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Schwarz-Rot - Willkommen in Absurdistan

Knapp zwei Monate ist die Bundestagswahl nun her. Wer Deutschland künftig regieren soll, steht aber immer noch nicht fest. Die Große Koalition wäre jedenfalls das Bündnis einer desorientierten Union mit einer SPD, die sich soeben für politisch bankrott erklärt hat

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Angeblich hat sich die Mehrheit der Deutschen vor der Wahl eine Große Koalition gewünscht. Was auch immer der Grund dafür gewesen sein mag – ob Sehnsucht nach Kuhstallwärme in der Politik oder der naive Glaube, es müssten sich nur die Union und die SPD zusammentun, damit die Probleme dieses Landes abgeräumt würden: Die Begeisterung in der Bevölkerung über ein rot-schwarzes Bündnis dürfte sich inzwischen gelegt haben. Denn die Vermutung liegt nahe, dass die Hängepartie der derzeitigen Koalitionsverhandlungen nur ein Vorgeschmack wären auf das gemeinsame Regierungshandeln, wenn es denn überhaupt so weit kommen sollte.

Es ist schon eine einigermaßen groteske Veranstaltung, die dem deutschen (und internationalen) Publikum derzeit geboten wird: Zwei Monate liegt die Bundestagswahl mittlerweile zurück, und noch immer ist nicht absehbar, wer mit wem dieses Land künftig regieren kann oder will oder auch nur darf. Die deutschen Ermahnungen in Richtung Europas Süden, man möge sich dort gefälligst um stabile Mehrheiten kümmern, sollten sich damit vorerst erledigt haben. Wir treten hier nämlich gerade den Beweis an, dass wirtschaftliche Stärke und politische Dysfunktionalität einander keineswegs ausschließen.

Jetzt zeigt sich, dass die schleichende Sozialdemokratisierung und Vergrünung der CDU alles andere als ein Freifahrtschein für Regierungsbündnisse jeglicher Couleur waren; das hatten sich die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus gewiss anders vorgestellt. Aus dieser Erkenntnis heraus schluckt die Union nun willfährig jeden Brocken, beinahe noch bevor er ihr von den roten Verhandlungspartnern vor die Füße geworfen wird: Mindestlohn, Doppelpass, Rente mit 63, auch das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ist schon so gut wie gefressen.

Wenn sich CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt gestern ernsthaft wegen des „Markenkerns“ der Union besorgt zeigte, wüsste man nicht nur gern, welchen „Kern“ er damit meint. Sondern vor allem, woher sein unwilliges Erstaunen über das breitbeinige Auftreten der SPD rührt. Denn strategisch sind die Sozialdemokraten schon seit dem Wahlabend in einer komfortableren Situation; noch dazu wurde beim Leipziger Parteitag die taktische Beinfreiheit durch eine Öffnung zur Linkspartei endlich auch offiziell erweitert. Da spielt es dann ersichtlich keine Rolle mehr, ob hier der 25,7-prozentige SPD-Schwanz mit dem 41,5-prozentigen Unions-Hund wackelt. Denn wenn er es nicht könnte, würde er es auch nicht tun.

Die SPD nimmt geradezu absolutistische Züge an


Die zurückliegende Bundestagswahl hat ja einige politische Gewissheiten auf den Kopf gestellt. Zu den besonders originellen Volten gehört die Tatsache, dass die SPD ihre offen zur Schau gestellte Verhandlungsstärke aus ihrer eigenen Schwäche bezieht. Da stellt sich also in Leipzig der Parteivorsitzende vor die versammelten Genossen und erzählt ihnen, viele Leute hätten das Gefühl, „dass wir ihren Alltag nicht nur nicht kennen, sondern auch nicht mehr ernst nehmen“ – was ja nun wirklich einer politischen Bankrotterklärung gleichkommt. Um hinterher großmäulig an die Union zu appellieren: „Jetzt müsst ihr liefern!“. Es ist bizarr. Und gleichzeitig eben auch wieder nicht, denn die unzufriedene SPD-Basis bietet ihrem Chef das nötige Potential, um der Union die volle sozialdemokratische Agenda aufzudrücken.

Mal ganz davon abgesehen, ob es für die Bundesrepublik wirklich erstrebenswert ist, von einer Partei mitregiert zu werden, die nach Aussage ihres eigenen Vorsitzenden den Kontakt zur Bevölkerung verloren hat, stellt sich doch die Frage: Ist die Übernahme von Regierungsverantwortung der richtige Weg zur Gesundung der deutschen Sozialdemokratie? Die täglichen Befindlichkeitsauskünfte führender Genossen über ihre Bündnisbereitschaft mit der Union – ja, nein, vielleicht, vielleicht aber auch lieber nicht – nerven jedenfalls gewaltig. Koalitionsverhandlungen sind keine psychotherapeutische Sitzung. Oder sollten es zumindest nicht sein.

Sigmar Gabriel hat in Leipzig nicht nur damit begonnen, die Gräben zwischen SPD und Linkspartei zuzuschütten. Er hat sich auch ausdrücklich von der Maxime verabschiedet „erst das Land, dann die Partei“. Das Gegenteil sei nämlich richtig: Was der SPD schade, sei auch nicht gut für das Land. Ludwig XIV. brachte diese Erkenntnis noch etwas bündiger auf den Punkt: „L’Etat c’est moi!“ Wollen wir also wirklich von einer absolutistischen Partei regiert werden, die von ihrem eigenen Vorsitzenden für weltfremd und abgehoben erklärt wird? Ich glaube, ich könnte darauf ganz gut verzichten.

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