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(picture alliance) Wohin führt Papst Benedikt XVI. die katholische Kriche?

Papst Porträt - Vater unser, wohin führst du dein Volk?

Die katholische Kirche steht vor einer der größten Herausforderungen ihrer Geschichte: In der nördlichen Hemisphäre gehen ihr Einfluss und ihre Bindekraft verloren, während sie im globalen Süden wächst und gedeiht. Aber der Glaube allein hält die größte religiöse Gemeinschaft der Welt immer weniger zusammen. Ein Porträt Benedikts XVI.

 

Der bedeutende Theologe des 20.Jahrhunderts Joseph Ratzinger hatte in der italienischen Presse um die Jahrhundertwende den wenig sympathischen Spitznamen „Panzerkardinal“. Als er vor sechs Jahren Papst wurde, titelte eine linke Tageszeitung „pastore tedesco“, und das kann ebenso „deutscher Seelsorger“ heißen wie „deutscher Wachhund“. Der missliche Ruf ist das Ergebnis seines ungeliebten Amtes. Ratzinger war Chef der vatikanischen Glaubenskongregation, der Nachfolgerin der Inquisition, eine Art Ministerium für katholische Orthodoxie.

Seine persönliche Berufung hätte den feinsinnigen Theologen eher in die Bibliothek der Kirchenväter oder auf die akademische Lehrkanzel geführt als in die vatikanische Bürokratie, doch sein Chef, der polnische Papst, hatte dem deutschen Intellektuellen zugesagt, er dürfe weiter Bücher schreiben – das war Ratzinger wichtig. Gewiss nahm der Deutsche seine Aufgabe ernst und lieferte sorgfältig belegte Gutachten ab über Recht- oder Andersgläubigkeit dieses oder jenes denunzierten Theologen, über die Zulässigkeit dieser oder jener bischöflichen Entscheidung. Doch er verstand sich als Kardinal gemäß seinem Wahlspruch als „Mitarbeiter der Wahrheit“, nicht als Großinquisitor.

Nun ist Ratzinger selber Papst – aber das Schreiben bleibt seine Berufung. Er hat einen eigenen, zuweilen zarten, zuweilen altbackenen Stil, seine Bücher, zuletzt eine gemeinverständliche Jesus-Deutung, sind Bestseller (seine Enzykliken bleiben ungelesen). Ist er nun ein guter Papst, der rechte Kirchenführer für das 21.Jahrhundert? Gegenfrage: Was ist denn ein guter Papst?

„Vater“ – papa – wurde der Bischof von Rom seit den frühesten Anfängen der Kirche genannt, so wie andere Bischöfe, Vorsteher der christlichen Stadtgemeinden im römischen Weltreich auch. Eine Kette „apostolischer Nachfolger“ seit der Einsetzung eines Fischers durch den Wanderprediger von Nazareth soll die Kontinuität des Papstamts gewissermaßen leibhaftig verbürgen. Der päpstliche „Primat“ über alle anderen Bischöfe entwickelte sich zwar erst in späteren Jahrhunderten – aber das ist ja noch kein Gegenargument.

Seine Autorität kommt dem Papst von Amts wegen zu; doch sein Pontifikat ist eben keine bloße Vaterrolle oder Herrschaftsfunktion. Als leibhaftige Stellvertretung, als Leitung der Gemeinde im direkten Auftrag des gekreuzigten Christus, beansprucht das Papsttum mehr als Gehorsam. Und gerade in der Moderne – mit der Zentralisierung der Weltkirche zur rein geistlichen Monarchie unter Pius IX (1846-1878) und dem Aufkommen der Massenmedien – wird das Amt durch die Person des jeweiligen Papstes definiert.

Alle „großen“ Päpste haben auch ihr Amt neu bestimmt – nach innen wie nach außen, intra muros ecclesiae und extra muros, gegenüber allen weltlichen Mächten und Autoritäten. Im 20.Jahrhundert waren dies drei Papstgestalten: der entrückte Monarch, der volkstümliche Reformer und der charismatische Evangelist.

