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(picture alliance) Einer für alle: In Zukunft sollten wir wieder etwas gleicher werden.

Solidarität - Private Krankenkassen gehören abgeschafft

Deutschland rasselt sehenden Auges in eine Zwei-Klassen-Medizin. Ohne eine verordnete Solidarität durch die Politik hat unser gerechtes Gesundheitssystem keine Chance aufs Überleben

Um mich herum altert die Elterngeneration meiner Freunde – und lässt uns dabei zusehen, wie es um unser Gesundheitssystem bestellt ist. Das nämlich gerät langsam aus den einst solidarischen Fugen.  Da liegt der Vater eines Freundes, gesetzlich versichert, drei Tage lang mit der drohenden Diagnose Schlaganfall in einem deutschen Krankenhaus und während seine Familie am Bettrand wacht, lässt sich zwei Tage lang kein Arzt blicken. Der Grund: Es ist Wochenende. Auf einen folgenden Termin beim Kardiologen wartet er zwei Monate.

Anders der privat versicherte Vater einer Freundin, der wegen Unwohlseins innerhalb weniger Tage einen Termin bei seinem Herz-Spezialisten bekommt. Privatpatient geht vor Kassenpatient. Und je weiter die Schere von Arm und Reich auch unsere Gesellschaft auseinander driften lässt, desto mehr schleicht sich die Zwei-Klassenmedizin in unser tägliches Leben. Ärzte lassen sich schon heute eher in einer großen Stadt nieder, dort wo am meisten Privatpatienten zu holen sind. Aber nicht in strukturschwachen Gebieten, wo sie am meisten gebraucht werden.

Dass der Facharzt den Kassenpatienten länger warten lässt als den Privatpatienten, liegt auf der Hand. Er verdient an ihm deutlich mehr. Der Arzt ist Unternehmer, er muss sehen, wie er sein Geld verdient. Dass er es nicht zum Fenster hinaus, sprich, dem Kassenpatienten in den entzündeten Rachen wirft – kein Wunder. Aber das Problem steckt im System.

Wenn wir uns trotzdem weiter auf eine Solidargemeinschaft verlassen wollen, darauf, dass ein jeder für den Nächsten einsteht, dann müssen bestimmte Hebel in Bewegung gesetzt werden. Denn die Idee, die hinter unserem solidarischen Gesundheitssystems steht, ist jede Anstrengung wert. Dafür, dass wir alle uns an den Kosten beteiligen, so dass ein jeder, egal ob er arm ist oder reich, ob er hier geboren ist oder nicht, ob er Kinder hat oder keine, zum Arzt gehen kann, um mit der gleichen  Behandlung zu rechnen.

Ungleiche Behandlung darf sich nicht mehr rentieren. Das aber ist nur möglich, wenn wir den Tod der privaten Krankenkassen in Kauf nehmen. Dann wäre der Weg frei für eine einheitliche Bürgerversicherung, die auch SPD, Linke und Grüne favorisieren. Und das ist ein folgerichtiger Schritt zur Neustrukturierung des Gesundheitssystems. Denn unser System ist in die Jahre gekommen.

In vorindustrieller Zeit kümmerten sich Familien, Kirchen, Zünfte und Gilden um die Krankenversorgung der Menschen. Not und Elend der Bevölkerung aber nahm mit der voranschreitenden Arbeit in den Fabriken unter dampfenden Industrieschloten zu, so dass Otto von Bismarck mit seiner Sozialgesetzgebung einen revolutionären Gedanken einführte: Mit dem Gesetz betreffend der Krankenversicherung für Arbeiter von 1883 konnten sogar die Familienmitglieder der Arbeiter mitversichert werden, die Beiträge waren bereits damals abhängig vom Bruttoeinkommen.

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Der solidarische Samen für das Gesundheitssystem war gesät. Allerdings auch der für ein duales System der Kassen, das bis heute einzigartig in der Welt ist. Denn bereits damals wurden viele Menschen wie Lehrer oder Geistliche nicht erfasst, so dass sie sich in den neu gegründeten privaten Versicherungen zusammenschlossen.

Aufgrund der dramatischen Entwicklung in der Bevölkerungsstatistik steht user Gesundheitssystem heute permanent auf dem Prüfstand. Wenn sich nicht vieles ändert, droht eine völlige Überlastung. In Zukunft muss fast jede zweite Frau und jeder dritte Mann in Deutschland damit rechnen, eines Tages dement zu werden, schätzt etwa der Barmer-GEK-Pflegereport. Und wer dement wird, ist fast automatisch irgendwann auf Pflege angewiesen. Die Krankenkassen versuchen, die Herausforderungen mit erhöhten Beiträgen abzufedern.

Und das bringt vor allem die privaten Kassen immer wieder in Schwierigkeiten. Turnusgemäß erhöhten sie ihre Beiträge im Dezember, einige von ihnen um 60 Prozent. Zu Beginn dieses Jahres werden sich denn auch wieder mehr ihrer Mitglieder darüber Gedanken machen, wie sie aus ihrer Versicherung austreten können. Das aber ist fast unmöglich, wie gerade jene Mitglieder merken, die in jungen Jahren mit geringen Beitragszahlungen zu den Privaten gelockt wurden.

Abgesehen von steigenden Beiträgen schwinden  die Vorteile, die junge Menschen ursprünglich zu den Privaten zogen, mit zunehmendem Alter dahin. Sie können bei Erkrankungen plötzlich von Leistungen ausgeschlossen werden oder müssen höhere Selbstkosten übernehmen. Außerdem kann ein Kind, das vielleicht beim Eintritt in die private Krankenkasse noch nicht geplant war, nicht so einfach mitversichert werden, wie es bei der gesetzlichen Versicherung der Fall ist.

Die privaten Krankenversicherungen brüsten sich zwar mit dem Hinweis auf die Altersrückstellungen von 158 Milliarden Euro, trotzdem bleiben Zweifel bei der Frage, ob sie den Herausforderungen unserer rasant alternden Gesellschaft gewachsen sind.

Bei all dem Geschachere um Kunden, bei Beitragserhöhungen und Kopfpauschalen müsste die Politik endlich für Klarheit sorgen. Die Abschaffung privater Krankenkassen und die Einführung einer Bürgerversicherung bieten die Chance, auch die Besserverdiener in die Solidargemeinschaft zu zwingen.

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