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(picture alliance) Rösler hat sich durchgesetzt – die Praxisgebühr kommt weg. Die Fünf-Prozent-Hürde sitzt den Liberalen dennoch im Nacken

Koalitionsausschuss - „Philipp Rösler kann zufrieden sein“

Monatelang ist es der FDP nicht gelungen, sich politisch zu profilieren. Beim gestrigen Koalitionsausschuss konnte sie nun einige ihrer Anliegen durchsetzen. Dennoch räumt Gerd Langguth den Liberalen kaum Chancen bei der Wahl 2013 ein

Herr Langguth, sind die Beschlüsse des Koalitionsausschusses als Gewinn für die Wählerschaft zu werten oder haben sich CDU, CSU und FDP vielmehr selbst beschenkt?
Beides. Es wurden Themen besprochen, die im Raum standen und die gelöst werden mussten. Sie mussten aber auch deswegen gelöst werden, weil sich die Koalition als regierungsfähig präsentieren musste. Der Koalitionsausschuss war die letzte Chance vor den Bundestagswahlen.

Ist es der Koalition denn gelungen, sich als regierungsfähig zu präsentieren – zumindest für die kommenden elf Monate bis zur Bundestagswahl?
Ich denke, ja. Das Betreuungsgeld war das umstrittenste Thema. Da kam Merkel wegen des Vetorechts der FDP nicht voran. Nun fand man eine Lösung. Und was bleibt Schwarz-Gelb denn anderes übrig, als den Willen zu einer erneuten Koalition kundzutun?

Man könnte ein Scheitern der Koalition in Kauf nehmen?
Sich aus Unionssicht heute schon für eine andere Koalitionsaussage als für Schwarz-Gelb stark zu machen, wäre töricht. Täte Merkel heute ihre Präferenz einer Koalition etwa mit der SPD kund, würde diese das brüsk zurückweisen müssen – der Kanzlerkandidat Steinbrück hat für seine Person erklärt, dass er keinesfalls bereit wäre, in ein Kabinett Merkel einzutreten.

Eine kluge Entscheidung?
Dies ist eigentlich eine erstaunliche Aussage. Nach der Bundestagswahl könnte eine Situation entstehen, in der eine Große Koalition unvermeidlich ist. Dann würde sogar Frank-Walter Steinmeier als Stellvertreter des Bundeskanzlers in Betracht gezogen werden müssen. Steinbrück müsste sich erneut auf den politischen Ruhestand vorbereiten. Aber auch andere Konstellationen sind denkbar: Theoretisch käme sogar Schwarz-Grün in Betracht, auch wenn sich die Grünen heute offiziell mit aller Heftigkeit dagegen wehren. Alles ist offen. Entscheidend wird die Statistik am Wahlabend sein. Die Grünen würden dann zuschlagen, wenn eine Koalition mit Merkel ihre einzige Chance zu einer Regierungsbeteiligung ist. Hinzu kommt ein – nicht sehr wahrscheinliches, aber doch denkbares – Szenario, bei dem nur Union, SPD und Grüne in den Bundestag kommen und alle anderen Parteien – FDP, Linke und die noch nicht vertretenen Piraten – unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen. Das könnte sogar zu einer absoluten Mehrheit der Union führen.

Dass erneut Schwarz-Gelb die Mehrheit erzielen, halten Sie jedoch für unwahrscheinlich?
Die FDP ist durch die Fünf-Prozent-Hürde gefährdet. Schwarz-Gelb ist zum jetzigen Zeitpunkt recht unwahrscheinlich. Aber das hatten kluge Leute auch vor der letzten Bundestagswahl gesagt. Der Wähler und die Wählerinnen sind heute immer unkalkulierbarer. Ich glaube, dass es auf eine große Koalition herausläuft.

Dennoch konnte sich die FDP in der vergangenen Nacht durchsetzen – die Praxisgebühr fällt weg. Kann Philipp Rösler zufrieden sein?
Ja, das kann er. Mir scheinen die Ergebnisse ein Punktsieg für die FDP zu sein, nicht nur, weil die unpopuläre Praxisgebühr abgeschafft wurde, sondern weil es ihr gelang, im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld dafür zu sorgen, dass nicht nur das Modell einer Barzahlung möglich ist, sondern dass eine Bildungskomponente hinzu kam. Immerhin wurde das Betreuungsgeld durch das faktische Hinhalten der FDP jetzt auf den 1. August kommenden Jahres verschoben, das dann zeitgleich mit den Kita-Zahlungen eingeführt wird.