Eugenio Pacelli war als Pius XII (1939-1958) ein Papst von autoritärer Reinheit, die er im Konflikt mit der totalitären Herrschaft in Europa auch durch seinen pontifikalen Pomp glorios zu inszenieren wusste. Der letzte Pius-Papst leitete die katholische Kirche mit unbedingter Autorität nach innen und unantastbarer Souveränität nach außen durch die Jahre des Zweiten Weltkriegs und des weltweiten „kalten“ Systemkonflikts.

Angelo Roncalli, Papst Johannes XXIII (1958-1963), verkörperte auch in seiner Körpersprache eine neue Nähe zur modernen Welt, zur Demokratie und ihren Hoffnungen auf Wohlfahrt und Wachstum. Darum rief Papa Giovanni das Zweite Vatikanische Konzil aus (1962-1965): ein mutiger Aufbruch zur Öffnung und Erneuerung der Kirche, den sein Nachfolger, der Intellektuelle und Zauderer Paul VI (1963-1978) fortsetzen wollte, ohne sich dabei durchzusetzen.

Karol Wojtyla, Papst Johannes Paul II (1978-2005), der aus der Kälte kam, rief aller Welt zu: „Habt keine Angst!“ In seiner Heimat Polen förderte er die „Revolution aus dem Gebet“, als weltweiter Reisepapst wurde er zum Künder der Menschenrechte. Denn die Welt erlebte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs neue Mauern und Kriege, neue Versuchungen und neuartige Bedrohungen der Menschenwürde. Jetzt warnte der antikommunistische Papst vor einem neuen „Totalitarismus“ kapitalistischer Konsumgesellschaften, liberaler Demokratien ohne letzte Werte, technokratischer Machbarkeitsideologien moderner Wissenschaft und Medizin. Kardinal Ratzinger war für mehr als ein Jahrzehnt einer seiner wichtigsten Zuarbeiter.

Was ist also ein guter Papst? Eine eindeutige Berufsqualifikation für dieses Amt des geistlichen Vaters von heute weltweit 1,2 Milliarden katholischen Christen gibt es nicht. Jedenfalls keine, die man erlernen könnte. Es gibt nur typische Kardinalslaufbahnen, die ins Konklave führen: jene abgeschlossene Kardinalsversammlung, die nach dem Tode eines Papstes den neuen Nachfolger von Apostel Petrus wählt.

Und wie wird man Kardinal? Auch dieses Amt, seit einigen Jahrhunderten Zugangsvoraussetzung zum exklusiven Club der priesterlichen Wahlmänner, kann man ja nicht lernen. Die Kardinalswürde wird vom amtierenden Papst verliehen, der damit natürlich seinen eigenen Nachfolger mitbestimmt (jedenfalls dann, wenn er lange genug amtiert und somit im Laufe der Jahre viele Purpurträger ernannt hat). Einige Anwärter müssen freilich auf den Kardinalspurpur länger warten – zuletzt etwa der in Rom als renitent geltende Mainzer Erzbischof und damalige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Karl Lehmann.

Immerhin, es gibt durchaus typische Eingangsqualifikationen für derartige Purpurträger: Heute ist ein Kardinalstitel in der Regel verbunden mit besonders wichtigen Bischofssitzen „draußen“ (in der Welt) oder Schlüsselämtern „drinnen“ in der Kurie (der römischen Zentrale der katholischen Weltkirche und ihrer Diplomatie). Es gibt somit eher kuriale und eher bischöfliche Karrieren.

So hatte Eugenio Pacelli vor seiner Wahl zum Papst Pius XII als Nuntius in Deutschland und päpstlicher Staatssekretär in Rom eine eindeutig „kuriale“ und diplomatische Karriere hinter sich; auch Angelo Roncalli hatte zwar als vatikanischer Diplomat gearbeitet, wurde aber später als Patriarch von Venedig populärer Erzbischof auf einem typischen Kardinals-Bischofssitz, bevor er dann Papst Johannes XXIII wurde. Kardinal Wojtyla, nach Jahrhunderten der erste Nichtitaliener auf dem Papstthron, hatte als Erzbischof von Krakau seelsorgerische Verantwortung getragen und war als Star auf dem Bischofssitz im kommunistischen Polen zudem ein indirekt politischer Gegenspieler des Regimes geworden.

