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AfD, Piraten & Co. - Wie neue Kleinparteien die Großen ärgern

Sie sind kleine Fische, aber durchaus ernst zu nehmen. Mit populären Themen versuchen sie, den etablierten Parteien Stimmen abzujagen. Entscheiden die Kleinparteien die Bundestagswahl?

Autoreninfo

Robert Birnbaum ist Redakteur im Ressort Politik beim Tagesspiegel

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Hubert Aiwanger ist sauer. Der Samstag sollte für seine Freien Wähler zum großen Moment werden. Doch die Bundesversammlung, die in Berlin das erste Bundes-Wahlprogramm beschließen soll, interessiert nur ihre rund 250 Mitglieder im Saal des Langenbeck-Virchow-Hauses – sonst fast niemanden. Die Pressebänke bleiben leer, nur zwei Fernsehkameras zeichnen die Reden auf. „Wir sind Demokraten, andere sind geldgesteuert“, giftet Aiwanger. Alle im Saal wissen, wen er meint. Dass die „Alternative für Deutschland“ (AfD) von finsteren Bonzen eigens zu dem Zweck gegründet worden sei, den Freien Wählern die Wähler abzugraben, daran glauben Aiwangers Truppen gerne.

Man kann freilich auch ganz ohne Verschwörungstheorien konstatieren: Im Lager der Kleinparteien herrscht neuerdings scharfe Konkurrenz. Als die Freien Wähler sich entschlossen, nach ihrer Erfolgsserie im Stammland Bayern erstmals im ganzen Bundesgebiet anzutreten, schienen sie noch ziemlich allein auf weiter Flur. Dann kamen erst die Piraten, dann die AfD. Und jetzt steht Aiwanger da und warnt vor „Rattenfängern“.

Das Problem, sagt ein nordrhein-westfälischer Parteifreund des FW-Vorsitzenden, das Problem sei nur: „Der Rattenfänger hat damals ja Erfolg gehabt.“ Die Freien haben schon bei den letzten Landtagswahlen die Erfahrung gemacht, wie schnell eine neue Partei wie die Piraten jene Protestwähler abzieht, die von einer ganz anderen Politik träumen. Die konservativ daherkommende AfD könnte noch gefährlicher werden – zumal sie mit ihrer strikten Anti-Euro-Haltung die eurokritischen FW schlicht überbietet.

Bei den etablierten Parteien sehen sie die Konkurrenz der Kleinen mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits sind die Randtruppen auf dem besten Wege, sich gegenseitig die Frustrierten unter den Wählern abzujagen. Damit bringen sie sich womöglich selbst um den Einzug in den nächsten Bundestag. Gleichzeitig wächst freilich mit der Breite des Angebots auch die Zahl derer, die glauben, für ihren Unmut das richtige Ventil gefunden zu haben.

Vor allem bei den Regierungsparteien geht die Sorge um, dass ihnen am Ende die paar tausend Stimmen fehlen, die einen knappen schwarz-gelben Wahlsieg möglich machen könnten. Nicht zufällig hat die FDP-Zentrale sehr schnell eine Analyse angefertigt (und öffentlich werden lassen), die den Nachweis führen soll, dass so etwas wie die Professorenpartei AfD für die Freidemokraten ungefährlich sei. Das Gegenteil ist der Fall. Wo immer die FDP in den zurückliegenden Jahren größere Erfolge feiern konnte, verdankte sie das frustrierten Ehemaligen aus der CDU.

Für die CDU sind die Neugründungen auch keine richtig gute Nachricht. Bisher galt bei CDU-Strategen eine doppelte Gewissheit: Erstens seien viele von denen, die vor drei Jahren Guido Westerwelles Steuersenkungsmantra nachgelaufen seien, längst auf dem Weg zurück. Und zweitens: Enttäuschte Konservative wählten trotzdem weiter Angela Merkels Partei, mangels Alternative.

