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Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe - Fast alles verfassungswidrig

Soll Sterbehilfe legalisiert werden? Der Bundestag stimmt am 6. November – ohne Fraktionszwang – über vier Gesetzentwürfe zu dem Thema ab. Gleich drei von ihnen sind nach Ansicht des Rechtsphilosophen Christian Hillgruber nicht mit dem Grundgesetz vereinbar

Autoreninfo

Prof. Dr. Christian Hillgruber lehrt Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

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Die Debatte um Sterbehilfe und ärztliche Suizidbeihilfe ist nicht ausschließlich eine politische oder ethische Debatte. Sie wirft auch zahlreiche verfassungsrechtliche Fragen auf, die bei der anstehenden Gesetzgebung zu beachten sind.

Mit Blick auf den sterbewilligen Menschen stehen sich zunächst zwei Rechtspositionen gegenüber: das Grundrecht des Suizidenten auf freie Enthaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie die staatliche Schutzpflicht, das Leben des Grundrechtsträgers zu schützen und unter Umständen auch zu retten (Art. 2 Abs. 2 GG). Es geht also um die Rechtsgüter von Freiheit und Leben.

Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat. Sie sollen den Grundrechtsträger vor ungerechtfertigten Eingriffen durch Hoheitsträger schützen. Zugleich stellen sie aber Rechtspositionen dar, die der Staat aktiv zu schützen und zu bewahren hat. In besonderer Weise gilt dies für das Grundrecht auf Leben. Die Entscheidung für den Suizid kann der Staat etwa nur dann als Akt zu achtender, individueller Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) hinnehmen, wenn sie wirklich frei erfolgt, also nicht auf einer krankhaften Störung wie einer Depression oder depressiven Verstimmung beruht und wenn sie nicht durch fremde äußere Einflüsse maßgeblich bestimmt worden ist. Wenn also der Staat bei einem Suizidversuch einschreitet und diesen verhindert, so ist dies nicht Konsequenz eines paternalistisch-bevormundenden Staatsverständnisses, sondern Ausdruck der verfassungsrechtlich verankerten Schutzpflicht des Staates für das Leben.

Menschliches Leben könnte entwertet werden


Die Beteiligung Dritter am tödlichen Geschehen (aktive Sterbehilfe, Beihilfe oder Anstiftung zum Suizid) verändert die verfassungsrechtliche Lage noch einmal. Jetzt geht es nicht mehr nur um den Schutz individuellen menschlichen Lebens vor zerstörerischen Einwirkungen des Rechtsgutträgers selbst, sondern auch um dessen Schutz vor Handlungen Dritter. Wenn wirklich von einer freien, als Selbstbestimmung zu achtenden individuellen Entscheidung die Rede sein soll, muss der Sterbende vor dem (wirklichen oder auch nur gefühlten) Druck seiner Umgebung in Richtung Suizid effektiv geschützt werden.

Die Gefahr einer Verfälschung des wirklichen Willens des Sterbenden ist als hoch einzuschätzen, zumal es sich beim Suizid um einen irreversiblen Akt handelt. Dabei besteht gerade im Falle schwerstkranker Patienten das Risiko, dass der Rechtsanwendung ein vorgestellter oder vorgespiegelter Sachverhalt zugrunde gelegt wird, der der Realität eigentlich nicht entspricht. Auch die erforderliche Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches lässt sich praktisch kaum verifizieren. Stehen aber Ernst- und Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches in Frage, hat der Staat im Zweifel für das Leben einzutreten (Art. 2 Abs. 2 GG).

Hinzu kommt eine staatliche Schutzpflicht zugunsten der allgemeinen Achtung vor dem Leben. Eine von Suizidhilfeangeboten ausgehende abstrakte Gefahr für eine Entwertung menschlichen Lebens lässt sich kaum bestreiten. So könnte es zu einem wachsenden Druck auf todkranke Menschen kommen, ihrer „Ballastexistenz“ für andere (Angehörige, Pfleger, Erben) durch vermeintlich fürsorgliche Hilfestellung schon vor dem sich noch verzögernden Eintritt des natürlichen Todes ein Ende zu setzen. Ferner könnte es zu einem negativen Bewusstseinswandel im Umgang mit dem Leben kommen, zu einer „Kultur des Todes“. So könnte sich die Bereitschaft erhöhen, auch ohne oder gar gegen den freien Willen des Sterbenden dessen Leben zu beenden, weil es von Dritten als sinnlos und nicht mehr lebenswert angesehen wird. Die Erfahrungen aus den Niederlanden oder Belgien bestätigen diese Befürchtung.

Den Staat trifft eine Schutzpflicht aus der Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) – als Schutz des verzweifelten und deshalb nicht wirklich freien Suizidenten vor der „Entwertung seiner selbst“ sowie als Schutz vor Dritten. Auch der Gehilfe macht sich letztlich die „Wertung“ des Lebensmüden, sein Leben sei nichts mehr wert, zu eigen. Darin aber liegt eine vom Staat in Erfüllung seiner Schutzpflicht abzuwehrende Missachtung des in der Menschenwürde gründenden Eigenwerts jedes menschlichen Lebens.

Die Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe sind ungenügend


Drei von vier der in der Debatte um Sterbehilfe vorgelegten Gesetzentwürfe tragen der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben und die Würde jedes Menschen nur ungenügend Rechnung. Eine Beschränkung des Verbotes der Sterbehilfe auf geschäftsmäßige oder organisierte Fälle, wie es der Entwurf von Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) vorsieht, wird dieser staatlichen Schutzpflicht nicht gerecht. Vielmehr bestehen gerade auch im engeren familiären Umfeld des Sterbenskranken Abhängigkeiten und Erwartungshaltungen, die die stets prekäre freiverantwortliche Entscheidung am Lebensende strukturell gefährden.

Die Gesetzentwürfe von Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Die Linke) einerseits sowie Peter Hintze (CDU) und Carola Reimann (SPD) andererseits, die ärztliche Suizidbeihilfe unter bestimmten Voraussetzungen legalisieren und so das in 10 von 17 Ärztekammerbezirken geltende Verbot außer Kraft setzen wollen, sind mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet bereits formell verfassungswidrig. Aber auch materiell bestehen durchgreifende Zweifel daran, ob durch eine gesetzlich näher ausgestaltete Organisation der Suizidbeihilfe bei Künast und Sitte dem verfassungsrechtlich gebotenen Autonomie- und Lebensschutz ausreichend Rechnung getragen werden kann.

Diesem hohen Schutzgut genügt hingegen der Gesetzentwurf von Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU), der ein umfassendes Verbot der Suizidbeihilfe vorsieht. Ein solches Verbot, mit dem die Rechtsordnung gegen die Selbsteinschätzung des Lebensmüden um der Menschenwürde willen daran festhält, dass das Leben unter allen Umständen ein erhaltenswertes Gut darstellt, ist nicht nur verfassungskonform, sondern verfassungsrechtlich sogar geboten.

Prof. Dr. Christian Hillgruber lehrt Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Der Text basiert auf einem Gutachten, das der Verfasser für eine Anhörung vor dem Deutschen Bundestag verfasst hat.

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