Benedikts XVI Kirchenlaufbahn hingegen entspricht wieder eher einer „kurialen“ als einer Bischofs- oder Seelsorgerkarriere. Als Joseph Ratzinger als dienstältester Kardinal im April 2006 zum 265.Nachfolger des Heiligen Petrus gewählt wurde, da hatte er gerade seinen 78.Geburtstag gefeiert. Mehr als zwei Jahrzehnte hatte der schon seit jungen Jahren brillante Theologe bereits an der Spitze der römischen Glaubenskongregation gewacht, der dogmatischen Kontrollbehörde der katholischen Weltkirche. Der weltreisende „eilige Vater“ Johannes Paul II hatte sich zwar nie sonderlich um die Kurienbürokratie gekümmert, aber darauf Wert gelegt, dass in der römischen Firma die theologische Rechtgläubigkeit zweifelsfrei von einem deutschen TÜV kontrolliert wurde. Somit mussten alle innerkirchlichen Vorgänge auch diese Glaubensbehörde passieren – und ihr Chef war nicht zuletzt aufgrund dieser Rolle allen Kardinälen wohlbekannt. Für seine Kollegen Kardinäle war der intellektuelle Vertraute Johannes Pauls II längst eher „Römer“ als „Deutscher“.

Warum wurde dieser Kurienbeamte der seit zwei Jahrhunderten älteste Kardinal, der zum Papst gewählt wurde – und dies in einem der kürzesten Konklave der Kirchengeschichte? Wir Nichtkardinäle waren bei den Debatten in der Sixtinischen Kapelle nicht dabei – die diversen mittlerweile kolportierten Versionen vom Verlauf des Konklaves sind keine verlässliche historische Quelle. In einem aber stimmen sie überein: Im Gegensatz zur Erwartung innerkirchlicher Kritiker und der Weltöffentlichkeit stand als mögliche Alternative zum „konservativen“ Ratzinger offenbar keineswegs ein „liberaler“ oder „linker“ Italiener zur Debatte, sondern ein lateinamerikanischer Ortsbischof – und damit ein Nichtrömer. Angesichts dieser Alternative entschied sich das Kardinalskollegium ganz schnell für die „römische“ Alternative: für den dienstältesten Kardinal, für den Kenner des Apparats, für den amtlichen Hüter der Rechtgläubigkeit.

Nach dem Tode des charismatischen Kommunikators Johannes Paul II herrschte in den Spitzen der katholischen Hierarchie eher Angst als Aufbruchstimmung. Die katholische Kirche wächst im „globalen Süden“, aber es gibt berechtigte Sorgen um ihre Zukunft als Weltkirche. Bereits in informellen Konsultationen zwischen Kardinälen während der letzten Lebensmonate Johannes Pauls II hatte sich eine „neue Unübersichtlichkeit“ (Jürgen Habermas) herausgestellt: Die Globalisierung kultureller, auch religiöser und moralischer Kommunikation, durch elektronische Medien, Verkehrs- und Kommunikationsmittel sowie durch transnationale und -kontinentale Wanderungsströme produziert heute in der ältesten Großinstitution der Welt – der katholischen Kirche – keine eindeutigen Fragen mehr, sondern viele Gestalten des christlichen Glaubens, auch des „Katholisch-Seins“. Auf die nicht nur von Kardinal Ratzinger/Papst Benedikt XVI kritisierte „Diktatur des Relativismus“ in den europäischen Kernländern der westlichen Christenheit gibt es keine einfache und zwischen den Bischöfen der Weltkirche einvernehmliche Antwort mehr – nicht einmal jene simple Ja-Nein-Kontroverse, von der naive Papstkritiker oder „Gegenpäpste“ wie Hans Küng immer noch träumen. Sondern eine keineswegs mehr harmonische, nachgerade zentrifugale Vielfalt von Sensibilitäten. Es wäre entschieden zu einfach, diese Krise auf die althergebrachten Alternativen des 19.Jahrhunderts zu reduzieren: Vernunft gegen Glauben, Fortschritt versus Reaktion – oder Demokratie (Kirche von unten) wider Monarchie (römischer Zentralismus).

