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Postdemokratie - Die konservative Wende in der Politik

Pragmatismus statt Visionen, Politker, die sich nicht festlegen wollen: Die Eliten verteidigen zunehmend den Status quo und verhindern so den Wandel. In Deutschland breiten sich postdemokratische Verhältnisse aus

Nils Heisterhagen

Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

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War da was? Ach ja, wir hatten Wahlkampf dieses Jahr. Wurde da über die Zukunft geredet? Wurde darüber gesprochen, wie wir gemeinsam leben wollen? Nein. Wir haben keine Bekenntnisse gehört, keine Wünsche, keine Visionen. In allen Parteien dominierte stattdessen der unbedingte Willen zum politischen Pragmatismus und zur inhaltlichen Dehnbarkeit. War das ein Zufall? Nein, es war eher ein Symptom.

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Den Christdemokraten ist im Wahlkampf vorgeworfen worden, sie seien nach links gerückt. Im bürgerlichen Lager ging die Furcht vor der Sozialdemokratisierung der Merkel-CDU um. Tatsächlich jedoch lässt sich derzeit eine Art konservative Wende in der Politik beobachten. Die politischen Eliten sind einem Pragmatismus verfallen, einer Politik, die nicht mehr gestalten will, sondern die nur noch auf politische Stimmungen reagiert. Für politische Visionen ist da kein Platz mehr. Vorbei sind die Zeiten, in denen Angela Merkel zusammen mit Paul Kirchhof das Steuersystem radikal verändern wollte oder die SPD eine revolutionäre Außenpolitik betrieb. Politische Visionen werden heute in der Öffentlichkeit zunehmend zerredet und stattdessen spricht man eher vage.

Der republikanische Geist weicht aus der Demokratie


Diese inhaltslose und pragmatische Politik ist Teil eines Prozesses, der seit Längerem mit dem Begriff „Postdemokratisierung“ umschrieben wird. Dieser soll Verhältnisse ausdrücken, so der Politikwissenschaftler Colin Crouch, „in der zwar alle Institutionen der Demokratie weiter bestehen – und teilweise sogar gestärkt werden –, aber gleichzeitig die politische Energie aus ihnen entwichen ist“. Wirtschaftsliberale Ideen haben, angetrieben von den Finanzmärkten, die Politik durchdrungen, parallel entstand eine mächtige politische Kommunikationsindustrie, die vor allem die Interessen der Unternehmen und Arbeitgeber vertritt.

Mächtige Lobbygruppen haben die Politik zu einer Organisation von Kommunikationsimpulsen reduziert. In der Folge glauben viele Wähler, den Gang der Politik ohnehin nicht mehr beeinflussen zu können. Sie werden gezwungen, sich einer vermeintlichen Sachzwanglogik zu beugen, die meist als „alternativlos“ kommuniziert wird. Angela Merkel beherrscht diesen Politikstil virtuos. Sie und ihre Sprachrohre verwässern ihre Statements. Sie reden im Modus des Offen-Haltens. Sie schaffen es, zum Beispiel durch Finanzierungsvorbehalte, häufige politische Kurswechsel zu legitimieren und politische Versprechen zu verwerfen. Sie verlieren sich in einem Jargon des Ungefähren, damit alles offenbleiben kann.

Die Bürger mögen eine solche „strategische Kommunikation“ nicht, sie erwarten, dass in der Politik aufrichtig debattiert wird. Doch der republikanische Geist in der Demokratie schwindet zunehmend. Politikverdrossenheit nimmt rasant zu. Von der Demokratie bleiben nur die Institutionen übrig.

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Dieser Verlust des republikanischen Geistes ist in allen politischen Debatten zu spüren. Das hat Folgen. Einerseits erleben die Deutschen in ihrem eigenen Leben viel Wandel, der Veränderungsdruck ist groß. Von ihnen wird in der Arbeitswelt und im Privatleben viel Flexibilität erwartet. Andererseits glauben die Bürger, auf den Gang des Gemeinwesens keinen Einfluss mehr zu haben. Weil dies so ist und weil die Bürger nur noch damit beschäftigt sind, ihr eigenes Leben zu managen, suchen sie in der Politik nach Stabilität und Kontinuität. Oder anders gesagt: Die Gewinner des gesellschaftlichen Wandels und die Profiteure der Globalisierung versuchen ihren Status quo zuungunsten der Unterprivilegierten abzusichern. So gedeiht die konservative Wende.

