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Südeuropa - Die Demokratie lebt – auch in der tiefsten Krise

Noch setzen die existenziell drangsalierten Bürger Südeuropas nicht auf autoritäre Bewegungen. Noch halten sie die Neofaschisten klein. Noch glauben sie an das normative Projekt der westlichen Zivilisation. Wie selbstverständlich ist das eigentlich?

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Eigentlich ist Max A. Höfer, ehemaliger Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, ein besonnener Mann; wenn er über die Zeitläufte nachdenkt, kann er bisweilen sogar zum Feingeist werden. Doch nun, zu Griechenland, bringt er sich als Schimpfkanone in Stellung: Nichts als „kleinlaute Flegel“ seien Regierungschef Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis. Deshalb sei es folgerichtig, dass nichts übrig bleibe „von einer alternativen Wirtschaftspolitik“, wie sie die linke Partei Syriza ihren Wählern großspurig versprochen hatte.

Im Stern schäumt Hans-Ulrich Jörges über „die Arroganz der neuen Athener Regierung“, über „Bluffs und Mätzchen ihres spieltheoretisch experimentierenden Finanzministers“. Triumphierend blickt Berlins emsigster Causeur herab auf „das Waterloo der Populisten“.

Ja, die Populisten der Publizistik haben die Jagd eröffnet: auf Syriza in Griechenland, demnächst wohl auf Podemos in Spanien, und sicher auf alle Protestierenden und alle Wähler, die sich der Berliner Buchhaltung widersetzen, dem Land der „schwarzen Null“.

Ja, so sieht Europa derzeit aus: Im Norden der Alpen regiert der deutsche, der protestantische, der preußische Verstand. Im Süden und Südwesten dagegen dilettieren pubertäre Siesta- und Sirtakisozialisten.

Sehr deutsch möchte man am liebsten ausrufen: „Oh Freunde, nicht diese Töne.“

Auf Crashkurs
 

Doch gibt es leider kaum noch etwas zu reparieren: Der hochgestellte Kragen und das heraushängende Hemd des feurigen Finanzministers wollen nun mal nicht passen zu Blazer und Jackett der kühlen Kanzlerin, diesem Outfit, das für mediterrane Protestler auf provozierende Weise an den Soldatenrock Friedrichs des Großen gemahnt – eine strenge Uniform, die in griechischen Augen nicht nur Zucht und Ordnung, sondern auch Züchtigung symbolisiert.

Politisch, publizistisch und sogar ästhetisch also alles ganz und gar unvereinbar. Auf Crashkurs.

Aber ist der Crash nur ein Geldcrash, wie allgemein angenommen wird?

Es ist ein Kulturclash!

Wenn Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem den griechischen Quästor Yanis Varoufakis trifft, dann trifft ein sittenstrenger Calvinist auf einen lebenslustigen Byzantiner. Kann das gut gehen?

Durchaus – solange genügend Geld in der Kasse ist. Im milden Lichte der Levante ließe sich sogar Udo Jürgens’ „Griechischer Wein“ anstimmen.

Überhaupt hängt der Himmel der südeuropäischen Haushaltssünder in der kollektiven Erinnerung voller Schnulzen. Kios und Kreta, Malaga und Granada, aber auch Taormina und Cattolica, Saint-Tropez und Nizza: Hier lagen doch die Wirtschaftswunder-Deutschen in ihrer Jugend wohlig am Strand, hier wurde mit den Einheimischen gelacht und gesungen und geliebt – Nächte in Märchenländern.

Von den Idyllen sind nach aktueller Sprachregelung nur Schuldennationen geblieben, Pleitenationen, wenn die Deutschen sie nicht retten – nach deutschen Rezepten, versteht sich.

Angela Merkel fehlt jede südliche Sozialisation. Sie hatte hinter Mauer und Stacheldraht auszuharren. Trägt dieser bittere lebensgeschichtliche Umstand zum Verständigungsproblem mit den Mittelmeermenschen bei? Oder ist die Frage obsolet, da sich ja alles nur um Buchhaltung dreht, ums Geld, nicht um Gefühle?

Es gut um Mentalitäten!
 

Doch gerade um Gefühle geht es! Um Mentalitäten. Es geht um zivilisatorische Gegenwelten, um Byzanz und Rom – wirksam, ja prägend bis in die Gegenwart.

Die politische Kultur, die Rechtskultur, das Verhältnis des Bürgers zum Staat: alles orthodox grundiert – und damit ganz anders, als die protestantische Max-Weber-Ethik es vorschreibt, diese Tüchtigkeitskultur, diese deutsche Disziplin, weltweit bewundert und gefürchtet, im Guten wie im Schrecklichsten.

Vielleicht wäre dieser Hintergrund zu bedenken, wenn den Griechen finanzpolitische Tugend aufgezwungen wird: Verzicht, Verzicht und nochmals Verzicht.

Dabei bildet die Karambolage von Byzantinismus und Protestantismus nicht einmal den einzigen Kulturkonflikt, mit dem sich der kameralistisch so selbstgefällige EU-Norden gerade konfrontiert sieht.

Die Jugend begehrt auf, von Athen über Rom bis Madrid – eine neue Generation, die sich nicht gefallen lässt, was die Väter- und Großväterregierungen mit Europa angestellt haben, lange Jahre in korrumpierender Intimität mit den globalen Geldgaunern.

Weder Tsipras noch Varoufakis sehen sich in dieser fatalen Kontinuität: Was die eigenen Schuldigen von gestern mit den fremden Schuldigen von gestern ausgehandelt haben, halten sie allenfalls für partiell verbindlich.

Syriza und Podemos sind neu, stehen für die Generation, die ganz besonders unter dem gnadenlosen Spardiktat der Troika zu leiden hat.

Weshalb sie sich auch zu jung fühlen für jedwede finanzielle Kollektivschuld.

Bürger des Südens setzen auf Demokratie
 

Diese aufbegehrende Jugendkultur wäre Anlass zum Nachdenken, bevor man dekretiert, dass die neuen Regierer die alten Verträge punktgenau zu erfüllen haben.

Wahlen ändern daran nichts? Wie klingt das in den Ohren der griechischen, demnächst der spanischen Wähler? Es klingt so: Demokratie ändert nichts! Ein Verdikt, das schlimme Folgen haben könnte.

Denn trotz Millionen Arbeitsloser, vor allem arbeitsloser Jugendlicher, setzen die Bürgerinnen und Bürger des Südens auf Demokratie – auf die Veränderung der Gesellschaft durch Wahlen.

Hoffnung, erfüllt von demokratischem Bewusstsein, mitten in der tiefsten Krise – das ist doch wohl das Ermutigendste, was Europa widerfahren kann!

Weniger optimistisch ausgedrückt: Noch setzen die existenziell drangsalierten Südländer nicht auf autoritäre Bewegungen, seien sie rechts oder links. Noch halten sie die Neofaschisten klein. Noch glauben sie an das normative Projekt der westlichen Zivilisation.

Wie selbstverständlich ist das eigentlich?

Man stelle sich vor: 25 Prozent Arbeitslosigkeit in Deutschland, davon 40 Prozent unter den Jungen! Was wäre da los zwischen Rostock und Ravensburg?

Ja, was?

Folgt man dem teutonischen Aufschrei, haben Halbstarke in Athen Halbstarke gewählt, denen nun zu zeigen ist, wo Gott hockt.

Er hockt auf dem hohen Ross.

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