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Russland-Umarmung - Die Linke leidet am Stockholm-Syndrom

Die Linke hält in der Krim-Krise unerschrocken an ihrer prorussischen Position fest. Und das, obwohl Teile der Partei selbst ihre Erfahrung mit der früheren Sowjetunion gemacht haben. Ein Beitrag in Kooperation mit dem Tagesspiegel

Autoreninfo

Malte Lehming ist Autor und Leitender Redakteur des Berliner "Tagesspiegels".

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Sahra Wagenknecht meint, der Westen habe kein Recht, die Verletzung des Völkerrechts durch Russland zu kritisieren. Die „Putschregierung“ in Kiew, der Neofaschisten und Antisemiten angehören würden, sei mit dem Segen von Merkel und Steinmeier ins Amt gekommen. Der Einmarsch russischer Soldaten sei eine „Reaktion auf eine Fehlentwicklung“, der Anschluss der Krim nach dem Referendum müsse als „machtpolitische Gegebenheit“ akzeptiert werden. Und Gregor Gysi wies im Anschluss an Angela Merkels Regierungserklärung darauf hin, dass die Große Koalition in der Krim-Krise zweierlei Maßstäbe anlege: Auch die Abtrennung des Kosovo sei ein Bruch des Völkerrechts gewesen. Vier Mitglieder der Linkspartei waren zur Krim gereist, um das Referendum international aufzuwerten.

Das hat Kritik hervorgerufen. Selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel platzte der Kragen. Das erinnere ihn an die „krampfhaften Rechtfertigungsreflexe kommunistischer Sekten in den 70er und 80er Jahren für jedes Unrecht, das damals von der Sowjetunion begangen wurde“. Der Unterschied ist nur: Die kommunistischen Sekten in der alten Bundesrepublik hatten vom real existierenden Kommunismus keine Ahnung, es waren Salonkommunisten. Hingegen wissen Wagenknecht und andere aus der Linkspartei mit DDR-Migrationshintergrund genau, wovon sie reden. Außerdem war es die SPD, die auf ihrem Parteitag in Leipzig, nach der letzten Bundestagswahl, kampfeslustig das Ende der „Ausschließeritis“ verkündete und Koalitionen mit der Linkspartei auf Bundesebene als möglich erklärte.

Beide Punkte verdienen eine Betrachtung. Die Sache mit der Krim ist eindeutig. Man mag von der Regierung in Kiew halten, was man will, oder „frühere Fehler des Westens“ im Umgang mit Moskau beklagen: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich ein Staat unter massiver Androhung von militärischer Gewalt zu Lasten eines anderen souveränen Staates durch Berufung auf Blutsbande territorial vergrößert. Das lässt sich durch nichts rechtfertigen.

Parallelen zu 1938 drängen sich auf


Auch wenn in Deutschland das elfte Gebot lautet „Du sollst nicht vergleichen!“, drängen sich Parallelen zu 1938 förmlich auf. Es lohnt sich und gruselt einen zugleich, die Rede Adolf Hitlers vom 12. September 1938 zum Sudentenland nachzulesen. Er erinnerte zunächst an die vielen Demütigungen, die Deutschland erlitten hatte – Versailles, Elsass-Lothringen („Der nationalsozialistische Staat hat um des europäischen Friedens willen sehr schwere Opfer auf sich genommen“). Dann wies er die Behauptung zurück, Deutschland hätte Truppen mobilisiert und stünde vor einem Einmarsch in die Tschechoslowakei („Das Vorbringen solcher lügenhaften Behauptungen ist nichts Neues“). Nur um am Ende die Annexion des Sudetenlandes rhetorisch vorzubereiten („Was die Deutschen fordern, ist das Selbstbestimmungsrecht, das jedes andere Volk auch besitzt“).

Ein Land wurde jahrelang gedemütigt, bringt Opfer und will nichts als Frieden, wird aber von „Volksgenossen“ von jenseits seiner Grenzen um Hilfe gebeten und muss sich deshalb ausdehnen: Jedem Antifaschisten ist diese Propaganda aus der Geschichte geläufig. Kein Landräuber gibt zu, einer zu sein. Alle handeln gewissermaßen aus Notwehr. Doch warum fällt es ausgerechnet ostdeutschen Linken, die ja zusätzlich einen Teil der Geschichte der Sowjetunion am eigenen Leib erlitten haben, so schwer, die Dinge beim Namen und Unrecht Unrecht zu nennen?

Rot-Rot-Grün hat sich damit erledigt


Womöglich hilft als Erklärung nur ein kleiner Ausflug in die Psychologie. Es ist das Stockholm-Syndrom: Das Opfer schlägt sich auf die Seite seiner Peiniger, es verteidigt diese und rationalisiert deren Verhalten. Entgegen aller Vernunft hält es an der Hoffnung fest, der Täter bessere sich, wenn er nur ausreichend lange und intensiv geliebt werde. Nach der Geiselnahme im August 1974 in Stockholm, auf die die Entdeckung des „Trauma-Bondings“ zurückgeht, verlobte sich eine der Geiseln gar mit einem der Bankräuber.

Insbesondere wegen der außen- und sicherheitspolitischen Verwirrungen, zu denen das Stockholm-Syndrom im Verhältnis ostdeutscher Linker zu Russland führen kann, hatte die SPD bis vor kurzem Koalitionen mit der Linkspartei auf Bundesebene strikt ausgeschlossen. Vor vier Monaten indes wurden die ehemaligen Einsichten zu Gunsten einer künftigen Machtoption begraben. Das rächt sich jetzt bitter. Wer auf einen Ostpolitik-Effekt spekuliert hatte – Wandel der Linken durch Annäherung der SPD –, sieht sich mit der Realität konfrontiert: kein Wandel trotz Anbiederung. Die alten Reflexe bei den Themen Nato, Russland, Völkerrecht, Amerika, Europa sitzen einfach zu tief. Rot-Rot-Grün: Das dürfte sich mit den Ereignissen vom Frühjahr 2014 für sehr lange Zeit erledigt haben.

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