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(picture alliance) Wo rechte Kräfte sinnlos walten

Juden und Muslime - Rechtspopulismus ohne Antisemitismus?

Im Gegensatz zu klassischen Neonazis demonstrieren die neuen rechtspopulistischen Gruppierungen gerne ihre Nähe zu Israel. Gibt es in Deutschland eine neue Rechte ohne Antisemitismus oder ist das nur Taktik?

Das Urteil des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes lässt wenig Spielraum für Interpretationen. In seinem aktuellen Bericht kommt dieser zu der Einschätzung,  dass die Partei Pro NRW, die in dem Bundesland vor allem kommunalpolitisch aktiv ist, im Verdacht stehe, rechtsextremistische Bestrebungen zu verfolgen.

„Pro NRW braucht keinen Antisemitismus für ihre Propaganda“, erklärt Behördenleiterin Mathilde Koller erklärt im Gespräch mit CICERO-ONLINE. „Das Feindbild, auf das sie sich festgelegt haben, sind die Muslime. Mit ihrer Hetze gegen Muslime und den Islam wollen sie Ängste schüren und auf Stimmenfang gehen.“

Das Urteil überrascht und es drängt sich die Frage auf: Rechtsextremismus ohne Antisemitismus, geht das überhaupt? Kann es in Deutschland rechtsextremistische und rechtspopulistische Parteien geben, die sich aus dem Schatten des Nationalsozialismus befreit haben und den Antisemitismus, eine der ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus, nicht mehr benötigen?

In Sachen NPD, der noch immer größten rechtsextremistischen Partei Deutschlands, fällt die Antwort eindeutig aus. Die Partei agiert offen Antisemitisch und wirbt im Berliner Wahlkampf gar mit dem zweideutigen Slogan „Gas geben”.

Aber bei einigen anderen rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien fällt die Antwort anders aus. Etwa bei Pro NRW und ihren Ablegern in verschiedenen anderen Bundesländern oder bei der Partei Die Freiheit des ehemaligen Berliner CDU-Landespolitikers René Stadtkewitz. Auch lokale Organisationen wie die Bremer Bürger in Wut oder die Unabhängige Bürger Partei (UBP) aus dem nördlichen Ruhrgebiet legen großen Wert darauf, keine Rechtsextremisten zu sein und sehen sich selbst als Konservative. Vom Antisemitismus versuchen sie sich fern zu halten.

Vorbild sind erfolgreiche rechtspopulistische Parteien in den Nachbarländern. In zahlreichen europäischen Ländern gibt es solche ohne antisemitische Wurzeln. Viele sind relativ jung und verfügen über keine Traditionslinien, die zu nationalsozialistischen oder faschistischen Wurzeln führen. Der Niederländer Geert Wilders beispielsweise war, bevor er 2006 die Partij van de Vrijheid gründete, Mitglied der liberalkonservativen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, die im Europaparlament gemeinsam mit der FDP in der Fraktion Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa sitzt. Wilders ist der Nachfolger von Pim Fortuyn, dem Urvater der modernen europäischen Rechtspopulisten, der vor acht Jahren von einem militanten Tierschützer ermordet worden war. Wie Wilders hatte auch Fortune keinen rechtsradikalen Hintergrund: Er stammte politisch ursprünglich aus der Linken und wurde zum radikalen Islamkritiker, als Muslime Prediger gegen Homosexuelle agitierten – der homosexuelle Fortuyn sah seinen Kampf gegen den Islam auch als einen Kampf für die Rechte von Schwulen und Lesben, die er von Fundamentalisten bedroht sah.

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Doch auch wenn Wilders kein offener Antisemit ist und eine Zeit lang sogar in Israel arbeitete – seine politischen Aktionen wenden sich auch gegen Juden. So trifft etwa das Verbot, Tiere zu schächten nicht nur die Muslime in den Niederlanden, sondern auch die knapp 40.000 Juden des Landes. Für den Publizisten Alan Posener treibt Wilders ein gefährliches Spiel mit
der Intoleranz, das im Antisemitismus endet: „Wer glaubt, den Tiger reiten zu können, wird früher oder später von ihm gefressen. Wilders hat mit seiner Unterstützung für dieses antisemitische Gesetz nun früher, als ich es erwartet habe, mir Recht gegeben.“, schreibt er in dem Blog Starke-Meinungen.

Ein Zeichen für die Abkehr vom klassischen Rechtsextremismus soll die postulierte Nähe zu Israel sein. Viele rechtspopulistische Parteien halten deshalb demonstrativ Kontakt zu rechten israelischen Parteien. Fast alle fahren sie nach Israel: Mitglieder von Pro NRW und Die Freiheit etwa reisten im Dezember vergangenen Jahres mit einer Delegation europäischer Rechtspopulisten nach Israel. Mit dabei auch Vertreter der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), der belgischen Gruppe Vlaams Belang (VL) und der Schwedendemokraten.

