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Piraten und Urheberrecht - Wirklichkeitsfremde Gratis-Konsumenten

Bedingungsloses Grundeinkommen, allgemeine Verfügbarkeit von Wissen und Kultur - das Programm der Piratenpartei präsentiert eine marxistische Idee von Eigentum, vor allem von geistigem Eigentum. Solch ein Gratiskonsum hätte weitreichende Konsequenzen. Ein Kommentar

Sie mögen sich romantische Vorstellungen über die historischen, kriminellen Vereinigungen zur See gemacht haben, als sie ihre Partei „Piraten“ nannten. Vielleicht dachten sie auch an Karl Marx, der die „ursprüngliche Akkumulation“ von Kapital unter anderem zurückführte auf die Enteignung von Bauern, den Raub von Land – und auf Piraterie im Mittelmeerraum. Womöglich schwebten ihnen auch die Heldenkostüme von Errol Flynn und Johnny Depp vor.

Auf alle Fälle pflegen sie in ihrem Programm eine durchaus revolutionäre, im Kern marxistische Idee von Eigentum, genauer, von „geistigem Eigentum.“ Es muss, folgt man ihrem Programm, aus seinem „veralteten Verständnis“ befreit werden; denn es steht der „angestrebten Wissens- und Informationsgesellschaft entgegen.“ Historisch gesprochen: Die agrarische Subsistenzwirtschaft stand ja auch der Entwicklung des Kapitalismus entgegen und musste ihm im Zuge des „Bauernlegens“ weichen.

Jetzt aber geht es nicht mehr um den Fortschritt des Kapitalismus, sondern um den des globalen Wissens. Folglich fordert die Piratenpartei die  „allgemeine Verfügbarkeit von Werken“ durch „freies Kopieren im Netz.“ Marxistisch gesprochen: Die Verwertungsgesellschaften – also Verlage, Film- und Musikproduzenten und mittelbar eben vor allem die Urheber – sollen ihr geistiges Eigentum vergesellschaften. „Wir sind der Überzeugung“, heißt es im Piraten-Programm, „dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte und die Interessen von den meisten Urhebern entgegen anders lautender Behauptungen von bestimmten Interessengruppen nicht negativ tangiert.“

Dasselbe soll auch für Software-Patente gelten. „Patente als staatlich garantierte privatwirtschaftliche Monopole stellen grundsätzlich eine künstliche Einschränkung der allgemeinen Wohlfahrt dar.“ Wäre es nach dieser Partei gegangen, hätte es nach 1945 keine kommerzielle, weil patentierbare Entwicklung von Breitband-Antibiotika gegeben, keine HIV-Forschung, keine Antipolio-Impfstoffe, keine Antikrebs-Mittel usw., usw. Stattdessen: Patentfreies Aspirin für alle? 

[gallery:Die Piratenpartei. Ein Landgang auf Bewährung]

Jahr für Jahr gibt der Verlagsbuchhandel in Deutschland rund 90.000 Neuerscheinungen heraus. Sie sind fast ausnahmslos geschützt durch das Urheberrecht. Ihr Verkauf im traditionellen Buchhandel sichert mehr als 20.000 Arbeitsplätze – von den Verlagen und Druckereien ganz abgesehen. Der gebundene Ladenpreis (auch im E-Book-Vertrieb) bildet seit mehr als 120 Jahren die Voraussetzung einer weltweit einmaligen Vielfalt unserer Wissensgesellschaft. Kein Zweifel, das Netz – keine Erfindung der Piratenpartei, sondern des Pentagon – ist inzwischen ein unverzichtbares Element globaler Wissensvermittlung. Aber auch hier gilt: Seine explosionsartige Entwicklung beruht auf den patentierbaren Eigentumsinteressen der Software-Entwickler. Das Netz ist kommerziell. Auch der Wikipedia-Betreiber und Software-Unternehmer Jimmy Wales finanziert sein fabelhaftes, kostenloses Weltlexikon mit privaten Produktangeboten für die amerikanische Wirtschaft.

Das Weltbild der Piratenpartei kreist um das Ideal einer „allgemeinen Verfügbarkeit von Information, Wissen und Kultur.“ Es  geht davon aus, dass die Schöpfung aller Werke „in erheblichem Maße auf den öffentlichen Schatz von Schöpfungen zurückgreift. Die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum ist daher (…) berechtigt.“

Anders gesagt: Der Schriftsteller, der Thomas Mann gelesen hat, der Forscher, der sein ursprüngliches Wissen an einer Universität versammelt hat, der Komponist, der seinen Schönberg kennt, der Film-Regisseur, der zurückgreift auf seine Kenntnisse der Kinogeschichte – sie sind alle der historischen Wissensakkumulation verpflichtet und haben nur einen höchst begrenzten Anspruch auf das Eigentum ihrer je eigenen Hervorbringungen.

Die ideale Weltanschauung der Piratenpartei wird offensichtlich beherrscht von einem ent-individualisierten Arbeitsbegriff, in dem die Idee des privaten geistigen Eigentums keine entscheidende Rolle mehr spielen soll. Konsequent wäre es natürlich, mit seiner Aufhebung auch die Geldwirtschaft in Frage zu stellen – und genau das haben die weit über 1000 so genannten Urheber, also die Künstler, Schriftstellerinnen, Musiker, Schauspieler und Regisseure geahnt, als sie jenen Aufruf unterzeichneten, der die Mitglieder der Piratenpartei als das entlarvt, was sie wirklich sind: Wirklichkeitsfremde Gratis-Konsumenten, die nun als Selbsterfahrungsgruppe in den Landesparlamenten sitzen. Ginge es nach diesen ersten post-modernen Politikern der Bundesrepublik, müssten sich die Künstler aber keine Sorgen machen: Für sie käme ja das garantierte Grundgehalt nach Eintritt ins zwölfte, sechzehnte oder zwanzigste Lebensjahr in Frage. Über das Eintrittsalter ins Paradies denkt die Partei noch nach.

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