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Steuerhinterziehung - Die wahren Asozialen

Während Millionen von Menschen in einem reichen Land wie der Bundesrepublik nicht von ihrem Lohn leben können, schaffen die Superreichen ihr Vermögen in die Steuerparadiese dieser Welt, um dem Finanzamt zu entkommen – und die Sparkanzlerin schaut zu

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Michael Lühmann, geboren 1980 in Leipzig, Politikwissenschaftler und Historiker, lebt und arbeitet in Göttingen. Zuletzt ist von ihm das Buch "Der Osten im Westen – oder: Wie viel DDR steckt in Angela Merkel, Matthias Platzeck und Wolfgang Thierse?" e

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Kaum sind die Feierlichkeiten zu zehn Jahren Agenda-Politik über die Bühne gegangen, kaum ist zum 1. April in England der größte sozialpolitische Einschnitt seit dem 2. Weltkrieg in Kraft gesetzt worden, während die südeuropäischen Krisenländer ihre Sozialausgaben eindampfen müssen, liefert Offshore-Leaks den kontrafaktischen Meta-Kommentar zur Schuldenkrise und zur sozialen Frage.

Es geht, soviel ist bereits klar, um sehr viel Geld. Die nun von einem Netzwerk investigativer Journalisten auf Basis zugespielter vertraulicher Dokumente veröffentlichten Eindrücke aus dem Innenleben aufwendig verschatteter Steueroasenarithmetik offenbaren ein bisher noch nicht zu bezifferndes schwarzes Loch der Weltwirtschaft. Superreiche transferieren ihre Gelder in Oasen wie die Cayman Islands, um Steuern zu sparen. Sie zeigen, wie der umgekehrte Traum der Alchemisten, Stein in Gold zu verwandeln, funktioniert, wie aus riesigen Vermögenswerten kümmerliche Bröckchen in Stiftungsform werden.

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Nun kann einen das, zumal im Angesicht der gerade gelaufenen Debatte um die Zypern-Rettung, nur wenig wundern. Gleichwohl liefern die Enthüllungen einmal mehr den Kontext, der einen Paradigmenwechsel in der Debatte um die Verteilung von Reichtum und Armut in Deutschland, Europa und der gesamten Welt liefert. Und dass es ein notwendiger Wechsel ist, hat in den vergangenen Wochen niemand mehr illustriert als die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.

[[{"fid":"52552","view_mode":"teaser","type":"media","attributes":{"height":182,"width":220,"style":"width: 260px; height: 215px; margin: 10px 5px; float: left;","class":"media-element file-teaser"}}]]Schulterzuckend stand sie daneben, als in Zypern die Sparguthaben des kleinen Sparers zur Rettung des Bankenwesens angetastet werden sollten. Währenddessen verschaffte dieses Schulterzucken den schwerreichen Anlegern die nötige Atempause, um gigantische Vermögenswerte abzuziehen, bevor diese zur Rettung des aufgeblähten  Bankensektors verwendet werden konnten. Auch in der Bundesrepublik war und ist es jeder noch so kleine Steuerzahler, der die hiesige Bankenrettung überproportional bezahlt. Und nicht jene, die mit Hilfe des gleichen Bankensektors ihre Gelder in komplizierten Briefkastenfirmen verstecken, um dem jeweiligen nationalen Fiskus Steuern vorzuenthalten.

Während sich eine steinreiche Finanzaristokratie – der Millionenerbe, Playboy und Lebemann Gunter Sachs zu Lebzeiten als Beispiel – um nichts mehr sorgt, als um die Mehrung ihres Vermögens, können Millionen von Menschen in einem reichen Land wie der Bundesrepublik nicht von ihrer realen Arbeit leben. Während Millionen Menschen nichts zu vererben haben außer Schulden, verstecken die Superreichen ihr Geld vor der Erbschaftssteuer. Hinzu kommt, was sich am Beispiel der Bundesrepublik sehr gut illustrieren lässt: Die Grundlagen vieler großer privater Vermögen in diesem Land sind nicht selten zu Zeiten des Wirtschaftswunders infolge der Zerstörungen des 2. Weltkrieges generiert oder infolge der Deutschen Einheit gemehrt  worden.

