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Steuerhinterziehung - "Das Ausmaß hängt von der Akzeptanz des Gesamtsystems ab"

Steuerhinterziehung ergibt sich auch aus der Beobachtung des Verhaltens anderer. Daher braucht eine Gesellschaft auch das Bewusstsein des gesellschaftlichen Nutzens von Steuern, meint die Verhaltensökonomin Veronika Grimm im Telefoninterview

Nils Heisterhagen

Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

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Cicero Online: Frau Professorin Grimm, wie viele Steuern entgehen dem deutschen Staat durch Steuerhinterziehung im Jahr?
Veronika Grimm: Das ist schwer zu sagen, weil es ja ein illegaler Tatbestand ist. Durch Steuerfahndung ergaben sich zum Beispiel im Jahr 2011 insgesamt 2,2 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Es gibt aber auch Abschätzungen zum Umfang der Schattenwirtschaft in den OECD-Ländern. Aus denen ergibt sich, dass man mit 1,5 bis 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes rechnen muss, also in Deutschland mit mehr als 30 Milliarden Euro. Aber es gibt generell ein Messproblem. Das Ausmaß der Steuerhinterziehung lässt sich kaum sauber erfassen.

Kann man unterschiedliche Formen der Steuerhinterziehung unterscheiden?
Ja, zum Beispiel gibt es die Verlagerung von Aktivitäten in die Schattenwirtschaft, also wenn die Mehrwertsteuer bei Handwerkerleistungen unterschlagen wird. Und dann gibt es die Steuerhinterziehung von Kapitalerträgen, die im Ausland erzielt, aber nicht angegeben werden. Das ist ein Teil von dem, was in den Medien mit Steuerflucht bezeichnet wird. Steuerflucht ist es aber auch, dass der Wohn- oder der Firmensitz formal ins Ausland verlagert werden, obwohl man de facto in Deutschland lebt.

Unternehmen und Privatpersonen sollte man beim Thema Steuerhinterziehung also unterscheiden?
Ja, sicherlich. Insbesondere bei großen Unternehmen ist die Steuerplanung das größere Problem für den Fiskus. Steuerplanung bedeutet, dass ein Unternehmen versucht, sich so aufzustellen, dass das Steueraufkommen später nicht in Deutschland anfällt, sondern in einem Land, wo Gewinne extrem niedrig besteuert werden. In diesem Zusammenhang wird auch oft von Steueroasen gesprochen. Mit zunehmender Globalisierung ergibt sich daraus bei der Unternehmensbesteuerung immer mehr ein „Race to the bottom“, auch innerhalb der EU. Steuerplanung ist zwar legal, stellt aber dennoch ein schwerwiegendes Problem dar. Die Steuerlast wird dadurch zunehmend auf Privatpersonen verlagert. Die haben sehr viel weniger Möglichkeiten, sich der Besteuerung zu entziehen. Typischerweise ist Steuerhinterziehung also eine Sache von Privatpersonen, weil Unternehmen in der globalen Welt vielfältige legale Möglichkeiten haben, Steuern zu sparen.

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Steuern hinterzogen werden? Was ist der Anreiz der Leute?
Die Gründe sind sicher so vielfältig wie das Spektrum der Charaktere, die Steuern hinterziehen. Ein Blick in die Medien zeigt: Es gibt nicht den typischen Steuersünder. Die einen versuchen schlicht, ihr verfügbares Einkommen zu maximieren, andere lassen bei der Erklärung ihres Einkommens nicht die nötige Sorgfalt walten. In der verhaltensökonomischen Forschung hat man verschiedene Muster identifiziert, die helfen, das Verhalten zu erklären. Es zeigt sich, dass Menschen einerseits auf Institutionen reagieren sowie auf das, was sie über das Verhalten anderer Menschen beobachten. Bei den Institutionen spielt es eine entscheidende Rolle, ob diese als fair wahrgenommen werden. Haben zum Beispiel Unternehmen und Besserverdienende mehr Möglichkeiten der Steuerplanung, so fühlt sich auch der Normalbürger im Recht, Steuern zu sparen, zum Beispiel durch Schwarzarbeit. Von hoher Bedeutung für die Bereitschaft der Steuerzahler zur Kooperation sind auch eine möglichst effiziente Verwaltung, ein gewissenhafter Umgang mit den öffentlichen Finanzen sowie die Abwesenheit von Korruption.

