Klammern in rot-rot-grün
Jeder lässt den anderen hängen: Rot-Rot-Grün ist nicht in Sicht / picture alliance

Rot-Rot-Grün - Der Aufstieg der AfD ist auch ein Versagen der Linken

Die AfD ist auch deswegen so erfolgreich, weil es jenseits der Großen Koalition keine Machtalternative gibt. Die SPD hat sich an die Union gekettet – und auch die Linken verhafteten auf ihrem Parteitag in ihrem starren Weltbild. Dabei gäbe es einen Ausweg

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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Kürzlich war Sigmar Gabriel im Saarland bei Oskar Lafontaine zu Besuch. Offiziell handelte es sich um eine Art Höflichkeitsbesuch. Eher zufällig will Gabriel in der Nähe gewesen sein. Aber wenn der SPD-Vorsitzende seinem verfemten Vorgänger nach vielen Jahren Kontaktsperre einen Besuch abstattet, dann ist dies immer ein Politikum. Schließlich ist Lafontaine nach seinem Bruch mit der SPD als linken Politiker zu einem der schärfsten Kritiker seiner Ex-Partei geworden.

Über den Inhalt des Gespräches ist nichts bekannt geworden. Aber sicher werden die beiden keine Kochrezepte ausgetauscht haben und auch keine Überlebenstipps für den politischen Ruhestand. Man darf vielmehr davon ausgehen, dass vor allem ein Thema im Mittelpunkt des Gespräches stand: Rot-Rot-Grün.

Zur Erinnerung: Rot-Rot-Grün nennt sich jenes Gespenst, das von Zeit zu Zeit in den politischen Feuilletons auftaucht. In der Gesellschaft wird dieses Dreierbündnis nicht besonders geschätzt, aber im Bundestag verfügt es zumindest rechnerisch über eine Mehrheit.

SPD-Tabu: Linkspartei


Die SPD hat mehr als ein Jahrzehnt lang zugesehen, wie das rot-rot-grüne Gespenst immer unattraktiver wurde. Sie hat jede bundespolitische Zusammenarbeit mit der Linken vehement ausgeschlossen, auch schon, als diese noch „Partei des demokratischen Sozialismus“ hieß und vor allem eine Interessenvertretung der ehemaligen DDR-Bürger war. Nach der Bundestagswahl 2013 ist das rot-rote Tabu bei den Sozialdemokraten auf einem Parteitag in Leipzig zwar formal gefallen. Aber eine Annäherung beider Parteien hat es auch seitdem nicht gegeben. Stattdessen hat sich die SPD nach dem Ende der rot-grünen Ära in der Großen Koalition 2005 und 2013 an CDU und CSU gefesselt. Selbst in den schwarz-gelben Jahren dazwischen hat sie es versäumt, eine alternative linke Machtoption zu entwickeln.

Die Folgen sind bekannt. Die SPD steckt im Stimmungstief. Die Partei hat jenseits der Großen Koalition keine Machtoption mehr. Niemand glaubt ernsthaft, die Sozialdemokraten würden auf absehbare Zeit wieder so stark werden, dass sie einen realistischen Anspruch auf die Kanzlerschaft formulieren könnten. Die Große Koalition ist beim Wähler mittlerweile so unbeliebt, dass sie in Umfragen nicht mehr auf 50 Prozent der Stimmen kommt. Und die Grünen setzen inzwischen offen auf Schwarz-Grün. Dass sie einem Linksbündnis nicht gänzlich abschwören, hat vor allem taktische Gründe.

Flüchtlingskrise ist der Katalysator dieser Entwicklung


Das hat Folgen, die das ganze bestehende Parteiensystem aus den Angeln heben könnte. Denn die fehlende Machtalternative zur Großen Koalition und die stillgelegte Lagerlogik sind einer der maßgeblichen Gründe für den Aufstieg der AfD. Weil die Große Koalition zum Dauerzustand werden könnte und weil die Parteien der politischen Linken nicht in einer Koalition zueinanderfinden, suchen die Wähler nach politischen Alternativen.

Die Flüchtlingskrise ist der Katalysator dieser Entwicklung, nicht ihre Ursache. Zweifelsohne ist die AfD eine rechte Partei, eine nationalkonservative, europaskeptische und islamkritische Protestpartei. Aber sie gewinnt ihre Wähler nicht nur von der Union, sondern eben in gleichem Umfang auch von SPD und Linken. Beiden Parteien gelingt es nicht mehr, unzufriedene Wähler vor allem aus der Unterschicht und aus dem Arbeitermilieu an sich zu binden. 

Die sich so gerne antifaschistisch gerierende Linkspartei hat auf ihrem Parteitag am Wochenende in Magdeburg mal wieder demonstriert, dass ihr diese Entwicklung in Wirklichkeit völlig egal ist. Wortreich geißelten fast alle linken Politiker die Wahlerfolge der AfD. Schuld ist natürlich der Neoliberalismus und schuld sind natürlich auch alle anderen Parteien. Aber über ihre eigene Verantwortung für die Regierungsunfähigkeit der politischen Linken und den Aufstieg der AfD sprachen sie nicht. Selbstkritik? Fehlanzeige! Und die wenigen Redner, die sich trauten, von einer rot-rot-grünen Perspektive als Alternative zur Großen Koalition zu sprechen, die die eigenen Genossen vor einfachen Antworten warnten und zur Kompromissfähigkeit gegenüber SPD und Grünen ermahnten, wurden ausgebuht.

Machtpolitischer Selbstmord


Stattdessen droschen allen voran die Parteivorsitzende Katja Kipping und die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht unter dem Jubel der Delegierten wieder mit großer Leidenschaft auf die SPD ein, hielten ihr mit großer Ausdauer ihre vermeintlich unsoziale Politik vor und vor allem Schröders Agenda-Reformen. Sie schlossen eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten solange aus, wie diese nicht bereit sind, die Einführung von Hartz IV zurückzunehmen. Wohl wissend, dass dies völlig unrealistisch ist. Schließlich müsste sich die SPD dafür selbst verleugnen und demütig vor der linken Konkurrenz zu Kreuze kriechen.

Vor ein paar Jahren hat Oskar Lafontaine noch über eine mögliche Fusion von SPD und Linken nachgedacht, über die Frage, ob sich die zwei Parteien, die programmatisch gar nicht so weit auseinanderliegen und beide die Partei der sozialen Gerechtigkeit sein wollen, nicht irgendwann wiedervereinigen sollten. Doch nicht einmal zu einer realpolitischen Annäherung an die SPD ist die Partei derzeit in der Lage. Man könnte es auch anders formulieren: Aus Angst vor dem politischen Kompromiss begibt die Linke lieber machtpolitischen Selbstmord und schaut tatenlos zu, wie die AfD von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt.

Aus Berlin und der Führung der Linken hat sich Oskar Lafontaine vor sechseinhalb Jahren zurückgezogen. Aber sein Einfluss in der Partei ist weiterhin beträchtlich, auch über seine Ehefrau Sahra Wagenknecht. Sollte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel also ins Saarland gefahren sein, um Lafontaine für eine engere rot-rote Zusammenarbeit zu gewinnen, dann hätte er sich den Weg sparen können.

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