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(picture alliance) Im ersten Buch Mose ist die Beschneidung für Juden geregelt

Beschneidung - Religion braucht kein Messer

Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gilt nicht ein bisschen oder manchmal oder immer dann, wenn wir es gut finden und es uns passt. Es gilt immer und zu hundert Prozent, deswegen muss Beschneidung verboten bleiben. Ein Kommentar

Das Kölner Landgericht hat in einem Ende Juni gefällten Urteil die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als strafbare Handlung gewertet. Seitdem tost die Debatte darüber durchs Land. Man sollte sich jedoch genau anschauen, wo, bei wem und wie heftig der Hut hochgeht. Und wo er schwer auf dem Schädel liegen bleibt.

Der Diskurs wird seltsam leise geführt auf der Seite der Juristen, abwartend wortkarg seitens der Mediziner; wortreich empört und herausgefordert dagegen zeigen sich Muslime und Juden, achselzuckend und schweigend verharrt die Seite des christlichen Publikums; pflichtschuldigst ein schnelles Zurückrudern kündigen verschreckte Politiker aus fast allen Parteien an, irgendwie müsse man da was machen, neu regeln, juristisch anders fassen, das Ganze geschickt deichseln. Damit möglichst alles bleiben kann, wie es war.

Viele suggerieren, die Sicht auf die Dinge sei trüb wie im Dampfbad. Falsch. Die Sache ist politisch-gesellschaftlich so klar wie eine von beiden Seiten frisch geputzte Glasscheibe. Die Kölner Richter haben halt nur an etwas erinnert, was der politischen Korrektheit nicht passt: Das Primat des Politischen gilt sogar dann, wenn es archaischem Brauchtum in die Quere kommt. Sogar dann, wenn es Imperative der Religion betrifft. Erstaunlich ist – für die intellektuelle wie die ethisch-moralische Debatte im Lande –, dass man offenbar die Unteilbarkeit von Grundrechten begründen und rechtfertigen muss.

Das Grund- und Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, das Grundrecht der individuellen Selbstbestimmung gilt nicht nur ein wenig, manchmal ein bisschen, mitunter gar nicht, und überhaupt am bestem im Wesentlichen immer dann, wenn wir es gut finden, wenn es uns passt und es traditionelle Handlungen nicht wirklich stört.

Nein, so schnippisch, so gelegenheitsethisch und dosiert demokratisch, so ausschnitthaft und volatil geht man mit Grundrechten nicht um. Ganz und gar so, wie niemand ein bisschen tot oder ein bisschen schwanger ist, so ist Selbstbestimmung keine Sache von vierzig Prozent, von sechzig oder achtzig Prozent Wirklichkeitsgrad – sondern ausschließlich von hundert Prozent.

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Insoweit ist das Kölner Urteil eben nicht „eine der schwersten Attacken auf jüdisches Leben in Europa“, wie die Konferenz orthodoxer jüdischer Rabbiner in Berlin schmetterte. Oder ein „massiver Eingriff in die Religionsfreiheit“, wie sich der Zentralrat der Muslime in Deutschland empörte. Nein, das Urteil ist eine Erinnerung an das Wesentliche. An das Grundsätzliche. An das Essentielle. Wenn der Fortbestand der Religionsausübung am rituellen Wegschneiden eines unhinterfragt als wertlos deklarierten Körperteils hinge, dann wäre dies wirklich ein Seidenfaden. Religion hat bitte etwas mit Glauben, Geist und Transzendenz zu tun. Aber doch bitte nichts mit einem Messer. Und nichts mit dem Atavismus des Schnippelns.

Auf der anderen Seite gilt: Es gibt noch mehr Körperteile, die scheinbar nutzlos sind. Die Ohrläppchen etwa. Auch ohne den Nasenknorpel kann man, ganz ehrlich, noch eine sehr lange Weile existieren. Es gäbe also noch einiges zu schnippeln. Wer aber beginnt, die Ganzheitlichkeit des Körpers und seine ebenso ganzheitliche Würde mit Ausnahmen zu versehen, ist auf dem Holzweg.

Niemand schneidet bitte irgendwann irgendwem irgendetwas ab ohne dessen konkrete persönliche Einwilligung. Jemand, der in symbolischer Überhöhung auf einen Teil seines Körpers verzichten will, wird schon Bescheid sagen. Allerdings dann, wenn er volljährig ist und Herr seines Geistes. Exakt dies entspricht den Menschenrechten unseres Grundgesetzes sowie dem Menschenrechtskatalog der Vereinten Nationen.

Wäre das so laut kommentierte Kölner Urteil nicht anders nutzbar als zur Verteidigung des Altertümlichen? Kann man nicht religiöses Handeln auch weiter entwickeln? Kann man Rituale verfeinern? Kann man Symboliken entkörperlichen? Ja. Man kann. Aber man muss es, wie immer, wollen. Vorbilder gibt es mehr als ausreichend. Wir leben letztlich gemeinsam in einer Welt, die für jeden auf allen Kontinenten und in allen Lebenskontexten die Imperative ständiger Reformierung, Anpassung und Modernisierung bereithält. Wir überqueren die Ozeane daher nicht mehr in Galeeren, kurieren Typhus nicht mehr mit Aderlass und laufen auch nicht mehr mit wichtigen Nachrichten von Marathon nach Athen.

Wir sind inzwischen einfach weiter.

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