Und welche Rolle spielt das Verhalten der Mitmenschen?
Das Verhalten der Mitmenschen spielt eine zentrale Rolle dabei, ob jemand Steuern hinterzieht. Erwarte ich, dass diese ehrlich sind, so bin ich geneigt, es auch zu sein. Ein großer Anteil der Menschen ist also „konditional kooperativ“. Das heißt, ich kooperiere nur dann, wenn ich glaube, dass die anderen es auch tun. Es ist folglich von großer Bedeutung, ob das Individuum in einer Gesellschaft lebt, in der es als clever gilt, Steuern zu hinterziehen oder eben als unmoralisch. Wichtig ist: die sozialen Normen und die Institutionen sind interdependent. Ohne einen fairen institutionellen Rahmen ist es schwierig, Steuermoral zu etablieren. Aber auch gute Rahmenbedingungen können in einer Gesellschaft mit schlechter Steuermoral nicht alles in der kurzen Frist herumreißen.

Ist Steuerhinterziehung vielleicht auch ein Symptom einer Giermentalität in der Gesellschaft?
Eigennutz spielt sicherlich eine Rolle. Jeder Steuerzahler behält das eigene Einkommen lieber für sich. Ich glaube aber auch, dass nicht ausschließlich aus monetären Gründen Steuern hinterzogen werden. Oft hört man von Steuersündern, die sich in hohem Maße gesellschaftlich engagiert haben. Dahinter könnte stehen, dass diese über die Verwendung eigener Beiträge zum Gemeinwohl lieber selbst bestimmen möchten. Auch die Anerkennung, die mit freiwilligen Spenden einhergeht, ist höher. Eine wichtige Rolle spielt es auch, wer als Teil der eigenen Solidargemeinschaft empfunden wird: profitieren von den öffentlichen Ausgaben meine direkten Mitbürger am meisten, oder die Einwohner anderer Bundesländer oder sogar Bürger anderer EU-Mitgliedsstaaten? Selbst innerhalb Deutschlands beobachtet man immer wieder, dass hier differenziert wird. Kommt es zur Umverteilung zwischen Bundesländern, so gibt es zwangsläufig Verlierer, bei denen die Akzeptanz des Systems negativ beeinflusst wird. Auch das ist eine Ausprägung einer Giermentalität, wie Sie es nennen.

Sie sprechen davon, dass der Nutzen der Steuergelder vor Ort ankommen soll, damit jemand die Steuerzahlung als legitim empfindet. Lässt sich dann auch sagen, dass derjenige, der generell glaubt, Deutschland habe ein Ausgabenproblem, eher geneigt ist, Steuern zu hinterziehen?
Wer glaubt, dass Steuergelder verschwendet werden, um die Verwaltung aufzublähen, oder das System sogar korrupt ist, der ist weniger gewillt, Steuern zu zahlen. Unsere Forschung gibt klare Indizien dafür, dass es tatsächlich eine entscheidende Rolle spielt, aus welchem Grund die Effizienz des Steuersystems verringert wird. Insbesondere Korruption ist geeignet, die Steuerehrlichkeit einzudämmen.

