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(picture alliance) Viele wollen sie weghaben - und kaum einer würde ihr hinterherweinen.

Hohes Risiko - Verfassungsschutz verhindert ein NPD-Verbot

Ein zweites Verfahren zum Verbot der NPD würde wahrscheinlich wieder scheitern – es sei denn, der Staat würde auf die V-Leute in der Partei verzichten

Wieder einmal diskutieren Politiker über ein Verbot der NPD. Der Anlass ist bemerkenswert und nährt den Verdacht, dass es dabei vor allem darauf ankommt, Handlungsfähigkeit angesichts des allgemeinen Entsetzens über die jetzt entdeckten Untaten der Zwickauer Mörderbande und ihrer Helfershelfer aus dem neonazistischen Untergrund zu beweisen.[gallery:Rechte Gewalt- und Mordserie erschüttert Deutschland]

Nun ist kein Zweifel: Verschwände die NPD von der Bildfläche und damit auch aus den wenigen Landtagen, in denen sie zurzeit vertreten ist, kein aufrechter Demokrat würde dieser unappetitlichen Erscheinung eine Träne nachweinen. Auch spricht nicht wenig dafür, dass die NPD tatsächlich darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, also verfassungswidrig ist. Ein Verbot wäre also eine Maßnahme der politischen Hygiene. Zur Verbrechensbekämpfung allerdings, auf die es in der gegenwärtigen Lage doch in erster Linie ankommen sollte, trüge es augenscheinlich nichts bei.

Ein Antrag, die NPD durch das Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen, wäre nicht der erste seiner Art. Ein erster Anlauf ist bekanntlich im Jahr 2003 gescheitert. Dem Bundesverfassungsgericht war zunächst verschwiegen worden, dass die NPD bis hinauf in den Bundesvorstand und die Landesvorstände mit sogenannten VLeuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Als das bekannt wurde, beantragte die NPD mit Erfolg die Einstellung des Verfahrens. Die Einstellungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts beruhte auf einer Vorschrift, die bestimmt, dass es im Parteiverbotsverfahren zu einer dem Antragsgegner, also der zu verbietenden Partei, nachteiligen Entscheidung einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Senats bedarf. Das Gericht war der Meinung, die Ablehnung des Einstellungsantrags der NPD sei eine sie benachteiligende Entscheidung, die mithin, da an dem Verfahren sieben Richter beteiligt waren, einer Mehrheit von mindestens fünf Richtern bedurft hätte. Es fanden sich aber nur vier Richter, die eine Ablehnung des Einstellungsantrags befürworteten.

Die Minderheit der Richter, die aber aus dem genannten Grund bei der Entscheidung den Ausschlag gab, befand, es sei aus rechtsstaatlichen Gründen nicht hinnehmbar, dass die Vorstände der NPD vor und während des Verfahrens unter staatlicher Beobachtung stünden. In diesen Gremien werde auch über die Prozesstaktik im anhängigen Verbotsverfahren gesprochen, da dürfe der Staat nicht mithören. Um es mit einem Vergleich zu sagen: Sowenig der Staatsanwalt mithören darf, wenn der Angeklagte mit seinem Verteidiger spricht, so wenig soll der Staat in der Person von VLeuten anwesend sein, wenn der Vorstand der zu verbietenden Partei darüber berät, wie dem Verbotsantrag am zweckmäßigsten entgegenzutreten sei. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb verlangt, spätestens mit der öffentlichen Bekanntmachung der Verbotsabsicht müssten alle Quellen in den Vorständen „abgeschaltet“ sein.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum diese "Abschaltung" schwierig ist - und einige Stimmen vermuten, dass das Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht dennoch Erfolg haben könnte.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003 ist auch innerhalb des Senats auf Kritik gestoßen. Die vier „überstimmten“ Richter haben in einer abweichenden Meinung die Ansicht vertreten, die Einstellung des Verfahrens sei nicht erforderlich gewesen. Berechtigten rechtsstaatlichen Bedenken hätte man auch auf andere Weise Rechnung tragen können, etwa durch erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung oder – weiter gehend – durch Beweisverwertungsverbote. Das Bundesverfassungsgericht dürfe sich nicht durch eine Verfahrenseinstellung der Aufgabe entziehen zu entscheiden, ob und mit welchem Gewicht den Äußerungen von VLeuten in den Vorstandsetagen der zu verbietenden Partei ein Beweiswert zukomme.[gallery:Rechte Gewalt- und Mordserie erschüttert Deutschland]

Mag man auch der Meinung sein, die besseren Gründe sprächen für die Meinung derjenigen Richter, die sich nicht durchsetzen konnten, so ist es doch die – sei es auch nur von einer Minderheit der Richter getragene – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die, wie das Gesetz sagt, die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden bindet. Diese Entscheidung aber führt in ein offenkundiges Dilemma. Sie zwingt nämlich den Antragsteller, in einem neuen Verbotsverfahren vor dessen Beginn alle Quellen in den Vorständen der NPD abzuschalten. Auch wenn die Informationen der gewiss auch heute in den Vorständen der NPD angesiedelten V-Leute (es dürfte sich oft um überzeugte NPD-Mitglieder handeln, die sich für ihre Spitzeldienste bezahlen lassen) nur begrenzt zuverlässig wären, wäre es doch überaus risikoreich, schnitte sich der Verfassungsschutz über lange Zeit – ein Parteiverbotsverfahren kann Jahre dauern – von jenen Quellen ab, die ihn über das Treiben der Neonazis ins Bild setzen.

Nun gibt es Stimmen, die meinen, man könne auf die Abschaltung dieser Quellen verzichten, da von den im Jahre 2003 amtierenden Richtern keiner mehr an einem neuen Verbotsverfahren beteiligt sein werde. Man könne also auf eine andere, den Antragstellern günstigere Entscheidung hoffen. Das wäre jedoch sehr gewagt. Täuschte die Erwartung, wären die Antragsteller ein weiteres Mal blamiert und die NPD hätte neuerlich Grund zu triumphieren. Will man also sichergehen, nicht wieder an einem Verfahrenshindernis zu scheitern, muss man die Quellen abschalten – und auch darüber dürfte die NPD sich freuen.

Sollte tatsächlich ein neues Verbotsverfahren eingeleitet werden, empfiehlt sich vorab ein Blick auf die Rechtsprechung des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs. Sie steht einem Parteiverbot zwar nicht grundsätzlich entgegen, es könnte aber sein, dass das Straßburger Gericht einen strengeren Maßstab anlegt als das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung. Nach Artikel 11 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention darf die Parteienfreiheit nur Einschränkungen unterworfen werden, die „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind“. Das Bundesverfassungsgericht würde in seiner Entscheidung diese Vorschrift und die dazu ergangene Rechtsprechung berücksichtigen, um nicht Gefahr zu laufen, dass eine Beschwerde der NPD gegen ein Verbot durch das Bundesverfassungsgericht in Straßburg Erfolg hätte. Dabei ist vor allem die Frage zu stellen, ob ein Verbot zum Schutz der demokratischen Ordnung in Deutschland notwendig ist. Schließlich wäre ein Verbotsantrag zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht dadurch veranlasst, dass die von der NPD ausgehende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung plötzlich wesentlich größer geworden ist, sondern dadurch, dass die Politik der allgemeinen Empörung über eine Serie mutmaßlich von nationalsozialistischem Gedankengut infizierten Verbrechen irgendwie entgegenkommen will.

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