Es ist deshalb alles andere als unredlich, in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte und des demographischen Wandels von den privilegierten Generationen über Vermögens- oder höhere Erbschaftssteuern zurückzufordern, was in Zeiten des Überflusses gegeben wurde. Ein kleiner, aber eben nicht selten sehr vermögender Teil dieser bevorteilten Generationen hat indes den Generationenvertrag durch Steuerverweigerung aufgekündigt. Eher noch verabschieden sich die Vermögenseliten (oder wenigstens deren Vermögen) aus den sie schützenden und privilegierenden Gesellschaften, sobald ihre Verantwortung gefragt ist.

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Es sind dies die wahren Asozialen. Und nicht, wie in so mancher öffentlich inszenierten Debatte, die unter Betrugsgeneralverdacht stehenden Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen. Nicht Florida-Rolf oder Viagra-Kalle sind eine Gefahr für die Gesellschaft, sondern jene auf illegale Steuervermeidung fixierte Schicht von Besitzenden. Die Schicht, die durch direkten Besitz oder indirekte Beteiligung im Übrigen vielfach die staatlich gestützten Mieten von Sozialleistungsempfängern selbst kassiert, im Niedriglohnsektor zugleich von staatlichen Aufstockungen wirtschaftlich profitiert. Die also gleichzeitig Steuern durch Briefkastenfirmen spart, während sie ihr Vermögen zu nicht unerheblichen Teilen aus steuerfinanzierten Leistungen generiert.

Doch auch hier verweigert sich Merkel einem notwendigen Ausgleich. Höhere Abgaben auf Erbschaften oder auf Vermögen lehnt sie ebenso konsequent ab, wie sie zugleich Mindestlöhne und höhere Hartz-IV-Sätze unbedingt zu meiden sucht. Nicht einmal die Appelle Vermögender, doch bitte die Steuern zu erhöhen, können die Sparkanzlerin umstimmen. Eher noch, das Beispiel Zyperns hat es gezeigt, verweigert die Kanzlerin dem kleinen Sparer die schützende Hand.

Um sie jenen anzubieten, die sie am wenigsten brauchen oder verdienen:  Banken, Finanzmärkten und den an diesen Spots spielenden Vermögenden, den oberen ein bis zehn Prozent der Gesellschaft. Dabei ist es genau jene Gruppe, die eigentlich am wenigsten der Fürsorge bedarf. Ohnehin finanziell bestens ausgestattet haben sich deren Einkommen und Vermögen in den letzten Jahren konsequent und deutlich vom allgemeinen Abwärtstrend in den Mittelschichten entkoppelt. Vielmehr öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter.

Die auf den Zahlen des Statistischen Bundesamtes und der Bundesbank basierenden Angaben zur Verteilung von Reichtum und Schulden in Deutschland, die etwa das Bündnis UmFAIRteilen  popularisiert, liefern die Zahlen zur Diagnose. Während zwei Drittel der deutschen Vermögenswerte gerade einmal von zehn Prozent der Deutschen gehalten werden, besitzen die „unteren“ 50 Prozent gerade einmal knapp mehr als ein Prozent. Um noch deutlicher zu werden: Während die Hälfte der Deutschen annähernd kein Vermögen hat, besitzen die oberen 800.000, also jenes reichste Prozent, pro Kopf deutlich über 4.000.000 Euro. 

Und: Deren Vermögen wächst deutlich überproportional weiter, in etwa zehnmal so schnell wie die deutsche Staatsverschuldung. Jene Verschuldung, die einen stärkeren sozialen Ausgleich dank Schuldenbremse unmöglich macht, so lang der Reichtum dieser Gesellschaft nicht nur zu niedrig besteuert wird, sondern irgendwo in Übersee vor dem Fiskus versteckt wird.

Es ist längst an der Zeit, hier gegenzusteuern. Höhere Vermögensabgaben und eine stärkere Besteuerung von Erbschaften sind der eine Weg, stärkere Kontrolle und wesentlich härter Strafen für Steuersünder ein weiterer. Und nicht zuletzt bedarf es einer grundlegenden Debatte über die Verantwortung derer, die den größten Teil des Kuchens besitzen, während sich der Rest der Gesellschaft über die Verteilung der Krümel streitet.

 

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