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Streit um Transitzonen - Seehofers Punktsieg

Die unionsinterne Einigung auf Transitzonen ist nicht nur inhaltlich richtig, sondern auch eine Niederlage Angela Merkels. Jetzt muss die Verständigung mit der SPD schnell gehen

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Im Fußball ist das einfacher. Da steht es hinterher 1:0 oder 2:1 und man kann am Ende allenfalls darüber streiten, ob der Schiedsrichter ein Foul oder ein Abseits nicht gegeben hat oder auf eine Schwalbe reingefallen ist.

In der Politik ist das anders. Da treffen zwei oder drei zu einem großen Schlagabtausch aufeinander, dann geht man mit einem (Zwischen)-Ergebnis auseinander – und jeder reklamiert den Sieg für sich.

Beim Krisengipfel der Koalition zu den Flüchtlingen ist das auch wieder so. Dabei ist es bei klarem Verstand ganz einfach zu sagen, wer sich bis hierher zu allererst durchgesetzt hat in den diversen Treffen vom Wochenende von CDU-Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel.

Streitthema Transitzone
 

Zentraler Punkt des Positionspapiers von Merkel und Seehofer sind die Transitzentren. Und sie stehen dafür, dass sich Seehofer im abgrundtiefen Streit mit Merkel innerhalb der Union durchgesetzt hat. Merkel hat klein beigegeben, von ihrer Ursprungsposition abrücken müssen. “Es liegt nicht in unserer Macht, wie viele Menschen nach Deutschland kommen“. Diesen für eine Kanzlerin gelinde gesagt etwas wunderlichen Satz sprach Merkel in der Interviewsendung mit Anne Will. Transitzonen sind das praktische Gegenteil dieses Satzes, das konkrete Mittel gegen diese Aussage. Transitzonen, also exterritoriale Räume an Deutschlands Grenze, sollen genau das wiederherstellen: Die Macht darüber, wie viele Menschen in welcher Zeit mit welcher Berechtigung nach Deutschland kommen. Genau das wollte Seehofer, der Merkel vorher vorwarf, eine Flasche geöffnet zu haben, auf die man kaum mehr einen Stöpsel bekomme.

Deshalb ist die Freude in München nicht aufgesetzt oder falsches Triumphgeheul. Sie ist berechtigt. Es manifestiert sich sogar in den Aussagen der anderen beiden Beteiligten. Direkt bei Sigmar Gabriel, der zu Protokoll gibt, die SPD sei weiter gegen die Transitzonen, nur damit „Horst Seehofer eine Trophäe mit nach München nehmen kann“.

Und indirekt auch bei Angela Merkel, die versucht, einen Popanz aufzubauen, um ihr Einknicken bei den Transitzonen zu kaschieren. Bei einer CDU-Veranstaltung in Darmstadt am Montagabend wandte sie sich gegen Zäune und geschlossene Grenzen, weil das zu militärischen Auseinandersetzungen und Verwerfungen führe. Mit Verlaub: Niemand im ernstzunehmenden politischen Spektrum hat das gefordert. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Diesmal wirklich nicht.

In der Sache sind die Transitzonen das probate Mittel, um dem Chaos Herr zu werden. Es gibt gute Einwände dagegen wie jenen, dass dann eben viele ihr Glück über die grüne Grenze fordern. Das ist aber kein hinreichendes Argument gegen diese Einrichtungen an den zentralen Grenzübergängen von Österreich, weil gerade im Winter nicht jeder gewillt sein wird, durch den Inn zu schwimmen oder einen alten Schmuggelpfad über die Alpen zu wählen.

Seehofer hat sich durchgesetzt
 

Also: Innerhalb der Union hat sich die CSU gegen Merkel durchgesetzt, und Merkel ist vor dem Hintergrund von ganz viel CSU auch in ihrer CDU womöglich froh, Druck aus dem eigenen Kessel bekommen zu haben. Die letzten Fraktionssitzungen grenzten in ihrem Verlauf und unter besonderer Berücksichtigung der strukturellen Disziplin des CDU-Abgeordnetem als solchem an Majestätsbeleidigung.

Bleibt die Einigung mit der SPD. Die sollte jetzt dringend verbal abrüsten. Sigmar Gabriel muss seinem Vize Ralf Stegner schlicht verbieten, weiter von „Internierungslagern“ und anderem Blödsinn schwadronieren zu lassen. So weit sind im Kern die so genannten Einreisezentren der Sozialdemokraten nicht von den Transitzonen der Union entfernt. Es sollte sich also ein dritter Begriff finden lassen für Einrichtungen, die den Zustrom von Flüchtlingen an der Grenze in einigermaßen geregelte Bahnen lenkt. Am Ende im Interesse vor allem jener Flüchtlinge, die am dringendsten Hilfe und Schutz brauchen.

Und dieses Wort und der damit verbundene Kompromiss muss schnell gefunden werden. Es tritt sonst nämlich ein, was man in Anlehnung an eine alte britische Pub-Tradition den „Last-Order-Effekt“ nennen kann. Jeder Tag, der mit weiterem parteipolitischen Streit und Wortklauberei vergeht, wird noch mehr Menschen ermuntern, ihre letzte Chance zu suchen, bevor es zu spät ist.

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