Beide Rechnungen drohen nicht mehr aufzugehen. Das wäre paradoxerweise nur halb so schlimm, wenn irgendeine der Protestparteien die Fünf-Prozent-Hürde überspränge. In einem Sieben-Parteien-Bundestag bliebe schon rechnerisch kaum mehr als eine große Koalition unter der Kanzlerin Angela Merkel. Die CDU-Spitze hat nicht ohne Hintergedanken sehr freundlich über Piraten geredet, als deren Aufstieg unaufhaltsam schien.

Wenn die Protesttruppen aber allesamt außerparlamentarisch bleiben, kosten sie Stimmen und bringen nichts. Dann hilft nur eins: Traditionswähler vom Abwandern abbringen. Die Konservativen in der CDU erahnen da schon eine Chance. Man müsse die neue Konkurrenz ernst nehmen, schreiben drei CDU-Landesfraktionschefs an Merkel. Gemeint ist eher wohl: Merkel solle endlich mal die alte CDU ernst nehmen.

Die Kleinparteien im Kurzporträt

DIE PIRATENPARTEI

Parteigründung: 10. September 2006
in Berlin
Mitgliederzahl: 32 200

Landesverbände: 16
Landtagsfraktionen: 4
Mitglieder in Landtagen: 45

Kurzfristig Mindestlohn und langfristig ein bedingungsloses Grundeinkommen, volle Gleichstellung aller Lebenspartnerschaften, mehr Mieterschutz und eine weniger rigide Asylpolitik, ein Ja zum Besitz von 30 Gramm Cannabis und zum kontrollierten Abbrennen von Pyrotechnik in Fußballstadien, Kontrolle der Mittelvergabe im Rahmen des ESM durch das Europaparlament, mehr Volksentscheide und vieles mehr: Die Piratenpartei hat sich bei ihrem Bundesparteitag an diesem Wochenende in Neumarkt in der Oberpfalz ein durchaus umfassendes Programm für die Bundestagswahl im September gegeben.

Inhaltlich steht die Partei für eine grundlegend sozialliberale Programmatik mit basisdemokratischem Impetus. Hinzu kommt ein spezielles Interesse an netzpolitischen Themen. Denn auch der Kampf gegen Drosselungen von Datenvolumen, gegen Staatstrojaner und der Schutz der Freiheit digitaler Netzwerke im Grundgesetz steht im Wahlprogramm. Spannend wird zudem, ob die Partei tatsächlich, wie von ihrer neuen politischen Geschäftsführerin Katharina Nocun angedeutet, im Wahlkampf bei Renten- und Sozialpolitik explizit als eine Art Generationenpartei für die Interessen der derzeit unter 40-Jährigen sprechen wird.

Für die, die sich in Fragen der grundsätzlichen Machbarkeit politischer Forderungen nicht an vagen Formulierungen wie jener stoßen, das bedingungslose Grundeinkommen müsse „seriös finanziert“ sein, wäre die Partei also durchaus wählbar. Zumal dann, wenn man von ihr zunächst einmal keine Regierungsbeteiligung erwartet, sondern vor allem die kritische Hinterfragung parlamentarischer Strukturen und vermeintlicher Selbstverständlichkeiten. des etablierten Politikbetriebs.

Doch leider ist da noch die politische Kultur innerhalb der Partei: Die verrannte sich auf ihrem Parteitag bei der großen innerparteilichen Grundsatzdebatte um eine beschlussfähige ständige Mitgliederversammlung im Netz gnadenlos. Bereits seit Freitagabend immer wieder diskutiert, scheiterte die sogenannte SMV am Sonntagvormittag an der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit. Doch es folgten, wie so oft bei den Piraten, Endlosdiskussionen über Geschäftsordnung und Verfahrensfehler, die das Ergebnis schließlich wieder zu einem Nicht-Ergebnis machten. Vier Stunden später gab es dann ein neues: Eine ständige Mitgliederversammlung im Netz wird es demzufolge vorerst nicht geben, doch immerhin die Möglichkeit für dezentrale „analoge“ Urabstimmungen hat sich die Partei nun in die Satzung geschrieben - ein Kompromiss. Über die wollen die SMV-Befürworter nun als erstes doch noch ihr Modell durchdrücken – etwas, was die Piraten erneut viel Kraft kosten wird, die dann an anderer Stelle fehlt. jos