Und die CDU?
Die CDU bekam auch einiges aus dem Pott. Zum Beispiel eine Aufbesserung der Rente von Geringverdienern. Die Haushaltskonsolidierung, dass nämlich bis 2014 das „strukturelle Defizit“ des Bundeshaushaltes beseitigt werden soll, war zwar eine Forderung der FDP, musste aber auch der CDU recht sein. So können alles in allem die Koalitionspartner zufrieden sein, auch wenn ihnen der Ruf des „Kuhhandels“ – wie vom Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann – entgegenschallte.

Seite 2: Wer wird der Kanzlerin gefährlich?

Die Opposition hatte angekündigt, eine Verfassungsklage einzureichen, sollte das Betreuungsgeld beschlossen werden. Könnte sie den Entschluss wieder kippen?
Dieser Klage gebe ich nicht viele Chancen. Die Opposition wird versuchen, alles zu problematisieren. Das ist auch ihr gutes Recht.

Könnte Peer Steinbrück der Kanzlerin gefährlich werden?
Steinbrück ist aus der Troika der SPD der für Merkel gefährlichste Gegner. Er hat während der Großen Koalition sehr vertrauensvoll mit ihr zusammengearbeitet; er weiß, wie Merkel tickt. Das gilt allerdings auch umgekehrt. Ein Kuschelwahlkampf wie bei der letzten Wahl wird es sicherlich nicht  geben. Das hängt damit zusammen, dass Steinbrück ein stärkeres Profil hat als Steinmeier es hatte.

Ansonsten sehe ich jedoch kaum inhaltliche Unterschiede zwischen beiden Merkel und Steinbrück, auch wenn Steinbrück versucht, eine unmittelbare Konfrontation mit der Kanzlerin herbeizuführen, zum Beispiel im Bundestag. Sie ist dem bislang aber geschmeidig ausgewichen. Ich sehe noch nicht die große Polarisierung, auch wenn Steinbrück sich darum bemühen muss, das eigene Wählerpotenzial auszuschöpfen. Es gibt auch noch keine Wechselstimmung, zumal Merkel auch bei den SPD-Wählern eine hohe Akzeptanz hat. Im Gegensatz zu Kohl 1998 hat man sie sich noch nicht sattgesehen. Die Umfragewerte von Angela Merkel sind schon seit längerer Zeit erstaunlich hoch. Auch die Nominierung von Peer Steinbrück hat hieran nicht viel geändert.

Nicht zuletzt, weil Steinbrück genauso wie Merkel – das haben Sie immer wieder betont – vielmehr „pragmatischer Problemlöserin“ als „Ideologe“ ist?
Ja, auch Peer Steinbrück wird sich mit einer harten Polarisierung schwertun. Der ist Merkel letztlich zu ähnlich, um wirklich als eine Alternative für sie angenommen zu werden. Die alten ideologischen Schlachten sind vorbei. Mit ihrem Pragmatismus entspricht Merkel einer breiten Stimmung in der Bevölkerung.

Wenn nicht Steinbrück, könnte ihr dann der Euro die Wiederwahl streitig machen?
Der Euro wird alles bestimmen. Merkel versucht, schwierige Entscheidungen in Sachen Euro, insbesondere bezüglich Griechenlands, auf die Zeit nach den Bundestagswahlen zu verschieben. Der Euro liegt Merkel politisch schwer im Genick, ja. Er könnte für sie auch schicksalshaft sein. Ich vermute aber, dass angesichts vieler, zum Teil auch widersprüchlicher Aussagen aus der SPD zum Euro viele Deutsche ein größeres Risiko in der Wahl der SPD sehen. Denn diese hat sich in Sachen Eurobonds und Eurobills sehr weit aus dem Fenster gehängt. Das übergroße Vertrauen in die Europapolitik Merkels wird vermutlich bis zu den Bundestagswahlen anhalten.

Auch, wenn Deutschland bereits vor der Wahl – und davon gehen viele Experten aus – den europäischen Sparkurs deutlich stärker spüren wird als bisher?
Die Konjunktur kann infolge der Eurokrise zu einer großen Belastungsprobe für die Deutschen werden. Sicher wird die Eurorettung im kommenden Jahr die Deutschen auch etwas kosten. Trotz der wirtschaftspolitischen Kompetenz von Steinbrück stellt sich aber die Frage der Alternative zur Kanzlerin. In der Bevölkerung wird vermutlich die Meinung vorherrschen, dass die SPD insbesondere den südlichen Ländern in der EU viel weiter entgegenkäme als Merkel und die CDU. Übrigens kommen Krisenzeiten immer der Exekutive entgegen.

Professor Dr. Gerd Langguth unterrichtet Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Er ist ehemaliges Mitglied des Bundestages und des CDU-Parteivorstanden sowie Autor zahlreicher politischer Sachbücher, unter anderem einer Biographie über Angela Merkel.

Das Interview führte Jana Illhardt

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