Aber wichtiger für Steuerehrlichkeit ist eine Mentalität in der Gesellschaft, dass Steuern zu zahlen damit verbunden wird, etwas für die Gemeinschaft zu tun und eben nicht mit dem Gefühl, etwas weggenommen zu bekommen.
Genau, der gesellschaftliche Nutzen muss in den Vordergrund der Debatte rücken. Schließlich finanzieren die Steuereinnahmen eine umfassende Infrastruktur und ein Sozialsystem, auf deren Grundlage letztlich gewirtschaftet wird. Wir stehen in unserer globalisierten Welt jedoch vor dem Problem, dass unterschiedliche Gruppen der Bevölkerung sehr unterschiedlichen Chancen haben, Steuern zu umgehen. Abhängig Beschäftigte, bei denen Steuer vorab vom Lohn abgezogen wird, und bei denen also nur noch das Netto-Gehalt auf dem Kontoauszug erscheint, können die Steuerzahlung kaum abwenden. Selbstständige, insbesondere solche mit sehr hohen Einkommen, haben hier weit mehr Möglichkeiten. Es droht damit eine Situation in der die ökonomisch schlechter gestellten Bürger einen unangemessen hohen Anteil am Steueraufkommen haben – das schafft ein gravierendes Akzeptanzproblem. In jüngerer Zeit gibt es daher unterschiedliche Versuche, dem entgegenzuwirken. Zum Beispiel beobachtet man in verschiedenen Ländern Initiativen der Steuerbehörden, enger mit Unternehmen zu kooperieren, um aggressive Steuerplanung zu verhindern. Im Gegenzug für eine unmittelbare Klärung von offenen Fragen im Rahmen der Besteuerung sichern die Behörden zu, nachträglich nicht mehr zu prüfen. Die Hoffnung ist es, dass aggressive Steuerplanung bei engem Kontakt mit den Behörden schwerer vermittelbar ist und somit teils unterbleibt. Diese Initiativen werden zum Beispiel in den Niederlanden vorangetrieben und als „Horizontal Monitoring“ bezeichnet.

Führen höhere Spitzensteuersätze zu mehr Steuerunehrlichkeit und Steuerflucht?
Das ist eine sehr komplexe Frage. Generell lässt sich sagen: Das Ausmaß der Steuerhinterziehung hängt von der Akzeptanz des Gesamtsystems ab – und diese könnte sich durch eine Erhöhung der Spitzensteuersätze bei niedrigen Einkommensgruppen insgesamt erhöhen. Während die betroffenen Steuerzahler eventuell mit mehr Steuerhinterziehung reagieren, ist der Effekt auf die Ehrlichkeit niedriger Einkommensgruppen vielleicht positiv.

Gibt es einen Steuersatz, der Steuerehrlichkeit maximiert?
Ja, Null (lacht). Aber der Staat braucht ja Steuereinnahmen, um seine Aufgaben zu erfüllen. Und es gibt auch nicht einen Steuersatz, sondern ein komplexes System von Steuern. Wichtig ist zum einen, dass dieses System eine hohe Akzeptanz erfährt, was dadurch befördert wird, dass es als effizient, transparent und fair empfunden wird. Und dann gibt es die Kosten der Steuerfahndung, die umso höher sein werden, je geringer diese Akzeptanz ausfällt. Es gibt viele Stellschrauben, an denen es sinnvoll wäre zu drehen. Das Steuersystem muss einfacher werden, bräuchte weniger Ausnahmen und Sonderregelungen. Es sollte auf internationaler Ebene ernsthafte Versuche geben, dem Steuerwettbewerb Einhalt zu gebieten, der auch innerhalb Europas umfangreiche Möglichkeiten zur Steuerplanung schafft. Und es braucht parallel sicherlich einen moralischen Diskurs über das Thema, der solche Aktivitäten mit trägt.

Ich danke Ihnen für das Interview Frau Grimm.

Veronika Grimm ist Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere für Wirtschaftstheorie, an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Sie forscht im Bereich der Verhaltensökonomie und koordiniert das Forschungsprojekt „Taxation, Social Norms, and Compliance: Lessons for Institution Design“

 

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