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Regierungserklärung - Philipp allein zu Haus

Philipp Rösler hält seine Regierungserklärung, doch das Interesse ist gering. Es hat den Anschein, als stünde er vor dem Eintritt in das letzte Stadium seiner politischen Karriere

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Da tritt einer ans Pult und redet über etwas, für das er eigentlich gar nichts kann. Philipp Rösler spricht über Erfolg, über schwarze Zahlen, über Wirtschaft und Einnahmen. Der Anlass: Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht.

Für den Jahreswirtschaftsbericht ist von Amtswegen der Bundeswirtschaftsminister zuständig. Also spricht Rösler nun über 0,7 Prozent Wachstum im vergangenen Jahr, über niedrige Schulden, lobt die Regierung, die eigenen Reihen und warnt vor einer Destabilisierung der Euro-Zone durch Inflation. [gallery:20 Gründe, warum wir die FDP noch brauchen]

Es hätte sein Tag werden können, ein Genuss, die positiven Zahlen verkünden zu dürfen, wären da nicht die politischen Begleitumstände, die diesen Mann flankieren. Die FDP steckt in der vielleicht größten Krise ihrer Geschichte. Parteichef Rösler könnte in die Historie eingehen als der Mann, der die Liberalen in den Untergang geführt hat. Dass er das Symptom der Krise der FDP ist und nicht das eigentliche Problem – geschenkt.

Stehen die Vorzeichen, wie sie stehen, dann spricht man im Fußball gemeinhin von den „Gesetzen des Marktes“, die leider seien, wie sie seien, guckt betroffen in die Kamera, wartet den nächsten Spieltag und die nächste Niederlage ab und entlässt am späten Sonntag Nachmittag den Trainer. Auch die Gesetze des politischen Marktes werden wohl am Montag ihre ganze Kraft entfalten. Dann, wenn Rösler in seiner Heimat das Wahlergebnis verkünden und verantworten wird.  

Hat er überhaupt noch eine Chance? Der Name Rösler ist bereits so sehr mit dem ganzen Unglück namens FDP beladen, dass weder Läuterung, Katharsis noch die gewohnten Halbwertzeiten des Vergessens, Röslers Niedergang verhindert haben. Rösler hatte bereits seinen Neuanfang.

Während er im Bundestag am Pult vor drohender Inflation warnt, ist die Anzahl spöttelnder Artikel über ihn tatsächlich inflationär. Polemiken über Rösler und die FDP zu schreiben, ist  mittlerweile so originell, wie Badetücher in die Sauna mitzunehmen. In der veröffentlichen Meinung steht Rösler längst als Synonym für Misserfolg und Niederlage.

Er kann einem irgendwie leidtun. Doch am Ende ist ein solcher Satz für einen Politiker schlimmer als jede Häme. Denn: Wenn die Politik auf Mitleid trifft, dann ist der Zyklus des Niedergangs bereits im vorletzten Stadium angelangt. Auf Mitleid aber folgt nur noch eines: Stille. In der Politik ist sie die Abwesenheit von Aufmerksamkeit.

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Und genau dies spiegelt an diesem Tag die Leere des Saales wider. Der Plenarsaal des Bundestages ist gerade mal zu 2/3 gefüllt, auch in den Reihen der Regierungsparteien zeigen sich große Lücken, die Pressetribünen wie leergefegt. Zur Erinnerung: Der Vizekanzler spricht, der Wirtschaftsminister, einer, der den Erfolg der Regierung nach außen tragen will, gleichwohl ums politische Überlebe kämpft.

Da steht er also am Pult, spricht frei – wie immer, hält eine Rede, die allerdings nicht einmal eine Viertel-Stunde dauert. Keine 15 Minuten für eine Regierungserklärung, für eine Rede, die seine letzte sein könnte.[gallery:20 Gründe, warum wir die FDP noch brauchen]

Rösler bleibt sich treu. Er versprüht so viel Authentizität, wie Johannes B. Kerner journalistischen Sachverstand, wie der HSV Torgefahr. Sätze wie einstudierte Kurzpässe verlassen seinen Körper, die Betonung immer nach demselben Muster: Beschleunigung am Ende des Satzes, Silben verschluckend, übersetzt in zuckende Gesten; der Körper immer ein Bruchteil zu spät, um das Gesagte wirksam und wirklich werden zu lassen. So spricht, so gestikuliert jemand, der sich nicht wohl fühlt, der nicht ist, was er zu geben scheint. Auch heute.

„Deutsche Erfolgsgeschichte“, „Deutschland geht es gut. Den Menschen in diesem Land geht es gut.“ Große, erwartbare Sätze folgen, die kleinspurig den Mund des Urhebers verlassen. Rösler hätte genauso gut aus einem Telefonbuch vorlesen können.

Auch an diesem Tag fehlt es ihm an politischem Gespür. Für die gesellschaftliche Wirklichkeit jenseits der Zahlen, für das, was sie letztlich abbilden: für die Menschen. So verliert Rösler kein Wort über Realitäten auf dem Arbeitsmarkt. Kein Wort über jene, die von Ihrer Hände Arbeit nicht leben können, die aufstocken müssen, die prekär beschäftigt sind.

Merkel nimmt das alles es auf der Regierungsbank regungslos stoisch zur Kenntnis. Allein die Protokollanten des Bundestages kommen an diesem Tage ins Schwitzen. Es sind die vielen Rufe aus der Opposition, die sie einfangen müssen, die Röslers Rede von Anfang bis Ende begleiten und eine Emotionalität in den Saal tragen, die Rösler Rede letztlich nicht verdient.

Die Zeitungen indes werden heute alle über Steinbrück schreiben; der kämpft ja irgendwie auch ums politische Überleben. Aber im Gegensatz zu Rösler hat er noch eine fassbare Chance. Über Rösler aber redet heute niemand.

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