Immerhin hatte sich der konservative deutsche Kardinal Ratzinger sogar mit dem inoffiziellen „Papst“ der deutschen Aufklärungstradition, eben mit dem Linken Jürgen Habermas, zum Gespräch getroffen – und beide hatten in einer Art Vernunftglauben ein durchaus breites Spektrum an Übereinstimmung festgestellt. Doch ist nicht nur die vom Philosophen einer kommunikativen Ethik Jürgen Habermas analysierte normativ-politische Lage der westlichen Demokratien, auch die Glaubenssituation ist in der (post)modernen Weltgesellschaft unübersichtlich geworden.

Ist etwa die offenbar irreversible Entkirchlichung der Mehrheitskulturen Westeuropas ein Ergebnis fehlender innerkirchlicher Demokratie? Gerade die liberalen protestantischen Kirchen, die sich mit den „Katholiken von unten“ für interkonfessionelle Abendmahlsfeiern und eucharistische Gastfreundschaft, für Frauenpriestertum und homosexuelle Bischöfe engagieren, schrumpfen ja noch stärker als die katholischen Christenheiten Westeuropas. Und gerade die fundamentalistischen Protestanten, evangelikale Freikirchen und charismatische Pfingstler und Gottesversammlungen mit oft wenig aufgeklärtem, autoritärem Bibelgehorsam wachsen doch im vergangenen Vierteljahrhundert überall im globalen Süden der Weltgesellschaft wie die Pilze nach dem Spätsommerregen (dasselbe gilt übrigens auch für die muslimische Mission). Und es sind diese Christentumsgestalten, die längst auch über Migrationsbewegungen – als afrikanische Pfingstler, koreanische Methodisten, arabische Baptisten – in die alte Welt zurückkehren und auch hier zur häufig aggressiven Pluralisierung des Glaubenslebens beitragen.

Der globale Süden aber stellt nicht nur die – relativ und absolut – wachsende Mehrheit der Weltbevölkerung, sondern auch der Christenheit, natürlich auch der katholischen Kirche. Längst werden auf den Philippinen mehr Menschen katholisch getauft als in Frankreich, Italien, Spanien und Polen zusammen. Und in der ehedem Dritten Welt ist gerade das von liberalen Katholiken des Nordens naserümpfend abgelehnte hierarchische Modell einer „sichtbar“ anderen Klerikerkirche ausgesprochen erfolgreich.

Insoweit Papst Benedikt XVI die Einheit der katholischen Weltkirche gegen alle Tendenzen zu National- oder Regionalchristenheiten verteidigt, ist er tatsächlich ein Zentralist. Aber worin bestünde die Alternative? Sein Chefkritiker Hans Küng möchte das römisch-katholische „Empire“ zu einem „Commonwealth“ regionaler Christenheiten umgestalten.

Doch ebendieses Modell wurde bereits verwirklicht: In der anglikanischen Weltgemeinschaft dienen die periodisch im Londoner Lambeth-Palast stattfindenden Bischofskonferenzen nur noch der Koordination. Eine übergreifende Lehr- und Rechtsautorität gibt es in der anglikanischen Communio nicht mehr. Mit welchem Ergebnis? Die anglikanische Gemeinschaft löst sich zunehmend auf, gespalten zwischen den Liberalen des Nordens und den Konservativen des Südens. Nordamerika und Großbritannien erlauben die Frauenordination und diskutieren über praktizierende Homosexuelle im Bischofsamt, ohne dass sich deshalb ihre Kirchen füllen. Die beständig wachsenden anglikanischen Kirchen Afrikas und Asiens hingegen wollen in Fragen der Sexualmoral konservativ bleiben. Dies übrigens auch angesichts der erfolgreichen, in der Frage geschlechtlicher Identitäten gnadenlos rigoristischen islamischen Mission in diesen Ländern. Als also vor sechs Jahren im römischen Konklave (so ist zu vermuten) auch die Kardinäle der Dritten Welt mehrheitlich für den konservativen Zentralisten Ratzinger entschieden, hatten sie diese Alternative vor Augen.

Mißt man Benedikt XVI am eigenen Anspruch, der Institution Kirche wieder neue Binnendynamik und sichtbare Anziehungskraft zu verleihen, so ist der deutsche Professor auf dem Stuhle Petri bislang gescheitert. Die sich in seiner Amtszeit häufenden Pannen zeigen, dass auch das institutionelle Vertrauen ohne eine Generalrevision des Weltkirchenregiments nicht mehr zu haben ist.

