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SPD - Partei des donnernden Weder-noch

Die Sozialdemokraten feiern Malu Dreyer und verdrängen ihren dramatischen Niedergang in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Wenn die SPD so weitermacht, brechen auch bundespolitisch bittere Zeiten an

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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„So sehen Sieger aus!“, sangen die Sozialdemokraten, als am Sonntagabend der Wahlsieg von Malu Dreyer feststand. Laut sangen sie, fröhlich sangen sie, ganz so, als glaubten die Genossen, sie könnten mit diesen Gesängen zugleich die bösen Geister vertreiben. Auch am Montag stand die Parteispitze ganz im Bann des unerwarteten Wahlsieges in Rheinland-Pfalz. Für Parteichef Sigmar Gabriel war dieser der sichere Beleg, „dass die SPD Wahlen gewinnen kann und starke Volkspartei ist“. Über Baden-Württenberg und Sachsen-Anhalt sprach Sigmar Gabriel nur kurz. Was hätte er auch sagen sollen?

SPD in der Existenzkrise


12,7 Prozent in Baden-Württemberg, 10,6 Prozent in Sachsen-Anhalt. Zweistellige Verluste, rund die die Hälfte der Wähler eingebüßt. Auf den dritten beziehungsweise vierten Platz in der Wählergunst zurückgefallen. Es ist nachvollziehbar, dass Sigmar Gabriel am Montag den Journalisten keine Fragen beantworten mochte. Für schnelle Erklärungen und flüchtige Analysen ist die Lage der SPD viel zu dramatisch. Nur notdürftig kann Malu Dreyer, die ja auch nur 0,5 Prozentpunkte zulegen konnte, während der grüne Koalitionspartner verloren ging, überdecken: Die SPD steckt in einer Existenzkrise.

Natürlich gibt es in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt hausgemachte Gründe. In Baden-Württemberg hat ein überragender grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann dem Koalitionspartner keine Luft gelassen. In Sachsen-Anhalt war die SPD-Spitzenkandidatin im Wahlkampf völlig blass geblieben. Es mag zudem sein, dass Landtagswahlen immer mehr zu Ministerpräsidenten- beziehungsweise Ministerpräsidentinnenwahlen geworden sind, dass die Juniorpartner in den Landesregierungen vom Wähler sowieso nicht mehr wahrgenommen werden. Es mag zudem sein, dass es die SPD im konservativen Baden-Württemberg schon immer schwer hatte. In Sachsen-Anhalt haben die Wähler wie überall im Osten keine festen Bindungen zur Parteiendemokratie aufgebaut. Der Frust und die Bereitschaft zur Protestwahl sind dort besonders groß.

Kein Zukunftsprojekt


Aber all das erklärt den Absturz der Sozialdemokraten nicht hinreichend. Die SPD hat kein Zukunftsprojekt mehr. Sie hat keine Idee, wie sie ihre Wählerbasis, die seit 1998 kontinuierlich schrumpft, wieder erweitern kann. Sie weiß nicht, wie sie in der neuen Mittelschicht Wähler gewinnen kann, wie unter traditionellen Arbeitnehmern oder in der neuen Unterschicht.

Eine selbstbewusste SPD könnte sich etwa der Angst der AfD-Wähler annehmen, die ja eine doppelte Angst vor kultureller Überfremdung und vor sozialem Abstieg ist. Stattdessen beschimpfen führende Sozialdemokraten die AfD-Wähler dafür, dass sie rechtsextremen und rassistischen Rattenfängern hinterherlaufen.

