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Poker um Snowden - Welche Partei profitiert von der NSA-Affäre?

Die Spähaffäre um den US-Geheimdienst NSA wird zum Wahlkampfthema. Welcher Partei nutzt und wem schadet das?

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Robert Birnbaum ist Redakteur im Ressort Politik beim Tagesspiegel

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Wenn ein Wahlkampf eigentlich kein Thema hat, dann sucht er sich eins. Die mutmaßliche Ausspäh-Affäre um den US-Geheimdienst NSA und den Ex-Agenten Edward Snowden wäre auch in normalen Zeiten ein Nachrichten-Thema. Der Wahlkampf lädt die Sache zusätzlich auf. Die Regierung sieht sich in Verteidigungsposition gedrängt, die Opposition wittert Chancen, der bisher schier unangreifbaren Kanzlerin ans Zeug zu flicken.

Ob diese Rechnungen aufgehen, ist allerdings ungewiss. Meinungsforscher beobachten bei den Bürgern eher verhaltenes Desinteresse.

In der letzten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ordneten gerade mal vier Prozent der Befragten das Thema unter die wichtigsten politischen Fragen ein. „Medial sieht das anders aus“, sagt Forschungsgruppen-Chef Matthias Jung, „aber Datenüberwachung und Spionage spielen in der Bevölkerung bisher keine große Rolle.“ Dass sich das noch ändert, glaubt Jung eher nicht. Einen Effekt allerdings könne die NSA-Affäre haben: Die Kritiker könnten damit ihre eigene Anhängerschaft mobilisieren. So könne die Geheimdienstaffäre die verzagte Stimmung bei der SPD heben helfen: „Insofern ist die Spionage im Moment vor allem ein gutes Thema, um nach innen zu wirken.“

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CDU

Angela Merkel ist auf der Hut. Schon bei Barack Obamas Berlin-Besuch ließ die Kanzlerin wissen, dass sie nach dem Gespräch mit dem US-Präsidenten noch Fragen offen sehe. Als die Enthüllungen über das „Prism“-Programm der NSA immer höhere Wogen schlugen, ließ sie ihren Sprecher Steffen Seibert resolute Töne anschlagen: „Wir sind nicht mehr im kalten Krieg!“ Merkel geht offenkundig davon aus, dass die klassische Positionierung der CDU als Partei der Inneren Sicherheit nicht mehr ausreicht.

Trotzdem hält sich die Sorge noch in Grenzen, dass das Thema den Wahlkampf bis zum Schluss bestimmen oder gar die Kanzlerin in Schwierigkeiten bringen könnte. „Große Beunruhigung besteht nicht“, wird in der CDU versichert. Die eigene Wählerschaft wolle keinen leichtfertigen Umgang mit persönlichen Daten – aber sie wolle noch viel weniger, dass Terrorhelfer sich ungestört im Internet bewegen könnten. „Die Leute haben nach wie vor viel Verständnis für die Belange der Sicherheit“, glaubt ein Abgeordneter, der sich mit diesen Fragen schon lange befasst.

Doch die Sicherheitspolitiker halten sich derzeit auffallend zurück. Unter vier Augen empören sich Unionspolitiker schon mal darüber, dass es jetzt neuerdings als Skandal gelte, wenn Geheimdienste sich nicht auf Zeitungslektüre als Quelle beschränkten. Offen sagen will das kaum einer. Denn keiner weiß, wie sich das Thema noch entwickelt. Am Ende hat es ein Mann wie Snowden in der Hand, neue Vorwürfe zu erheben – und eine Regierungspartei dann womöglich gar nicht mehr die Zeit zu reagieren.

CSU

Horst Seehofer ist noch viel mehr auf der Hut. Der CSU-Chef stellt inzwischen offen die Haltung der Union zur Vorratsdatenspeicherung in Frage und damit ganz nebenbei seinen Parteifreund, den Innenminister Hans-Peter Friedrich, allein in den Regen. Auch seine Kronprinzessin, Noch-Verbraucherministerin Ilse Aigner, wirft öffentlich die Frage auf, ob es wirklich nötig sei, Verbindungsdaten wie bisher von der EU gefordert für mindestens ein halbes Jahr aufzubewahren.

Dass ein CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident vor einem „Überwachungsstaat“ warnt, lässt sich nur durch eins erklären: Seehofer will auf gar keinen Fall die Aussicht gefährden, dass er die CSU zurück zur absoluten Mehrheit führt. Taktisch bedient er sich der gleichen Methode, die Merkel im Bund anwendet: eine breite inhaltliche Aufstellung kombiniert mit flachem Profil ohne Angriffspunkte. Oder, weniger sozialwissenschaftlich formuliert: Wer vieles gibt, wird jedem etwas geben. Und wenn es sein muss, sogar der Netzgemeinde.