Ratzinger hat seine Krisendiagnose offengelegt: Das „kleine Boot des Denkens vieler Christen“ werde von den Stürmen weltlicher Ideologien hin- und hergeworfen, predigte er zur Eröffnung des Konklaves. Daher müsse die globale Kirche ihre Einheit des Glaubens als „Übereinstimmung des Willens“ wiederfinden, sonst werde sie kentern wie eine Nussschale im Sturm. In der Tat war die Kirche zurückgeblieben hinter Johannes Pauls II Erfolgen bei der weltweiten „Evangelisierung“ der Herzen – und seiner Menschenrechts­agenda in der internationalen Politik. Eine alles auf das Charisma ihres Pontifex’ setzende Institution riskiert die Identitätskrise, sobald es den Papst als Superstar nicht mehr gibt.

Wo der weltreisende Apokalyptiker Karol Wojtyla die Weltkirche in Bewegung versetzt hatte, versprach nun der deutsche Nachfolger eine Konsolidierung der sakramentalen Institution. Dem Opfersakrament der Eucharistie galt Benedikts erste weltweite Bischofssynode – doch verzettelte er jede Liturgiereform alsbald in einem Kleinkrieg um die lateinische Messe. Gewiss möchte Benedikt auch die Kollegialität der Bischöfe stärken und das Kardinalskonsistorium als eine Art Senat der Weltkirche regelmäßiger tagen lassen. Auf Bischofssynoden wurde die freie öffentliche Aussprache eingeführt – ohne freilich ihre Kompetenzen zu erweitern.

Die „Bischofssynode für Afrika“ im Oktober 2009 hätte eine der wichtigsten Veranstaltungen von Benedikts bisheriger Amtszeit sein müssen, fand jedoch ohne Aufmerksamkeit der Medien statt – ja, nicht einmal der Papst selbst ergriff in den heftigen Debatten der Synode das Wort. Die Bestandsaufnahme des gewaltigen Umbruchs in der binnen eines Jahrhunderts von 1,9 Millionen auf 165 Millionen angewachsenen katholischen Christenheit Afrikas war lebendig und voller Widersprüche – und doch blieb völlig unklar, zu welchen Konsequenzen sie führen soll. Die nächste, für Oktober 2012 geplante Generalsynode zum programmatischen Schlüsselthema der „Neuevangelisierung“ sollte klare Aufgaben und Kompetenzen erhalten.

Wichtiger als jedes weitere Papstbuch wäre die Strukturreform der römischen Zentrale. Auch Benedikt XVI hat es versäumt, endlich die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil anstehende Reform der Kurie in Angriff zu nehmen – nur eine neue Behörde richtete er ein: Neben der „Kongregation für die Evangelisierung der Völker“ gibt es nun auch einen „Rat zur Förderung der Neuevangelisierung“ von ehedem christlichen Gesellschaften, vermutlich im Westen, mit noch unklaren Konturen.

Die unter Wojtyla begonnene Internationalisierung der vatikanischen Spitzenbehörden scheint vorerst zu stocken, einige Beobachter sprechen sogar von einer „Reitalianisierung“ des Kurienapparats: Mehr als die Hälfte der Spitzenämter werden noch von Italienern geführt. Die Koordinierung zwischen den pontifikalen Behörden funktioniert nicht; es gibt keine unabhängige Kontrollinstanz, von Verwaltungsgerichtsbarkeit ganz zu schweigen.

Vor gut einem Jahrzehnt diagnostizierte Hans Maier den Grundfehler der Kurienorganisation in der fehlenden Kabinettsdisziplin vatikanischer „Minister“, die ihrerseits eine klare Ressortverantwortung der einzelnen Aufgabenbereiche voraussetzen würde. Der Hofstaat eines Monarchen mag sich durch Geheimnisse und Intrigen noch auf höchster Ebene regulieren; doch die geistliche Führung eines „Global Player“ wie der katholischen Weltkirche muss auf Dauer dabei Schaden nehmen.

