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Petra Pau - Die Frau der leisen Töne

Im Bundestag ist die Vizepräsidentin Petra Pau eine Autorität. Obwohl sie der Linken angehört. Und obwohl sie mit ihrer Stimme zu kämpfen hat. Wie macht sie das?

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Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Der 5. Mai 2010 ist der Tag, an dem sie ihre Stimme verliert. Eigentlich ein typischer Mittwoch einer Sitzungswoche des Parlaments. Petra Pau, Linkenpolitikerin und Vizepräsidentin des Bundestags, soll die Enquetekommission Internet und Gesellschaft leiten. Phoenix überträgt live. Um 14 Uhr betritt Pau den Saal, geht ans Pult, spricht zwei Sätze. Dann bricht ihre Stimme weg. Stille.

In den Wochen darauf setzt Paus Stimme immer häufiger aus. Es wird ein Jahr dauern, bis sie die Kontrolle über ihr Sprechen zurückgewinnt. Klinikaufenthalte, Stimmtraining, sie kämpft. Sie habe an Rücktritt gedacht, sagt sie heute. Damals hätte sie das natürlich dementiert. Ausgerechnet ein CSU-Mann hilft ihr, Eduard Oswald, dabei kommt er aus jener Partei, die so leidenschaftlich gegen die Linke holzt. Aber er ist ihr Präsidiumskollege. Er lässt die Fernsehübertragung in seinem Büro mitlaufen, wenn Pau in ihrer Funktion als Bundestagsvize die Sitzungen leitet. Lässt ihre Stimme nach, steht er plötzlich hinter ihr, bereit, sie abzulösen. „Ich mach das hier mal zu Ende“, sagt er dann leise zu ihr.

Gerade ist Petra Pau, 50 Jahre alt, wiedergewählt worden. Ihr Amt hat an Bedeutung gewonnen. Wenn es zur Großen Koalition kommt, hat das Regierungslager auch im Präsidium des Parlaments ein Übergewicht: Neben Bundestagspräsident Norbert Lammert von der CDU gibt es vier Vizepräsidenten von Union und SPD. Die Opposition hat im Präsidium nur die Grüne Claudia Roth – und Petra Pau.

Sie muss also dafür sorgen, dass die Opposition an der Spitze des Parlaments sichtbar bleibt. Ausgerechnet eine 1,63 Meter kleine Frau, deren Stimme immer noch im Duktus dauerhafter Heiserkeit zittert, Mitglied einer Partei, die all dem entgegensteht, was dieses Amt verkörpert: Überparteilichkeit, Moderation, Macht. Wie kann das funktionieren?

An einem Herbstabend ist sie auf einer Veranstaltung in Berlin, es geht um den Nationalsozialistischen Untergrund. Ihr Thema. 19 Monate arbeitete sie im NSU-Untersuchungsausschuss. Paus Stimme fehlt noch die Tiefe, die Farbe. Auf dem Podium spricht sie mit technischer Hilfe. Sie trägt ein Headset. So wie sie es im Bundestag schon seit längerem macht. Mit auf dem Podium sitzt Eva Högl von der SPD. Sie verstehen sich.

Grelles Licht von oben. Paus rotes Haar schimmert gelb. Neben der Sozialdemokratin im Kostüm sieht die sommersprossige Linke in ihrem Ringelpullover fast aus wie ein Kind. Aber wenn sie spricht, wirkt sie nicht unsicher. Sie ist vorbereitet, bis ins Detail. Sie redet frei, fundiert, überzeugend. Ihre Augen springen hin und her, zum nächsten Kopf, zum nächsten Gedanken. Die Leute hören zu.

Petra Pau ist quasi zweimal ihrer Partei beigetreten. In Berlin, Hauptstadt der DDR, war sie Lehrerin für Deutsch und Kunst. Schon mit 20 ging sie in die SED, als Nachwuchskader besuchte sie die Parteihochschule. Im Januar 1990 marschierte Pau in die Kreisleitung der PDS Hellersdorf. Sie wollte ihre Zugehörigkeit zur neuen Programmatik der PDS offiziell bekräftigen: Die Absage an jede Form des Stalinismus. Es war ihr Neuanfang. Sie wollte die Dinge klären.

Im wiedervereinigten Deutschland begann ihre Politkarriere. Das Pau’sche Machtzentrum heißt Hellersdorf. 1991 wurde sie im Problemkiez PDS-Bezirksvorsitzende. Der Sprung in den Bundestag gelang ihr im Herbst 1998. Vier Jahre später flog die PDS aus dem Parlament. Nur Gesine Lötzsch und Petra Pau holten Direktmandate. Zwei gegen den Rest des Bundestags. Sie saßen in einem hinteren Winkel des Parlaments, Beistelltische mussten sie sich erkämpfen. Pau lernte die Geschäftsordnung in- und auswendig, sie behauptete sich. Die Konkurrenz wurde hellhörig. Es sei kein Geheimnis, dass Joschka Fischer und Gerhard Schröder bei Lötzsch und ihr vorstellig wurden, um sie abzuwerben, sagt Pau heute.

2005 schafft es die PDS wieder. Die Mehrheit lässt Lothar Bisky bei der Wahl zum Bundestagsvize durchfallen. Der fragt Pau. Im April 2006 wird sie gewählt.

Petra Pau ist eine Pragmatikerin, eine Realpolitikerin. Im Grunde sind das Schimpfworte für viele Linke. Aber Pau blendet ideologische Gräben einfach aus. Die Pfauen der Politik spreizen ihr Gefieder, sie stellen gern die Unterschiede in den Vordergrund, so laut wie möglich. Sie sucht das Gemeinsame. Sie spart an Lautstärke und findet umso mehr Gehör.

Kürzlich erst bekam sie ein Dankschreiben vom erzkonservativen Norbert Geis. Sie präsidierte, als er im Juni seine letzte Bundestagsrede hielt, und verabschiedete ihn gebührend.

Die gute Zusammenarbeit mit Politikern anderer Parteien zieht sich durch ihre Vita. Die Fähigkeit kann sie brauchen, wenn spätestens 2017 die Frage eines rot-rot-grünen Bündnisses auf Bundesebene wieder auf der politischen Agenda steht. Dann wird sie moderieren, Sektierer in die Schranken weisen. Noch sei es zu früh für ein solches Bündnis, sagt sie. Noch sei ein solches Bündnis nicht vorbereitet. Wenn es aber so weit ist, wird Petra Pau eine Rolle spielen. Es wird auf ihre Stimme ankommen.

 

 

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