Neben Gesprächen mit Politikern extrem rechter Parteien aus Israel, die für die Gespräche mit den europäischen Rechten in der heimischen Presse hart kritisiert wurden, stand auch ein Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem auf dem Programm. Dort demonstrierte dann Hans Christian Strache, Vorsitzender der FPÖ, seine wahre Haltung: Statt einer Kippa oder einem normalen Hut trug Strache eine Kappe der Burschenschaft Vandalia, deren Mitglied er mit 15 Jahren wurde und in deren Reihen sich österreichische Neonazis sammelten. Nach einem Bericht des Wiener Standard wurde die Geste im Kreis rechtsradikaler Burschenschaftler verstanden und begeistert aufgenommen.

„Unseren Erkenntnissen nach haben wichtige Funktionsträger von Pro NRW eine Vergangenheit in rechtsextremistischen Parteien“, sagt Mathilde Koller. Dass Pro NRW auf Anfrage von CICERO ONLINE mitteilt, „Voraussetzung für die Aufnahme in unsere Bürgerbewegung ist das Bekenntnis zum Grundgesetz“, beeindruckt die Verfassungsschützerin nicht. „Wir analysieren die politischen Aussagen der Partei Pro NRW sowie ihrer Funktionäre und stellen fest, dass sie die Menschenrechte, insbesondere die Menschenwürde, missachten und gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen“, sagt sie. „Lippenbekenntnisse beeindrucken uns nicht.“

Das Bekenntnis zu Israel wirke taktisch motiviert, so Koller. „Durch die bekundete Solidarität zu Israel will sich Pro NRW offenbar vordergründig vom rechtsextremistischen Spektrum abgrenzen. Tatsächlich aber sind verbale Attacken auf Minderheiten und insofern rechtsextremistische Inhalte bei Pro NRW an der Tagesordnung. Ein heutiger Pro NRW-Aktivist hat sich in der Vergangenheit auch antisemitisch und anderweitig rassistisch geäußert und sich bis heute nicht glaubhaft davon distanziert.“

Wie die kulturelle Reinheit  Israels stilisiert wird, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Bei der Partei Die Freiheit sieht dies anders aus. Stadtkewitz wird von Gerd Wilders unterstützt. Von ihm und seiner Partei sind keinerlei antisemitische Aussagen bekannt. Und Die Freiheit nimmt im Gegensatz zu Pro NRW auch keine Mitglieder auf, die eine Neonazi-Vergangenheit haben.

Doch noch ist Die Freiheit eine Zwergpartei, die Hoffnung auf einen Achtungserfolg bei den Wahlen in Berlin hat sich längst zerschlagen. Zwar gibt es mittlerweile zehn Landesverbände, allerdings nur wenige hundert Mitglieder. Michael Sturm von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW, einer der Autoren der Analyse „Eine deutsche Rechte ohne Antisemitismus?“ ist skeptisch, dass die Partei bei einem starken Mitgliederwachstum weiterhin sicherstellen könnte, keine Rechtsextremisten aufzunehmen: „Stadtkewitz kann dies wollen, aber er kann einen solchen Prozess nicht steuern.“ Die Freiheit sei nicht die erste Partei, die das versuche. Fremdenfeindlichkeit ohne Rechtsextremismus hätten sich auch die Schill Partei, die Statt-Partei und der Bund freier Bürger auf die Fahnen geschrieben. „Trotzdem haben all diese Gruppen immer Leute vom rechten politischen Rand angezogen.“

Auf der anderen Seite sind für den Antisemitismusexperten Samuel Salzborn die postulierte Nähe zu Israel, die Reisen von Rechtspopulisten dorthin oder gemeinsame Kongresse von rechten deutschen und israelischen Politikern in Deutschland eher taktischer Natur. „Ein positiver Bezug auf Israel reicht nicht aus, um sich vom Antisemitismus zu distanzieren“, sagt der Sozialwissenschaftler. Dazu gehöre mehr, sagt er, etwa „ein positives Verhältnis zur Aufklärung und vor allem kein homogenisierendes und ethnisierendes Menschenbild.”

Für Salzborn ist klar, dass Israel funktionalisiert wird: Als Projektionsfläche für eine ethnische und kulturelle Reinheit, die es in Israel, wo Muslime schon Botschafter, Minister oder Parlamentspräsidenten waren, überhaupt nicht gibt: „Ich kann kein ernsthaftes Interesse an Israel erkennen. Es geht meiner Einschätzung nach bei dem Gerede von der Solidarität mit Israel vor allem um eine Schaffung eines innenpolitischen Propagandainstruments.“

Wer den „Juden“ als Feind gegen den „Moslem“ austauscht, entlarvt sich am Ende selbst. Wie es zum Beispiel Markus Beisicht, einer der Vordenker von Pro NRW, in einer Pressemitteilung zur Israelreise seiner Parteifreunde getan hat. „Dass islamkritische und freiheitliche Politiker sich auch mit israelischen Politikern austauschen, halte ich für einen wichtigen Schritt“, heißt es darin und weiter: „Der Gegensatz, den weite Teile der Altrechten gegen Israel aufbauen, ist überholt und lenkt von der Bewältigung der heutigen Probleme ab. Die große Bedrohung heißt heute Islamisierung, und in diesem Punkt sind Israel und Europa mit den gleichen Problemstellungen befasst.”

Die Gegnerschaft zu Israel war demnach nicht falsch, sondern ist nur überholt. Die große Bedrohung ist heute der Moslem – und nicht mehr der Jude.

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