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Reform des Geldsystems - Mit Vollgeld aus der Überschuldung?

Das Vollgeldsystem, eine ausschließlich staatliche Geldschöpfung, verspricht eine drastische Reduzierung der Verschuldung sowie ein stabiles Finanzsystem. Sagen die Befürworter. Doch die Vollgeldidee könnte sich langfristig negativ auswirken

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Sauber, Martin

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Spekulationsblasen, instabile Finanzmärkte und strukturelle Verschuldungs- und Wachstumszwänge ziehen wirtschaftliche und infolgedessen soziale Krisen nach sich, so die Vollgeldbefürworter. Sie fordern, dass die von den Banken ausgehende dezentrale Giralgeldschöpfung verboten wird und eine zentrale Geldmengensteuerung durch die Zentralbank etabliert wird.


INFOBOX: Giralgeldschöpfung

Geld entsteht im Zusammenspiel von Zentralbank, Geschäftsbanken und Nichtbanken (Unternehmen, private Haushalte, öffentliche Hand). Das Basisgeld der Zentralbank umfasst Bargeld und unbares Zentralbankgeld, welches durch Kreditvergabe an den Bankensektor in Umlauf gebracht wird. Der größte Anteil der Geldmenge wird jedoch von den Geschäftsbanken durch Kreditvergabe an Nichtbanken „geschöpft“ (Giralgeld- oder auch Buchgeldschöpfung). In diesem Fall vergibt die Bank einen Kredit, ohne vorher in selbiger Höhe über Zentralbankgeld zu verfügen. Dieses „Buchgeld“ ist für den Kreditnehmer eine Forderung auf Zentralbankgeld


Die Geschäftsbanken wären dann nur noch Kapitalsammelstellen, die ausschließlich Kredit vergeben dürfen, wenn sie Geld von der Zentralbank erhalten oder Sparer Geld bei der Bank deponieren. Sichtguthaben – also Guthaben auf Konten, die jederzeit abgehoben werden können – wären damit durch Zentralbankgeld voll abgesichert. Ein solches System wird „Vollgeld“ oder auch im englischen „Sovereign Money“ genannt.

Hohe Verschuldung der Ökonomie
 

Da in den Industriestaaten das Wachstum der Verschuldung das der Wirtschaft übersteigt, prognostiziert Vollgeldbefürworter Daniel Stelter für diese Länder eine gesamtwirtschaftliche Überschuldung. Ein solcher Schuldenüberhang, der staatliche wie private Haushalte betrifft, führe zu mangelnder Nachfrage und geringerem wirtschaftlichem Wachstum. Die Folgen wären Deflation gepaart mit hoher Arbeitslosigkeit.

Mit einer Vollgeldreform ergebe sich nun eine einfache Variante, den Schuldenberg abzubauen. Denn wenn Banken durch eine 100-prozentige Mindestreserve gezwungen werden zusätzliches Zentralbankgeld in Höhe der Sichteinlagen zu halten, benötigen die Banken mehr Geld. Der Staat kann diese zusätzliche Geldnachfrage durch Rückzahlung von öffentlicher oder privater Verschuldung bedienen, indem die Zentralbank der Regierung schuldfrei Geld überlässt.

Betrachtet man die Bilanzpositionen vor und nach der Umstellungsphase in das neue Geldsystem, können daher buchhalterisch tatsächlich Verbindlichkeiten in enormer Höhe abgebaut werden, ohne dass gleichzeitig Geldvermögen aus dem Währungsraum entfernt wird. Dabei wird der Privatsektor gezwungen, anstatt verzinslicher Staatsanleihen nun unverzinsliches Zentralbankgeld zu halten; bei Reduzierung der privaten Verschuldung hält ein Teil der Einleger anstatt verzinslicher Forderungen gegenüber der Bank nun unverzinsliches Zentralbankgeld.

Das zugrundeliegende Problem wird aber nur auf die lange Bank geschoben und nicht gelöst: Kann ein Schuldner seine Verbindlichkeiten aufgrund von Fehlinvestitionen oder zu geringer Leistungsfähigkeit nicht mehr bedienen, wird im Kreditgeldsystem die gegenüberliegende Forderung, das Kreditgeld, durch eine Insolvenz entfernt. Geschieht dies nicht, steht dem Geldvermögen in der Ökonomie kein realer Gegenwert gegenüber. Genau dies wäre bei der Umstellungsphase zum Vollgeldsystem der Fall, so dass die monetäre Sphäre gegenüber der realen Sphäre dominant bleibt.

Schuldenabbau durch Umverteilung
 

Unserer Meinung nach wird man nicht umhinkommen, den Schuldenüberhang in westlichen Ökonomien durch Umverteilung oder entsprechende Vermögensabgaben beziehungsweise Insolvenzen abzubauen, wie David Rhodes und Daniel Stelter in Ihrem bemerkenswerten Beitrag „Back to Mesopotamia?“ zeigen. Die grundlegenden Interessens- und Verteilungskonflikte lassen sich mit einem Vollgeldsystem nicht umgehen.

