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Politische Tektonik - FDP-Untergang wird zum Problem der SPD

Kolumne: Empörung. Die FDP wird ein Fall für die Geschichtsbücher. Selbst in linken Kreisen ist man besorgt, dass durch das Verschwinden der FDP die Große Koalition zur Dauerlösung wird. Der Erfolg der AfD – zulasten der FDP – könnte so zur existenziellen Frage für die SPD werden

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Vor kurzem haben wir für Cicero eine Meinungsumfrage zu einem politisch umstrittenen Thema in Auftrag gegeben. Nach ein paar Tagen kamen die Ergebnisse, aufgeschlüsselt nach den Präferenzen der Anhänger bekannter Parteien. Vertreten waren natürlich CDU/CSU, SPD, Linke und Grüne. Berücksichtigt waren erstmals auch Wähler der AfD. Es dauerte einige Zeit, bis mir auffiel, wer fehlte: die FDP.

Offensichtlich fallen die Liberalen nicht mehr ins Gewicht; es gibt zu wenige von ihnen als dass es sich lohnen würde, sie noch als eine eigenständige Gruppe auszuweisen. Man braucht also gar nicht auf die desaströsen Landtagsergebnisse in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zu schauen, um zu begreifen, dass die FDP im Begriff ist, von der politischen Landkarte praktisch getilgt zu werden. Denn bei solchen Ereignissen wird die Partei ja immerhin noch erwähnt. Viel verheerender für die Liberalen ist die Tatsache, dass sie – siehe unsere Umfrage – künftig immer häufiger Quantité négligeable sein werden: eine unbedeutende Splitterpartei, über die allenfalls noch in der Vergangenheitsform gesprochen wird.

Linke sorgen sich um die FDP
 

Es geht jetzt gar nicht darum, den Liberalen dicke Krokodilstränen nachzuweinen wie Hessens grüner Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, der nach den Wahlen am vergangenen Sonntag lakonisch meinte: „Ohne FDP ist auch keine Lösung“. Die Frage ist vielmehr, wie sich die politische Gemengelage in diesem Land verändern würde, sollte diese Partei tatsächlich auf Dauer gar keine Rolle mehr spielen. Und da ist, man höre und staune, sogar die linke tageszeitung einigermaßen besorgt. In einem am Dienstag erschienenen Kommentar hieß es: „Ein dauerhaftes Ersetzen der Liberalen durch die AfD – und alles spricht gegenwärtig dafür – würde jedoch die gesamte koalitionäre Tektonik dieser Republik verändern. Denn die FDP ist klassischerweise in der Mitte des Parteienspektrums angesiedelt. Damit ist sie koalitionsfähig nach rechts und links – und somit potenzielle Regierungsalternative für Union und SPD.“ Die Konsequenz beschreibt taz-Autor Albrecht von Lucke so: „Käme die FDP auch 2017 nicht in den Bundestag, schiede die von SPD-Chef Gabriel präferierte Ampel endgültig aus. Zöge die AfD ein, stünde das 2013 noch verschenkte radikal-,bürgerliche‘ Potenzial (damals fast 10 Prozent für AfD und FDP) allein der Union zur Verfügung. Der Erfolg der AfD – zulasten der FDP – ist also keine existenzielle Frage für die Union, sondern für die SPD.“

Von der Frage abgesehen, was mit „radikal-bürgerlich“ eigentlich gemeint ist und ob diese beiden Begriffe einander nicht eher ausschließen, bleibt die Feststellung, dass im gemäßigt linken Lager also keineswegs nur helle Freude über den sich in atemraubender Geschwindigkeit vollziehenden Niedergang des organisierten Liberalismus in Deutschland herrscht. Das gilt übrigens nicht nur koalitionsstrategisch, sondern durchaus auch inhaltlich. Wenn etwa Bündnis90/Die Grünen an diesem Freitag in Berlin einen „Freiheitskongress“ abhalten, kann man davon ausgehen, dass es ihnen nicht nur darum geht, das Image der dirigistischen Veggie-Day-Partei loszuwerden. Auf der Tagesordnung stehen dort nämlich Themen wie die Datensammelwut von Staaten und Unternehmen, die Macht großer Konzerne, individuelle und gesellschaftliche Freiheit. Das sind beileibe keine Nebensächlichkeiten.

Dass die Grünen das ideelle Erbe der FDP antreten werden, ist trotzdem schwer vorstellbar; dazu sind – zumindest im linken Flügel – marktwirtschaftliche Prinzipien und das Primat der Eigenverantwortung zu verpönt. Vielleicht dämmert dann ja dem einen oder anderen Bürger, der einen oder anderen Bürgerin dieses Landes, dass die FDP doch nicht die schlechteste Wahl ist. Zumindest, wenn eine Große Koalition keine Lösung auf Dauer sein soll. Oder die Alternative auf politische Farbkombinationen hinausläuft, die noch weit weniger verheißungsvoll sind.

 

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