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Letzte Chance Koalitionsbruch? - Die Kannbruchstelle

Will die SPD nicht abermals 2017 gegen Angela Merkel verlieren, hat sie nur eine Option: Sie muss die Koalition platzen lassen. Der NSA-Skandal könnte ein Anlass sein

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die SPD ist nicht nur in der Großen Koalition, sondern auch in einem großen Dilemma. Nach menschlichem Ermessen hat sie bei der kommenden Bundestagswahl 2017 keine Chance gegen Kanzlerin Angela Merkel, der sie bis dahin auch noch die Koalitionstreue halten muss. Es ist deshalb durchaus möglich, dass sich SPD-Chef Sigmar Gabriel Gedanken darüber macht, wie der Kelch an ihm vorüber gehen könnte. Dass er andere vorschickt, ob Martin Schulz oder Manuela Schwesig oder wen auch immer, den Trostpreis bei der Wahl in gut zwei Jahren abzuholen.

Eine direkte Abwahl eines Kanzlers hat in Deutschland ohnehin selten stattgefunden. Genau genommen nur zwei Mal: 2005 beendete Angela Merkel Rot-Grün und 1998 löste Gerhard Schröder nach 16 Jahren Helmut Kohl ab. Beide Ab-Wahlen hatten eine entscheidende Zutat: Wechselstimmung im Land. Das ist der strukturelle Unterschied zu heute. Angela Merkel über die Wahlurne zu schlagen, wird mittelfristig schwer möglich sein.

Nach Lage der Dinge hat die SPD nur die Chance, die seinerzeit die FDP eiskalt ergriff, als sie 1982 mit dem berühmten Lambsdorff-Papier der SPD die Zusammenarbeit faktisch aufkündigte und Bundeskanzler Helmut Schmidt zwang, das Handtuch zu werfen. Für so ein Manöver braucht man immer einen triftigen, überzeugenden Grund. Die Kannbruchstelle einer Koalition muss so markiert sein, dass der Anlass das strategische Ziel rechtfertigt.

Kannbruchstelle NSA-Skandal
 

Lange war weit und breit kein solcher Anlass in Sicht. Jetzt ist er da. Die neuen Erkenntnisse über den NSA-Skandal in Deutschland bieten diesen Anlass. Schon bisher sprengte dieser monströse Abhörskandal unter Partnerstaaten jede Vorstellungskraft. Sogar die der Kanzlerin, der deshalb der Satz „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“ entfleucht ist.

Nun belegen Dokumente, dass das Kanzleramt schon 2008 seitens des Bundesnachrichtendienstes darüber informiert war, dass die amerikanischen Geheimdienste eben jenen BND dafür instrumentalisierten oder instrumentalisieren wollten, namhafte deutsche, beziehungsweise europäische Rüstungskonzerne auszuspähen. Damit hat der Skandal eine neue Dimension. Sowohl inhaltlich: Zur Totalausspähung aller Bürger und der Regierung bis hin zur Kanzlerin kommt nun noch Industriespionage.

Und politisch: Die Spur des NSA-Skandals führt jetzt bis ins Nebenzimmer der Kanzlerin im Kanzleramt.

Eine ideale Kannbruchstelle für die SPD, weshalb sie auch schon beginnt, darauf einzuhauen. Hinzu kommt, dass die Schlüsselfigur Thomas De Maizière heißt. De Maizière war seinerzeit Kanzleramtschef und damit zuständig für die Geheimdienste und deren Hinweise.

Rot-Rot-Grün oder Ampelbündnis?
 

Ideal aus der Sicht der SPD, weil de Maizière im Moment ohnehin das Gegenteil eines Laufes hat, und die beste Verbündete der SPD in diesem Fall hinter den gegnerischen Linien agiert. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat aus sachlichen Gründen und möglichen strategisch-individuellen Konkurrenzerwägungen ihren Kollegen de Maizière bereits hinreichend geschwächt. Stichworte sind: Euro Hawk und  G36.

Wer sich eine Kannbruchstelle ausguckt, so wie seinerzeit die FDP die Wirtschaftspolitik, der muss sich auch fragen, was passiert, wenn es an der Stelle dann wirklich bricht. Auch in dieser Hinsicht ist der NSA-Abhörskandal ideal. Denn einerseits kann die SPD morgen eine eigene Mehrheit im Bundestag mit Rot-Rot-Grün stellen. Vor allem aber könnte sie - Parallele zu 1982 - bei der dann folgenden Bundestagswahl auf Bündnisse mit Parteien gehen, die die Bürgerrechte hoch halten. Und das könnte sogar ein hinreichender Klebstoff sein, um die sich wechselseitig in Abneigung verbundenen Liberalen und Grünen zu einem Ampelbündnis zusammenzubringen.

Alles recht kühne Überlegungen. Zugegeben. Aber es lohnt sich, da wach zu sein. Denn die SPD hat nur zwei Optionen: Entweder sie sucht eine günstige Gelegenheit, die Koalition aus nachvollziehbaren Gründen platzen zu lassen. Oder sie wird von Angela Merkel 2017 das dritte Mal zur Schlachtbank geführt. Das eine birgt ein hohes Risiko, aber auch eine Chance. Das andere steht weitgehend fest.

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