AfD bedient die kleinen Leute


Themen gäbe es genug. Die soziale Spaltung in Deutschland, die ungleichen Bildungschancen. Die SPD könnte die Integration zu einem gesellschaftlichen Projekt machen, das mehr ist als die ökonomistische Forderung nach mehr Wohnungen, mehr Arbeit und mehr Sprachkurse. Gerade eine SPD, die so stolz in der Tradition von Willy Brandt steht, müsste auch die kulturelle Dimension der Zuwanderungswelle als politische Herausforderung begreifen. Tut sie aber nicht. Nicht einmal auf die zunehmende Sprachlosigkeit zwischen den globalisierten politischen und ökonomischen Eliten einerseits sowie den heimatverbundenen und in regionalen Netzwerken lebenden kleinen Leute andererseits findet die SPD noch eine Antwort. Die Partei der kleinen Leute war am Sonntag die AfD.

Retro-Kampagnen


Stattdessen reden sich die Sozialdemokraten unermüdlich ein, dass sie der Motor der Großen Koalition seien. Ihnen sei es zu verdanken, dass die Bundesregierung unverkennbar ein sozialdemokratisches Profil habe. Und dass sich dies, wenn man den Wählern nur beharrlich erkläre, wer das sozialdemokratische Original sei, schon irgendwann auszahlen werde. Doch Rente mit 63 und Mindestlohn, Frauenquote und Mietpreisbremse sind aus Sicht der Wähler politische Projekte der Vergangenheit. Versprechen von früher. Zukünftige Wähler gewinnt die Partei mit solchen Retro-Kampagnen nicht.

Es ist zudem auch nur die halbe Wahrheit. Denn mit ihrem sozialdemokratischen Wohltatenprogramm hat die SPD bei der Bundestagswahl 2013 trotzdem nur 25,7 Prozent eingefahren. Mehr werden es selbst dann nicht, wenn die SPD jetzt alle ihre Wahlversprechen erfüllen würde. Die Union hingegen holte mit dem Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen sowie mit einer populären Kanzlerin, also mit dem leicht verständlichen Versprechen, bei uns ist das Land in guten Händen, 41,5 Prozent der Stimmen. Der Motor dieser Großen Koalition ist und bleibt Merkel.

Und gerade jetzt, wo die CDU schwächelt, wo Christdemokraten beginnen, an der Kanzlerin zu zweifeln und die CSU sogar offen opponiert, fällt ganz eines besonders auf: Die SPD kann keinen überzeugenden Kanzlerkandidaten aufbieten, keine populäre personelle Alternative zu Merkel. Wenn die SPD in ihrer Not deshalb 2017 Parteichef Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidaten ins Rennen schickt, hätte sie den Wahlerfolg damit schon hergeschenkt. An ihn glauben ja noch nicht einmal die eigenen Leute.

Willy Brandt nannte die SPD, „die Partei des donnernden Sowohl-als-auch“


23 Prozent holte die SPD bei der Bundestagswahl 2009 25,7 Prozent bei der Wahl 2013. Auch bei Umfragen steckt die SPD seit vielen Jahren im Stimmungstief. So sehr die Sozialdemokraten damit hadern, dass es in der Wählergunst nicht wieder aufwärts geht, so überzeugt waren sie bislang, noch tiefer könne ihre Partei nicht fallen. Seit vergangenem Sonntag sollte sie sich da nicht mehr so sicher sein.

Immer, wenn der SPD in den letzten Jahren der Wind politisch ins Gesicht blies, dann erinnerte sie sich an Willy Brandt. Jenen sozialdemokratischen Superhelden, der seine Partei in den glorreichen Zeiten 1969 an die Macht führte und 1972 mit 45,8 das beste Ergebnis in ihrer über hundertfünfzigjährigen Geschichte erkämpft hatte. Zuletzt berief sich Gabriel gerne auf die Willy-Brandt-Empfehlung, „wir sind die Partei des donnernden Sowohl-als-auch“.

 Es sei nicht der Mangel am Willen zur Eindeutigkeit, der diese Haltung der SPD präge, so Gabriel, „sondern das Wissen, dass das Leben kluge Kompromisse, Balance, Maß und Mitte braucht“. Doch wenn die Sozialdemokraten nicht aufpassen, dann könnten sie schon bald die Partei des donnernden Weder-noch sein: weder Wähler – noch Zukunft.

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