Wenn die Verschuldung des Staates reduziert wird, werden sowohl angebots- als auch nachfragetheoretisch üblicherweise positive Wirkungen auf Beschäftigung und Einkommen erwartet. Angebotstheoretisch führt in der neoklassischen Theorie die geringere Staatsverschuldung zu einem höheren Kapitalstockwachstum, weil geringerer staatlicher Konsum höhere private Investitionen ermöglicht, falls die Kapazitäten ausgelastet sind und Vollbeschäftigung herrscht. Von diesen Bedingungen ist die Wirtschaft jedoch weit entfernt. Nachfragetheoretisch wirkt eine geringere Staatsverschuldung langfristig expansiv durch eine niedrigere Risikoprämie im Zinssatz und geringere Transferleistungen des Staates an Einkommensbezieher mit hoher Sparquote. Da bei einer Umstellung auf Vollgeld die Verschuldung allerdings nur scheinbar reduziert wird, ähnlich eines Debt-Equity-Swaps eines Unternehmens (Staatsverschuldung wird in Zentralbankgeld getauscht), treten diese positiven Effekte nicht auf.

Inwieweit der Staat einen höheren jährlichen realen Geldschöpfungsgewinn (Seigniorage) erwirtschaften kann, wird von den Portfolioentscheidungen der Kapitalanleger abhängen. Denn wenn Banken Sichteinlagen nicht mehr zur Finanzierung von Krediten nutzen können, müssen diese ihre höheren Kosten an Einleger und Kreditnehmer weitergeben. Gerade der Bankensektor zeichnet sich in einer offenen Volkswirtschaft durch hohe Kapitalmobilität aus, was bei geringeren Einlagenzinsen zu Umschichtungen in Fremdwährungen oder Sachvermögen führen kann. Ersteres würde die Zentralbank zu Zinserhöhungen zwingen, um den Geldwert zu erhalten, letzteres würde Vermögenspreisblasen zusätzlich befeuern.

Ohnmacht der Geldpolitik bei Vermögenspreisblasen
 

Spekulationen auf Immobilien-, Rohstoff- oder Aktienmärkten führen regelmäßig zu Blasen, die nach rasanten Höhenflügen platzen – auch Boom-Bust-Zyklen genannt. Doch egal, ob die Zentralbank eine Geldmengenverknappung (wie die Vollgeldbefürworter es vorsehen) oder eine herkömmliche Zinserhöhung durchführt: Es werden dadurch vor allem Investitionen im produktiven Sektor gedämpft. Die Gewinne spekulativer Investitionen sind hingegen so hoch, dass die Mehrkosten kaum ins Gewicht fallen.

Eine gezieltere Regulierung sowie makroökonomische Koordinierung würde das System tatsächlich stabilisieren, jedoch auch ohne Vollgeldreform. Ferner ist anzumerken, dass eine Vollgeldreform die Entstehung von Blasen nicht verhindern würde: Sobald mehrere Anleger eine positive Entwicklung bestimmter Branchen wittern, werden sie weiterhin ihr Geld dort investieren. Dieser Vertrauensvorschuss kann auch unter Vollgeld zu Finanzblasen führen.

Die Vollgeldreform soll außerdem den Zahlungsverkehr im Insolvenzfall schützen und zugleich das „too-big-to-fail“-Phänomen lösen. Doch hier wird übersehen, dass die Höhe der Haftung die entscheidende Fragestellung ist. Besteht ein Abwicklungsmechanismus mit klar definierter Haftungshierarchie (Aktien, Wandelanleihen, Festgelder) und Gläubigerbeteiligung, ist der Zahlungsverkehr auch in einem Giralgeldsystem sicher, insbesondere wenn die Zentralbank als Kreditgeber der letzten Instanz („lender of last resort“) agiert. Banken mit Steuergeldern stabilisieren zu müssen, ist daher keine systemimmanente Notwendigkeit, sondern vielmehr politisches Versagen einer fehlenden Insolvenzordnung.

Die Ziele der Geldreformer sind erstrebenswert, wollen sie doch relevante Probleme unserer Wirtschafts- und Geldordnung überwinden. Allerdings kann ein Vollgeldsystem die Erwartungen nicht erfüllen und könnte sich je nach Ausgestaltung sogar negativ auf Beschäftigung und Einkommen auswirken. Der Überschuldung industrieller Staaten kann langfristig nur durch eine andere Einkommens- und Vermögensverteilung begegnet werden. So zeigen auch neueste Forschungen zur Finanzkrise, dass sowohl die Deregulierung des Finanzsektors als auch die seit den 80er Jahren ansteigende Ungleichheit der Einkommen mitverantwortlich sind für die Überschuldung der entwickelten Ökonomien.

Martin Sauber/Benedikt Weihmayr: Vollgeld und Full Reserve Banking – Geldreformen auf dem Prüfstand. (Wirtschaftsdienst 12, S.898–905, 2014).

Die 2011 gegründete „Wissenschaftliche Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld“ forscht zu Geld und Nachhaltigkeit aus ökonomischen, naturwissenschaftlichen und soziologischen Perspektiven.
 

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