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Gesundheit - Schwarz-Gelb lässt den Patienten allein

Egal ob Ärztepfusch oder Organspende-Skandal: Wo das Gesundheitssystem versagt, sollte die Politik dem Patienten beistehen. Eigentlich. Doch das Gegenteil ist der Fall, schreibt Deutschlands oberster Patientenschützer Eugen Brysch

Autoreninfo

Eugen Brysch ist Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, die aus der Deutschen Hospiz Stiftung hervorgegangen ist. Brysch ist unter anderem Mitherausgeber des Buches „Sterben – an der oder durch die Hand des Menschen?“.

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Kurz vor Ende der Legislaturperiode ist es an der Zeit, eine Bilanz aus Patientensicht zu ziehen. Was hat die christlich-liberale Bundesregierung für den Patientenschutz getan? Nicht viel, ist zu befürchten.

Der Mangel fängt beim so genannten Patientenrechtegesetz an. Denn durch das neue Gesetz wird der Patientenschutz nicht entscheidend verbessert. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) behauptet, durch das Ende Februar in Kraft getretene Gesetz würden sich Patienten und Ärzte nun endlich auf Augenhöhe begegnen. Wer jemals krank gewesen ist, weiß, dass das eine hohle Phrase ist. Denn naturgemäß befindet sich der Patient in einer schwächeren Position als der Arzt. Dieses Ungleichgewicht wird auch durch das Gesetz nicht aufgehoben.

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Die christlich-liberale Bundesregierung hat 2009 in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie ein Patientenschutzgesetz schaffen will. Von diesem Ziel ist das Patientenrechtegesetz jedoch weit entfernt. So gibt es keine generelle Beweislastumkehr. Wenn ein Patient Schadensersatz für eine mangelhafte Behandlung haben möchte, muss er beweisen, dass der Arzt ihn falsch behandelt hat und dass das die Ursache für seinen Schaden ist. Das Beweis- und Prozessrisiko liegt also beim Patienten.

Das nachzuweisen, ist bei Behandlungsfehlern oft schwer. Denn wie soll ein Patient etwa belegen, dass er sich wegen schlechter Hygiene mit multi-resistenten Keimen angesteckt hat? Die Einhaltung der Hygieneregeln wird nicht in einer Krankenakte dokumentiert. Allein Ärzte und Krankenhäuser haben Zugriff auf die Beweise, die Patienten nicht. Deshalb befinden sich Patienten also auch rechtlich nicht auf Augenhöhe mit Ärzten und Krankenhäusern.

Nur bei groben Behandlungsfehlern kehrt sich die Beweislast um. Dann muss der Arzt nachweisen, dass seine Behandlung nicht den Schaden des Patienten verursacht hat – wenn zum Beispiel einem Patienten das falsche Bein amputiert wurde. Doch in diesem Fall wird der Patient wohl kaum noch nachweisen müssen, dass es sich um einen Behandlungsfehler handelt.

Bahr argumentiert, dass eine generelle Beweislastumkehr zu einer Risiko-Vermeidungskultur führen würde. Ärzte könnten riskante Operationen unterlassen, aus Angst, verklagt zu werden, wenn die Operation schief geht. Diese Befürchtung ist unzutreffend. Denn eine Vermeidung von Risiken, eine saubere Diagnostik und eine professionelle Therapie sind genau das, was Patienten wollen. Bereits jetzt wird in Deutschland nicht zu wenig operiert, sondern zu viel.

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Aus unseren praktischen Erfahrungen wissen wir: Recht haben und Recht bekommen sind beim Thema Patientenschutz leider oft zwei verschiedene Dinge. Es ist vor allem für Menschen schwer, die sich nicht selbst für ihre Rechte einsetzen können: Schwerstkranke, Pflegebedürftige oder Demenzkranke. Sie haben nicht die Kraft, für ihre Anliegen zu kämpfen. Ihre Vertrauenspersonen sind oft so sehr mit der Pflege beschäftigt, dass sie sich nicht auch noch um Rechtsangelegenheiten kümmern können. Viele scheuen zudem die Konfrontation mit dem Arzt.

Genauso wenig konnte sich die Koalition darauf verständigen, einen Härtefallfonds zu schaffen. Dabei hätte er die schlimmsten Folgen tragischer, aber nicht aufklärbarer Behandlungsfehler abmildern können.

Die Beispiele zeigen: Der Gesetzgeber hat es versäumt, zukunftsweisende Instrumente für Patienten zu schaffen, die ein modernes Verbraucherrecht schon kennt.

