipenbusch bemühte sich um Schadensbegrenzung. Die Holocaustäußerung sei eine alte Geschichte. Auch die Tatsache, dass ehemalige NPD-Mitglieder oder krude Esoteriker sich in ihren Reihen tummeln, ist für die Piraten kein Thema.

Von der falschen Duldsamkeit der Piraten

Für Bundeschef Sebastian Nerz handelt es sich dabei um jugendliche Naivität, die man verzeihen müsse. Ein anderes, viel grundsätzlicheres Problem wiegt allerdings schwerer. Natürlich hat jeder Mensch das Recht, sich neu zu erfinden, politische Ansichten zu ändern, Äußerungen zu bereuen und Fehler einzugestehen. Der Fall Jasmin Maurer wirft deshalb auch die Frage auf, ob die unbarmherzige Erinnerungsmaschine Internet dies überhaupt noch zulässt. Fast scheint es so, als habe sich der Lebensraum Internet als Raum für die freie charakterliche Entfaltung überlebt. Viele Jugendliche gehen zu kritiklos mit dieser Kulturtechnik um.

Manche Piraten sind davon überzeugt, dass der selbstverordnete Zwang zur Mitteilsamkeit sich als Integrationsleistung des Internets eines Tages in die Wirklichkeit verlängern wird. Allein, noch funktionieren die Spielregeln der Politik anders. Die Piraten müssen den Beweis antreten, dass sie auch unter der Last der totalen Transparenz zu einer glaubhaften politischen Haltung kommen können. Jasmin Maurer steht vor einer gewaltigen politischen Herausforderung. Doch zunächst hat sie sich von ihren Parteifreunden in den Urlaub verabschiedet. Wie es sich für eine Piratin gehört, via Twitter.

*In einer früheren Fassung des Textes befand sich eine Passage, die Verbindungen zwischen den Nicknames Satansbraut89 und SatansBraut89 herstellt. Der Nickname existierte im gesamten von Google erfassten Netz in dieser unterschiedlichen Kapitalisierung zwei Mal; beide Personen kommen aus der gleichen Region des Saarlandes, tragen nahezu den gleichen Vornamen, wurden im gleichen Jahr geboren und sehen sich ähnlich. Die in diesem Zusammenhang verbreiteten Zitate der Nutzerin SatansBraut89 stammten jedoch nicht von Jasmin Maurer. Die tatsächliche Nutzerin des Nicknames SatansBraut89 hat uns dies eidesstattlich versichert. Wir entschuldigen uns bei den Betroffenen für diese Verwechslung.

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