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Knatsch in der Regierung - Große Opposition

Die langen Verhandlungen und der regelungswütige Koalitionsvertrag sollten Streitereien in der Großen Koalition vorab verhindern. Vergebens: Union wie SPD scheinen Regieren mit Opponieren zu verwechseln. Und Angela Merkel schaut dabei zu

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Und wo bleibt die Opposition? war eine der bangen Fragen nach der Bundestagswahl und der Bildung einer Großen Koalition. Immerhin hier kann zu Beginn des neuen Jahres entschieden Entwarnung gegeben werden. Die Große Koalition ist beides in einem: Regierung und Opposition, Shampoo und Spülung. Two in One.

Was hatte man sich liebgewonnen und achten gelernt in der Nacht der Nächte, an deren Ende Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel vor die Bundespressekonferenz traten und ihren Koalitionsvertrag präsentierten! Vergessen aller Unflat, den Union und SPD noch im Wahlkampf wechselseitig verbreitet hatten. Sigmar Gabriel ließ sich nicht einmal mit dem Vorhalt aus der Reserve zu locken, wie es denn so sei, mit einem CSU-Minister an einem Tisch zu sitzen, der ihn für „übergewichtig und unfähig“ erklärt hatte. Zu 50 Prozent habe Alexander Dobrindt ja recht, feixte Gabriel und übertraf sich mit Horst Seehofer darin, wer nun mehr für den „kleinen Mann“ in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben habe.

Freizügigkeit, Rente, Energiewende: Ein Streit jagt den nächsten


Derselbe Sigmar Gabriel hat nun mal eben die gesamte bisherige Energiewende-Politik von Merkel für Murks erklärt. Woraufhin die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) in einem Strategiepapier gleich mal sinkende Strompreise in Aussicht stellt.  Derselbe Horst Seehofer bricht mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz einen Streit über die EU-Freizügigkeit der Bulgaren und Rumänen vom Zaun. In der so genannten Rente mit 63 streiten die Koalitionäre auf offener Bühne über die Frage, wie viele Arbeitslosenjahre für die notwendigen 45 Beitragsjahre angerechnet werden dürfen.

Bundesjustizminsiter Heiko Maas entdeckt urplötzlich das sozialdemokratische Herz für den Datenschutz und distanziert sich in Sachen Vorratsdatenspeichering vom Koalitionsvertrag. Die CSU-Politikerin Gerda Hassenfeldt stellt den Kompromiss in Sachen Mindestlohn in Frage. Und Ulrich Kelber (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, kommentierte den Wechsel von Merkel-Intimus Ronald Pofalla zur Deutschen Bahn so: "Da entsteht der Eindruck, dass der bisherige Kanzleramtsminister gezielt gekauft wird." Schließlich sei Pofalla "nicht als Technikvorstand" im Gespräch. 

Das ist schon kein Streit mehr nur in der Sache, sondern auch schon höhnisch im Ton. So sehr weit weg ist man nicht mehr von der Anfangsphase der schwarz-gelben Koalition, die sich irgendwann mit Koseworten wie "Wildsau" und "Gurkentruppe" zu überziehen begann.

Merkel: Langlaufen statt Streitschlichten


Und die Kanzlerin? Tut, was sie in solchen Fällen immer tut. Nichts. Schnappt sich lieber ihre Langlaufski, die sie mit festem Griff und einer etwas derangierten Frisur entschlossen zur Loipe schleppt.

Damals, bei Schwarz-Gelb, wurde hinterher immer gesagt, man habe nicht genug Sorgfalt aufgebracht für den Koalitionsvertrag und sich dafür nicht genug Zeit gelassen. Konsequenzen waren die längsten Koalitionsverhandlungen, die dieses Land je erlebt hat. Die Bundestagswahl fand am 22. September statt. Gerade noch so stand bis Weihnachten eine Regierung.

Viel Zeit, viele Worte: 185 Seiten umfasst der Vertrag, in dem so viel wie möglich geregelt sein sollte, um genau das zu vermeiden, was jetzt innerhalb weniger Tage eingetreten ist: Streit, unterschiedliche Auslegungen des Vereinbarten, vor allem in der Rentenpolitik, aber auch beim Mindestlohn und seinen Ausnahmen.

„Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört“


Dieses Mal ist es nicht die mangelnde Akribie, sondern der fehlende Zusammenhalt, die fehlende gemeinsame Basis. Zu viel „Na gut, in Gottes Namen!“ und zu wenig gemeinsame Überzeugungen. Wie hat vor ein paar Tagen die Juso-Vorsitzende Johanna Ueckermann auf die Frage eines Kollegen der Berliner Zeitung gesagt, wie es ihr dabei gegangen sei, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer im Bundestag scherzen zu sehen? Es wachse „zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört.“

Das sei „erst mal noch ungewohnt“. Ganz offenkundig auch für die Beteiligten selbst.

Der Artikel wurde am 06.01.2013 aktualisiert.

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