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Sterbehilfe - Das Töten darf kein Geschäft werden

Kisslers Konter: Sollen kommerzielle Anbieter beim Sterben helfen dürfen? Nein, denn das wäre ein Schritt von der individuellen Wunscherfüllung hin zur sozialen Barbarei. Aus liberaler Sicht braucht der Markt wenige, aber starke Grenzen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Zwei große Missverständnisse stehen dem Erfolg des Liberalismus in Deutschland entgegen. Das eine besagt, dass von ihm nur die profitierten, die sich ihn leisten könnten: die Erfolgreichen und Schönen und Bessergestellten. Als ein Lifestyle-Accessoire der oberen Zehntausend. Die breite Masse verlange nicht Freiheit, sondern Sicherheit, nicht weniger, sondern mehr Staat, damit dieser sie vor den Risiken der Moderne schütze. So argumentieren die Beharrer und Bewahrer, die Profiteure der Sozialindustrie und des Staatsapparats, die alle Menschen für schwer erziehbare Kinder halten. Solche Reaktionäre der Entmündigung findet man in sämtlichen Parteien.

Das andere Missverständnis entspringt dem Kern des Liberalismus selbst und ist nicht minder falsch. Vollendet frei sei eine Gesellschaft erst dann, wenn es zwischen individuellem Bedürfnis und Befriedigung, Wunsch und Erfüllung keinen Umweg mehr gebe. Wenn die Gesellschaft all jene Mittel und Wege umstandslos bereitstelle, damit der Einzelne schalten und walten darf, wie es ihm gerade zumute ist. Dieser Fantasie liegt ein ebenso reduziertes Menschenbild zugrunde. Dem betreuungsbedürftigen Mündel korrespondiert der Mensch als Bedürfnispuppe. Zu den menschenfreundlichen Höhen der Person, die nur in einem Klima echter Liberalität gedeihen kann, schwingt sich keines der beiden Modelle auf.

Beispielhaft lässt sich das illiberale Missverständnis an der Debatte zur Sterbehilfe ablesen. Dass der Staat niemanden zwingen darf, seinem Leben ein Ende zu setzen oder über alle Qual und Fährnis hinweg daran festzuhalten, ist weitgehend unstrittig. Sterbe- wie Wohnzimmer müssen auch künftig vor den Zumutungen wohlmeinender Vollzugsbeamter verschont bleiben. Angesichts der neuen deutschen Lust am Spähen und Spionieren wird diese Grenze schwer genug zu verteidigen sein. Anders verhält es sich mit der zur parlamentarischen Entscheidung anstehenden Frage, ob den Ärzten es künftig erleichtert oder erst recht untersagt werden sollte, Patienten auf deren Wunsch das Sterben zu verkürzen oder direkt den Tod ins Werk zu setzen. Soll der Gesetzgeber ausdrücklich erklären, dass ein Arzt nicht tun soll, woran ihn bisher die Standesregel hindert, töten nämlich? Oder soll der Arzt und nur der Arzt unter bestimmten Bedingungen tun dürfen, was Vereinen untersagt bleiben muss? Darauf wird es wohl hinauslaufen: auf das Verbot organisierter und/oder kommerzieller Sterbebeihilfe bei Aufrechterhaltung des Tötungstabus.

Freiheit hat Grenzen
 

Ist nun aber, wie es auch hier zu lesen stand, derjenige ganz besonders liberal, wer der „Hilfe kommerzieller Anbieter“ beim Getötetwerden das Wort redet? Nein, ganz im Gegenteil. So wird die Grenze zur Illiberalität überschritten. Es stimmt schon, dass eine liberale Gesellschaft eines freien Marktes bedarf und dass ohne Marktwirtschaft und Kapitalismus keine bürgerlichen Grundrechte dauerhaft zu schützen sind. Die Freiheit zu handeln geht dem Eigentumsrecht voraus, das wiederum die Basis einer jeden Bürgergesellschaft der Gleichen ist. Daraus folgt nun aber keineswegs, dass alle Güter und alle Dienstleistungen voraussetzungslos zum Handel freigegeben sein müssen. Dem Waffenhandel sind enge Grenzen gesetzt, der Menschenhandel ist sanktioniert, der Organhandel hoch umstritten, und wer einen Killer sucht, muss jenseits des freien Marktes und hoffentlich erfolglos Ausschau halten. Und weshalb? Um der Menschlichkeit willen müssen die wenigen Handelsverbote entschlossen verteidigt werden. Sonst wäre soziale Barbarei die Folge individueller Bedürfnisbefriedigung.

Gerade so verhielte es sich mit der „Hilfe kommerzieller Anbieter“ auf der letzten Etappe. Gäbe es diese Anbieter, wäre der Tod zum Handelsobjekt entstellt, das im Wert steigen und fallen würde, für das geworben und businessgeplant werden, für das es Rabattaktionen und Kundenkarten geben kann. „Zahle jetzt, stirb später“? „Zweimal zahlen, dreimal sterben – die große Familiensparaktion mit Bonusgarantie“? Keinem „kommerziellen Anbieter“ könnte man ob solch taktloser Lautsprecherei einen Vorwurf machen, der Kommerz wäre ja sein Daseinszweck. Wenn der Tod zur Börse fährt, ist der sterbende Mensch schon Verhandlungsmasse geworden und also entmenschlicht. An die Stelle der Kunst zu sterben wäre die Technik der Entsorgung getreten. Aus vermeintlich liberalen Gründen wären wir in einem bloß verfahrenstechnischen Laissez-faire gelandet.

Freiheit braucht Verantwortung. Liberalismus ohne Ordnung ist ein Boxkampf ohne Ring und ohne Seile. Darum wären kommerzielle Tötungsspezialisten ein Abschied vom Menschen und seiner Größe, die alle Zwecke überragt. Der englische Schriftsteller und Journalist G. K. Chesterton sagte: „Es ist so leicht, anfänglich etwas zu behaupten, das fabelhaft gescheit klingt, und so schwer, es später mit dem gesunden Menschenverstand in Einklang zu bringen.“

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