Technokraten übernehmen die Macht


Wut- und Mutbürger waren gestern. Stuttgart 21, der Widerstand gegen die Studiengebühren und die Anti-Atom-Proteste nach Fukushima wirken heute wie der letzte Versuch des Rückgewinns bürgerschaftlichen Engagements. Dabei ist die Ausbeute dieser Proteste alles andere als ernüchternd, sie haben die Politik verändert. Doch mittlerweile scheint den Bürgern die Energie auszugehen. Technokraten, Bürokraten und Pragmatiker übernehmen die Macht. Selbst die Strahlkraft des „Change-man“ Barack Obama verblasst, selbst er mutiert zum Politikverwalter.

Die politischen Eliten träumen nicht mehr. Sie machen zwar noch Versprechen, aber fühlen sich nicht mehr verpflichtet, diese zu erfüllen. Sie fallen ihrem Pragmatismus zum Opfer. Der Machiavellismus der Politikeliten, die ihre eigentliche politische Agenda verbergen, ist salonfähig geworden. Früher gehörte der Machiavellismus zu den dunklen Seiten der Macht. Politiker durften sich nicht dabei ertappen lassen, nur als etwas zu erscheinen, was sie gar nicht sind. Beliebt waren die ehrlichen, authentischen und visionären Politiker.

Doch mit dem machiavellistischen Politikstil der Postdemokratie haben sich die Bürger abgefunden. In der Europapolitik zum Beispiel, die bei der Eurorettung ständig neue Pirouetten dreht, und die den Kontinent einer Austeritätspolitik unterwirft, die von den Finanzmärkten vorgegeben wird. Auch in der Steuerpolitik lässt sich keine Debatte über ein gerechtes Steuersystem mehr führen, weil Sparen mittlerweile als Selbstzweck gilt. Das nahezu Willkürliche dieser Pragmatik bleibt weitgehend kritiklos. Der Volkssouverän darf sich nicht täuschen lassen, er darf sich nicht – von den Finanzmärkten – unter Druck setzen lassen. Die Mehrheit der Deutschen will eine sozialdemokratische Politik, wählte aber trotzdem Merkel, weil sie souverän und gelassen alles im Griff zu haben behauptet. Der Wähler hat „keine Experimente“ gewählt, er klammert sich an den Erhalt des Status quo und hat Furcht vor dem sozialdemokratischen Wandel, den er aber grundsätzlich befürwortet.

Neue Visionslosigkeit von Politik


Realpolitische Nüchternheit als solche ist dabei allerdings nichts völlig Neues. Die meisten Politiker zitieren gerne aus Max Webers „Politik als Beruf“, dass Politik doch „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern“ bedeute. Ihr Arbeitsalltag bestätigt sie. Ein Philosoph ist bei Politikern darüber hinaus besonders beliebt: Karl Popper. Der kritische Rationalist, den Popper verkörpert, leistet sich keine Visionen und Träume, er ist durch und durch Realist, aber ein Realist mit Fortschrittsglauben. Er glaubt, dass es in der Politik um ein „piecemeal engineering“ geht, in dem man Stück für Stück Reformen erlassen sollte, die gesellschaftliche Veränderung langsam vollziehen. Er ist nüchtern und bewegt sich in der Realpolitik kritisch prüfend vorwärts. Pragmatismus gilt als verlässliche Grundhaltung gegenüber all den Unwägbarkeiten der Politik. Neu ist allerdings die Visionslosigkeit von Politik, der Verzicht auf Ziele jenseits der Tagespolitik, die Kapitulation vor einem transparenten Machiavellismus. Früher forderte der Pragmatismus zudem politischen Protest heraus, gegen die Notstandsgesetze, gegen die Aufrüstung, gegen die Hartz-IV-Reformen. Doch auch der gesellschaftliche Protest nimmt ab. Resignation macht sich breit.

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Ist diese konservative Wende Ausdruck eines als dauerhaft zu erwartenden Trends? Ist die Vision am Ende? Nehmen die Bürger den Pragmatismus nun hin?

Die politischen Visionen sollten nicht leichtfertig aufgegeben werden. Doch dazu braucht es Mut und zwar von den Bürgern und von den politischen Eliten. Die Bürger dürfen sich nicht einreden, dass sie ohnehin auf nichts einen Einfluss haben. Vielmehr müssen sie sich darauf besinnen und die Eliten daran erinnern, dass in der Demokratie alle Macht vom Volk ausgeht. Die CDU mag mit einer pragmatischen Machtpolitik leben können, weil sie vor allem eine Organisation zum Regieren ist. Dagegen wurde die Sozialdemokratie zur Verwirklichung der sozialen Demokratie gegründet. Pragmatische Beliebigkeit passt einfach nicht zu ihr. Sie steht für die politische Realisierung linker Hoffnungen. Sie ist die Partei des sozialdemokratischen Traums eines fairen Gemeinwesens. Deshalb hat die SPD nur eine Zukunft: wenn sie wieder Visionen wagt. Sie muss wieder träumen.

 

 

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