SPD

Die SPD sieht in der Abhör-Affäre zwar eine willkommene Chance, der Bundeskanzlerin Untätigkeit vorzuwerfen und damit die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren. Eine durchdachte Strategie für die verbleibenden Wochen des Wahlkampfes jedoch ist bisher nicht zu erkennen. Die Wahlkämpfer im Willy-Brandt-Haus wissen schlicht, dass die Empörung über das Abhören der Amerikaner allenfalls unter ihren „Netz-affinen“ Anhängern groß ist. Der übergroße Rest der potenziellen Wähler sieht in der Affäre eher keinen herausragenden Grund zur Abwahl von Schwarz-Gelb. Am Wochenende hatte zwar Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Angela Merkel vollmundig vorgeworfen, sie verletzte ihren Amtseid, in dem sie versprochen hatte „Schaden vom deutschen Volk abzuwenden“.

Und am Montag ergänzte Generalsekretärin Andrea Nahles, Merkel nehme hin, dass „millionenfach Grundrechte der Bürger verletzt werden“. Dennoch gab Nahles zu: „Das ist kein Thema, das den Wahlkampf entscheidet“. In der Tat tut sich die SPD schwer, die Regierung zu stellen und wirkungsvoll unter Druck zu setzen. Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss stehe ihre Partei zwar „aufgeschlossen gegenüber“, sagte Nahles. Allerdings wolle man darüber erst „in der nächsten Legislaturperiode“, also nach der Bundestagswahl, entscheiden. Auch eine Sondersitzung des Bundestages will die SPD zunächst nicht initiieren. Die „Aufklärung der Öffentlichkeit“ fordert die SPD im parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages, das ein Geheimgremium ist und damit eher weniger geeignet für öffentlichen Erkenntnisgewinn sein dürfte.

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FDP

Für die liberalen Wahlkämpfer kommt die Abhör-Affäre zur Unzeit. Inhaltlich böte sich zwar die Gelegenheit, sich als Wächter von Datenschutz und Datensicherheit in der Koalition zu präsentieren, was insbesondere FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auch tut. Andererseits wollen die Liberalen eine „erfolgreiche Regierungsarbeit“ mit der Union fortsetzen und dürfen ihre Anhänger daher nicht durch allzu deutliche Distanzierung von der Union verunsichern.

GRÜNE

Für die Grünen und ihr Klientel ist das Thema eigentlich ein kleines Geschenk. Denn die Komponenten Geheimdienst-Skepsis, moderater Anti-Amerikanismus und der Kampf um Bürgerrechte passt zu den Einstellungen der eigenen Wählerschaft, die zwar ohnehin mobilisiert ist, damit aber bei Laune gehalten wird. Wie so oft in den vergangenen Monaten können sie sich auch als die konsequentere Partei im rot-grünen Lager präsentieren: Sie haben schnell Asyl für Edward Snowden gefordert, der die Enthüllungen zu verantworten hat und derzeit in Moskau festsitzt. Sie haben jetzt einen Untersuchungsausschuss gefordert und nicht nur eine allgemein gehaltene Forderung nach Aufklärung. Allerdings hilft ihnen all das in einer festen Bindung an die schwächelnde SPD nicht viel.

LINKE

Für die Linken gilt einerseits ähnliches wie für die Grünen, nur dass die Position etwas schärfer ist. Sie selbst werden vom Verfassungsschutz beobachtet und haben damit eine viel stärkere Abneigung gegenüber Geheimdiensten. Auch der Anti-Amerikanismus ist deutlich extremer ausgeprägt. Aber die Linken haben ein Glaubwürdigkeitsproblem: Denn die Stasi wird immer wieder als Referenz bei diesem Thema herangezogen. Und die verbindet man nunmal auch mit der Vergangenheit der Linken.

PIRATEN

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie stark die Piraten an öffentlicher Aufmerksamkeit verloren haben, liefert ihn die NSA-Affäre. Der Abhörskandal müsste für die Internet-Partei ein gefundenes Fressen sein. Auf ersten Wahlplakaten mit Slogans wie „Zuhören statt Abhören“ oder „Meine Daten gehören mir“ greift die Partei das Thema auch auf. Aber die Mobilisierung der eigenen Anhänger im Netz verläuft, höflich gesagt, schleppend. Von größeren Protesten war selbst am Rande des Obama-Besuchs nichts zu sehen. Offenbar alarmiert das Thema eine Gemeinde nicht, in der die Überzeugung ohnehin verbreitet ist, dass im Netz alles und jeder abgehört wird.

 

 

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