 

DIE ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND

Parteigründung: 6. Februar 2013
Mitgliederzahl: 10 476
Landesverbände: 16
Landtagsfraktionen: 0
Mitglieder in Landtagen: 1

Die „Alternative für Deutschland“ kam Anfang des Jahres wie weiland der preußische Reitergeneral Zieten aus dem Busch. Dabei lag sie theoretisch schon lange in der Luft: Eine Partei, deren Führungsebene sich überwiegend aus Frustrierten aus dem konservativen und freidemokratischen Lager rekrutiert – davor haben CDU-Konservative lange gewarnt. Und dass es in Deutschland bisher keine scharfe Anti-Euro-Partei gab, galt ebenfalls als eigentlich schwer erklärbarer europäischer Sonderfall.

Beides gibt es jetzt. Die AfD – nach dem Bild, das ihr Gründungstreffen den Fernsehkameras bot, schon als „Professorenpartei“ bezeichnet – bemüht sich dabei sehr um honoriges Auftreten und Glaubwürdigkeit. Man sei kein Sammelbecken für verstreute Rechte, betont der Vorsitzende, der Ökonomieprofessor Bernd Lucke, immer wieder. Er präsentiert seine Truppe sogar als koalitionsfähig mit Schwarz-Gelb – sofern man dort nur von der derzeitigen Euro-Politik Abstand nehme. Ob die AfD Chancen auf einen Einzug in den Bundestag hat, ist völlig offen. Erste Umfragen, die ihnen fünf Prozent zutrauen, dürften vor allem das Interesse am Neuen widerspiegeln. bib

 

DIE FREIEN WÄHLER

Parteigründung: 24. Januar 2009
in Würzburg
Mitgliederzahl: 5000
Landesverbände: 14
Landtagsfraktionen: 1
Mitglieder in Landtagen: 21

„Freie Wähler“ ist ursprünglich ein Sammelname für Unabhängige, die in den Stadt- und Gemeinderäten Bayerns und Baden-Württembergs den Etablierten Paroli boten. Diese kommunale Ausrichtung prägt auch das Programm für das erste Antreten bei Bundestagswahlen. Vor-Ort-Themen wie die Privatisierung der Wasserversorgung oder eine gentechnikfreie Landwirtschaft nehmen dort breiten Raum ein und münden in präzise Forderungen, auf Feldern wie der Außenpolitik dominieren dagegen menschenfreundliche Allgemeinplätze. In der Partei war lange umstritten, ob man überhaupt auf Bundesebene antreten soll. Aber inzwischen hat sich die Lesart durchgesetzt, dass auch gute Kommunalpolitik zum Scheitern verurteilt sei, wenn über das Geld sowieso immer anderswo entschieden wird.

Die Freien präsentieren sich jetzt als bodenständig und nah an den praktischen Problemen der Leute, frei von Lobbyeinflüssen und Ideologien – mit den Worten des durchaus populistisch begabten Vorsitzenden Hubert Aiwanger: „Gesunder Menschenverstand nach Berlin!“

Dieser „gesunde Menschenverstand“ umfasst eine Ablehnung der Euro-Rettungspolitik, die ein nicht allzu genauer Zuhörer sogar für ein Nein zum Euro halten könnte. Lange war das ein programmatisches Alleinstellungsmerkmal. Inzwischen gibt es Konkurrenz. In den Umfragen sind die Freien allerdings schon vorher nie in die Nähe der magischen fünf Prozent gekommen.

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