Auch bei der Reform des Transplantationsgesetzes im vergangenen Jahr gab es keine zukunftsweisende Weiterentwicklung. Zwar sind Krankenkassen jetzt dazu verpflichtet, ihre Mitglieder regelmäßig anzuschreiben und ihre Spendenbereitschaft abzufragen. Doch ist das wirklich eine Verbesserung für Patienten auf der Warteliste? Das Ziel war, in der Bevölkerung eine breitere Akzeptanz für die Organspende zu schaffen und damit die Spenderzahlen zu erhöhen. Die Fakten zeigen aber: Die Spendenbereitschaft der Deutschen hat im vergangenen Jahr den niedrigsten Stand seit 2002 erreicht. Solange der Gesetzgeber die Fehler im System nicht löst, wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein.

Im Transplantationssystem gibt es drei grundlegende Probleme. Erstens fragen sich viele Menschen, ob sie als Hirntoter und damit potenzieller Organspender noch die bestmögliche Versorgung erhalten. Zweitens wollen sie sicher gehen, dass derjenige das Organ bekommt, der es am dringendsten braucht. Und drittens wissen viele Menschen nicht, dass ihre Patientenverfügung entgegen ihrer Absicht eine Organspende ausschließt.

Die Beantwortung dieser entscheidenden Fragen wird privaten Akteuren überlassen, die nicht einmal staatlich kontrolliert werden. Denn das deutsche Transplantationssystem liegt in den Händen von privatrechtlichen Vereinen und Stiftungen. Nicht der Staat, sondern sie entscheiden über die Verteilung von Lebenschancen. Dass das nicht richtig sein kann, zeigen auch die jüngsten Fälle von Manipulationen in Göttingen und Regensburg. Noch immer ist ungeklärt, wer die politische Verantwortung dafür trägt.

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Hinzu kommt, dass das System für den Patienten, der auf ein lebensrettendes Organ wartet, undurchsichtig ist. Er erfährt zum Beispiel nicht, auf welchem Platz der Warteliste er steht. Über die Aufnahme auf eine Warteliste und die Streichung von ihr entscheiden die Transplantationszentren selbst. Das Transplantationsgesetz regelt nicht, wie ein Patient eine solche Entscheidung gerichtlich überprüfen lassen kann.

Der Gesetzgeber hätte die Reform auch dazu nutzen können, sich eine weitere wichtige Frage zu stellen: Wären weniger Transplantationszentren in Deutschland für den Patientenschutz besser? Wenn es weniger Zentren gibt, sind die einzelnen Häuser besser ausgelastet. Dadurch steigt die Erfolgsquote bei Transplantationen. Für den Erfolg sind eine gute Vorsorge, professionelle Operationen und eine fachliche Nachsorge wichtig.

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Doch ohne die entsprechenden Ressourcen ist Patientenschutz nur die Verwaltung des Mangels. Die Gesundheitspolitik in Deutschland überlässt es den Leistungserbringern und Kostenträgern einzuteilen, was wichtig ist.

Auch die geplante Kürzung des Bundeszuschusses für den Gesundheitsfonds von 14 auf 10,5 Milliarden Euro ist fatal. Aus dem Gesundheitsfonds werden jedes Jahr 34 Milliarden Euro für versicherungsfremde Leistungen gezahlt. Das sind zum größten Teil Leistungen für mitversicherte Ehepartner und Kinder. Diese Leistungen müssten eigentlich solidarisch, aus Steuermitteln der Gesamtbevölkerung, und nicht von den gesetzlich Versicherten getragen werden. Davon finanzierte der Bund bisher nur 14 Milliarden Euro. Wird dieser Betrag jetzt auch noch gekürzt, wird der Haushalt auf Kosten der Versicherten saniert: von den mühevoll gesparten Mitteln für die Krankenversicherung.

Dabei handelt es sich um genau die Versicherung, die bei Fragen der Krankenversorgung von Pflegebedürftigen und Sterbenden sowie der Altersmedizin heute schon versagt. Die Kürzung des Bundeszuschusses verhindert eine zukunftsfähige Krankenversicherung.

Die Beispiele Patientenrechtegesetz, Transplantationssystem und Gesundheitsfonds zeigen: Beim Thema Patientenschutz kann und muss in Deutschland noch einiges getan werden. Das kann aber nur dann geschehen, wenn der Gesetzgeber seine Verantwortung ernst nimmt – und sich selbst um Verbesserungen für Patienten kümmert.

Eugen Brysch ist Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz.

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