Beispiele gibt es in allen Arbeitsfeldern: In der Ökumene wurde eine neue anglokatholische „Aufnahmestruktur“ für übertrittswillige anglikanische Überläufer angekündigt, als der zuständige „Ökumeneminister“ Kardinal Walter Kasper gar nicht in Rom weilte. Einander widersprechende päpstliche Briefe verschiedener Behörden, Kommissionen und Emissäre zum chinesisch-vatikanischen Verhältnis haben die Unsicherheit verfolgter chinesischer Katholiken gegenüber der regimetreuen „Patriotischen Kirche“ eher gesteigert als beseitigt. Das chinesische Regime reagiert routiniert und flexibel, mit Druck auf romtreue Bischöfe und Zuckerbrot für „patriotische“ katholische Funktionäre.

Ein Gutteil solcher Fehltritte in Benedikts XVI Amtsführung wurzelt in mangelnder Koordination; dazu traten bald Intrigen zwischen einzelnen Behörden, Interessengruppen und kirchenpolitischen Fraktionen in Rom und anderswo – in der Frage der innerkirchlichen Verfolgung des 2008 verstorbenen Sexualstraftäters Pater Marcial Maciel, des Gründers der „Legionäre Christi“ (einer im Umkreis Johannes Pauls II geschätzten disziplinierten Evangelisierungskampftruppe), kam es im vergangenen Jahr in Rom, Wien und Amerika zum öffentlich ausgetragenen Grabenkrieg zwischen Bischöfen und Kardinälen.

Eine missverständliche Rede des deutschen Papstes in Auschwitz; der Affront gegenüber Protestanten und Muslimen in der „Regensburger Rede“; der Skandal eines Holocaustleugners unter jenen schismatischen Traditionalistenbischöfen der Piusbruderschaft, denen Benedikt den Rückweg in die Una sancta erleichtern will – das Verlaufsmuster all dieser Krisen war gleich: Entscheidungen (im Namen) des Papstes wurden ex ante nicht geprüft; verantwortliche „Minister“ wurden vorweg nicht gehört oder eingebunden. Post factum, nach dem Skandal, mussten sie dann erklären, vermitteln und nachbessern. Am Ende wurden in der Regel die Medien beschuldigt – und einmal beklagte sich Benedikt XVI sogar in aller Öffentlichkeit bitterlich über seine innerkirchlichen Brüder, die ihn partout missverstehen wollen. Führung sieht anders aus.

Auch die Dimension und weltweite Dynamik der Vertrauenskrise im Gefolge der innerkirchlichen Pädophilieskandale scheint der Papst zunächst verkannt zu haben. Jedenfalls scheute sich Benedikt XVI, die Stimme der Missbrauchsopfer sofort zur Chefsache zu machen, beschränkte sich dann zunächst auf einen Hirtenbrief an die irischen Katholiken – und dies, obwohl seit 2001 in Ratzingers Glaubensbehörde sämtliche Dossiers über den sexuellen Missbrauch durch Priester gesammelt worden waren, und Kardinal Ratzinger in seiner Karfreitagsliturgie im römischen Colosseum diesen „Schmutz“ in der Kirche öffentlich beklagt hatte.

Johannes Paul II war ein Apokalyptiker, er beschwor das Drängen der Zeiten. Dass sein Nachfolger keinen Sinn für den kairós hat, den rechten, dringenden Augenblick, bezeugt auch bereits die endlose Geschichte von Benedikts XVI dritter, der „Globalisierungsenzyklika“ Caritas in veritate, die ursprünglich 2008, auf dem Höhepunkt der weltweiten Bankenkrise, erscheinen sollte. Vor lauter Nachbesserung und Ausgewogenheit kam sie erst ein Jahr später heraus – und war zu einem Riesendossier angewachsen, einem unleserlichen Kompendium ohne jede Aktualität.

Der große Evangelisator Karol Wojtyla hatte nicht gezögert, die Kirche selber in einen Ausnahmezustand zu versetzen. Johannes Paul II tat dies durch sein spektakuläres „Mea culpa“ zum Jubeljahr 2000: das Eingeständnis kirchlicher Schuld für von Christen begangene Verbrechen gegenüber Juden und Heiden, Ketzern und Ungläubigen, gegenüber dem modernen wissenschaftlichen Geist wie der Freiheit des Gewissens. Sein Berater Ratzinger soll damals ziemlich skeptisch gegenüber allzu dramatischer Selbstkritik gewesen sein. Vielleicht sollte sein Nachfolger Benedikt XVI den Sinn dieser Geste neu bedenken.

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