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re:publica 2014 - Erst kommt das Fressen, dann der Datenschutz

Auf der re:publica 2014 feiert sich die Netzgemeinde und protestiert gegen die Geheimdienstüberwachung. Dabei hat Europas größte Bloggerkonferenz ein Glaubwürdigkeitsproblem

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Es hat mittlerweile Tradition. Einmal im Jahr versammelt sich in Berlin die Netzgemeinde. Aus der bescheidenen Bloggerkonferenz ist mittlerweile ein Megaevent geworden. Man trifft sich, fühlt sich gut und feiert sich als gesellschaftliche Avantgarde. Diskutiert wird auch, aber irgendwie gerät das auf der re:publica zur Nebensache. Letztendlich geht es dort zu wie auf dem Kirchentag: Gefühl gut, Glaube fest, Botschaft Nebensache.

Natürlich markieren die Enthüllungen des Edward Snowden für alle, die sich mit dem Internet beschäftigen und mit ihm arbeiten, eine Zäsur. Natürlich ist der NSA-Skandal, die globale Überwachung der gesamten digitalen Kommunikation durch westliche Geheimdienste, deshalb auf der re:publica 2014 allgegenwärtig. Auch für diejenigen, die das Netz lange als Ort der Freiheit gefeiert haben, hat dieses endgültig seine Unschuld verloren, darin sind sich die Macher der re:publica einig. Sie beklagen den „Angriff auf die Gesellschaft“, sehen die Demokratie in Gefahr und rufen dazu auf, das Netz „den kriminellen Geheimdiensten“ wieder zu entreißen, „zurückzuerkämpfen“.

Bürgerrechtler so marginalisiert wie nie


„Das Internet ist kaputt“, so formuliert es Sascha Lobo. Akribisch und bis zur eigenen Ermüdung referierte der Vordenker der Bewegung am Dienstag in seiner schon traditionellen re:publica-Rede die einzelnen Stationen bei der Aufdeckung der NSA-Affäre. Von den ersten Meldungen im Juni 2013 bis zur Enthüllung im Dezember, dass die NSA in der Lage sei, den gesamten Handy-Verkehr weltweit abzuhören. Und auch auf billige Lacher bei der Erwähnung der Namen Pofalla, Friedrich und Merkel verzichtete er nicht. Nur ein Datum ließ Lobo aus: den 22. September 2013.

Die Bundestagswahl endete bekanntermaßen mit einem überragenden Wahlsieg derjenigen, über die sich die Netzgemeinde so gerne erhebt und lustig macht. Fast hätte Merkel sogar die absolute Mehrheit gewonnen, während die FDP, die in der schwarz-gelben Bundesregierung immerhin die Einführung der Vorratsdatenspeicherung verhindert hatte, an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. „Erst kommt das Fressen, dann der Datenschutz“, so lautet die Botschaft, die frei nach Bertolt Brecht von dem Wahlergebnis ausgeht und die Merkel auch recht gelassen auf den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages blicken lässt.

Bürgerrechte waren auch in der analogen Vergangenheit in der Regel Minderheitenthemen. Aber so marginalisiert wie derzeit waren deren Anwälte schon lange nicht mehr. Nicht das Internet ist kaputt, sondern der Diskurs über die Demokratie nach der digitalen Revolution. Und daran sind nicht nur die Geheimdienste und ihre Helfershelfer in der Politik schuld. Da müssen sich die Netzpolitiker auch an die eigene Nase fassen.

Doch Selbstkritik ist ihre Stärke nicht. Die Frage, warum einerseits die eigenen Klagen über das Ende des freien Internets und die Bedrohung der digitalen Demokratie immer schriller werden und andererseits die Menschen immer desinteressierter, stellten sich die Macher der re:publica allenfalls am Rande. Der Tatsache, dass die Piraten als Partei der digitalen Gesellschaft grandios gescheitert sind, nehmen sie achselzuckend zur Kenntnis, dem Dialog mit Sicherheitspolitikern gehen sie aus dem Weg. Man bleibt lieber unter sich.

Die Netzgemeinde ist eben nicht nur Avantgarde, sondern auch eine selbst ernannte Bohème, die mit gewisser Überheblichkeit auf die Politik und die Mühen des politischen Alltags herabblickt. Sie ist nicht nur weit weg von den Problemen vieler Menschen, sondern zudem auch wenig an ihnen interessiert. Innere Sicherheit ist für sie kein Wert in der Demokratie, sondern allenfalls ein notwendiges Übel. Doch mit der Tatsache, dass für die meisten Internetnutzer die Angst, Opfer von Terroristen oder Cyberkriminellen zu werden, wesentlich größer ist als die Angst, in den Fängen der NSA zu landen, sollte man sich zumindest auseinandersetzen. Die Netzneutralität ist im Allgäu und in Nordfriesland darüber hinaus allein deshalb kein Thema, weil sich die Menschen dort ohne schnelles Internet eh keine Filme bei YouTube ansehen können.

Netzaktivisten lassen sich von NSA-Kollaborateuren sponsern


Vor allem aus einem Dilemma können sich die Netzaktivisten nicht befreien: Sie sind mit den mächtigen, weltweit agierenden Konzernen, die neben den Geheimdiensten die Demokratie bedrohen, groß geworden. Sie haben diese Konzerne viel zu lange als Motor des vermeintlich herrschaftsfreien Internets gefeiert und sehen bis heute darüber hinweg, dass dort schon jetzt persönliche Daten in riesigem Umfang auf Vorrat gespeichert werden, Missbrauch eingeschlossen.

Ohne Google, Facebook und Twitter hätte die digitale Bohème jedoch keine Bühne. Und auch kein Geld. Dazu passt es, dass sich die re:publica zwar über die NSA empört, aber zugleich von Microsoft sponsern lässt und damit von einem global agierenden Konzern, der nicht nur auf die Daten seiner Nutzer scharf ist, sondern auch eifrig mit der NSA kooperiert hat. Die Glaubwürdigkeit der Vorkämpfer eines überwachungsfreien und demokratischen Internets erhöht dies nicht. Bertolt Brecht hätte sicher auch dafür die rechten Worte gefunden.

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