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(picture alliance) Peer Steinbrück und die Reue: Die Gesellschaft lebt von der dauernden Grenzüberschreitung, dem dauernden Eingriff in fremde Rechte, der dauernden Verletzung der Individualität

Schuldgeständnisse in der Politik - Perversion der Reue

Immer wieder entschuldigen sich Politiker öffentlich für Dinge, die sie gar nicht falsch gemacht haben. Wie unsinnig! Im Namen des Neides wird so die Tugend der Reue missbraucht

Autoreninfo

Konstantin Sakkas, geb. 1982, ist freier Autor und schreibt u.a. für Die Zeit und den SWR.

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Zu den schlimmsten Modeerscheinungen der heutigen Politik gehört das inflationäre Sich-Entschuldigen. Kaum eine Woche, in der sich nicht irgendein Politiker für irgendwas bei irgendwem entschuldigt.

Zum Beispiel Peer Steinbrück. „Steinbrück zeigt Reue“, hieß es am Wochenende in verschiedenen Medien in Bezug auf die leidige Debatte um die Nebeneinkünfte des designierten SPD-Kanzlerkandidaten. Die Frage ist: Was bitte soll Steinbrück denn bereuen? Was um Himmels Willen hat er angestellt? Die Antwort ist: rein gar nichts.

Trotzdem muss er „Reue“ zeigen – weil das zum öffentlichen Ritual gehört, sich für Dinge zu entschuldigen, die man entweder nicht getan hat oder die nichts von Schuld an sich haben, um damit der großen Herde jene eigentlich sehr notwendige Reue abzunehmen, die sie für ihre eigenen, sehr realen Übertretungen nicht empfinden will. Es mag so einiges, innen- wie außenpolitisch geben, wofür sich die Regierung eines Landes wie Deutschland mit Sicherheit entschuldigen sollte, würden sie bekannt bzw. Gegenstand der öffentlichen Debatte – der völlig legale (und „transparente“) Hinzuverdienst eines Spitzenpolitikers durch regulär deklarierte und versteuerte Vortragsreisen und Buchhonorare gehört nicht dazu.

Man sollte meinen, Reue sei eine schöne Sache, die beweist, dass der Mensch sich weiterentwickeln und seine Fehler einsehen kann. Allerdings wird das problematisch, wenn derjenige, der sich da entschuldigen soll, überhaupt nichts angestellt hat. Und so geht es in den meisten Fällen öffentlich erzwungener Reue eben nicht um irgendein Fehlverhalten, sondern um den Neid der anderen, der sich besonders perfide in künstlicher Entrüstung auszuleben liebt.

So auch im Fall David Petraeus. Der amerikanische Vier-Sterne-General und CIA-Chef stürzte vergangene Woche – offiziell – über eine außereheliche Affäre mit einer heißen jungen Journalistin. Nun kann der aufgeklärte Leser glauben, was er will, und die Wahrscheinlichkeit, dass der Geheimdienstchef des mächtigsten Staates der Erde tatsächlich wegen eines läppischen Seitensprunges vom Amt zurückgetreten ist, ist immerhin mindestens so hoch wie die, dass in einem Porno am Ende tatsächlich geheiratet wird. Wenn jetzt aber Petraeus sein Verhalten öffentlich „bereut“, so frage ich mich ganz dumm und einfach: was bereut er denn genau?

Dass er mit einer anderen Frau geschlafen hat als der, mit der er verheiratet ist? Nun, das war vielleicht nicht ganz fein, aber erstens soll das häufiger vorkommen, zweitens mag es beziehungshygienische Gründe gegeben haben, die dieses Verhalten am Ende vielleicht nicht ganz so inferior erscheinen lassen, und drittens hat das alles mit Politik – und Petraeus hat uns, solange seine Story nicht als Hollywood-Schmachtfetzen verfilmt wird, ausschließlich als Politiker zu interessieren – überhaupt nichts zu tun.

Wenn sich hier irgendwer irgendwann zu entschuldigen haben sollte, dann entweder seine Geliebte, die allein schon aus purer Eitelkeit ein Interesse daran gehabt haben dürfte, dass die Sache ans Licht kommt, oder die amerikanischen Politiker und Militärs, die ihn am Ende tatsächlich, aus was für Gründen auch immer, zum Rücktritt gezwungen haben. Dass aber Petraeus selber Reue zeigt, sagt nichts aus – außer über die bebende Geilheit, mit der eine moralisch instabile Öffentlichkeit nach regelmäßigen Reuebekundungen zwecks Reinigung des eigenen schlechten Gewissens verlangt.

Seite 2: Es geht um zwei Pseudoskandale: Geld und Sex

Denn um dieses schlechte Gewissen geht es: die moderne Gesellschaft lebt von der dauernden Grenzüberschreitung, dem dauernden Eingriff in fremde Rechte, der dauernden Verletzung des heiligen Prinzips der Individualität – insbesondere im Wirtschaftlichen und im Sexuellen, den beiden Kernbereichen menschlicher Selbstverwirklichung. Genau darum geht es bei diesen beiden Pseudoskandalen: um Geld (Steinbrück) und um Sex (Petraeus). Den beiden Männern im Rampenlicht werden zu Unrecht jene Grenzverletzungen vorgeworfen, die der brave Otto-Normal-Spießer tagtäglich im Dunkel seiner bourgeoisen Anonymität begeht.

Und so empört sich das deutsch-amerikanische Hinterwäldlertum in goebbelshafter Ekstase über die vermeintliche Devianz zweier Großer, die sich nach Recht und Sitte einwandfrei oder wenigstens irgendwie nachvollziehbar verhalten haben, und stellt damit in einer großen Kompensationsbewegung das rumorende Unbehagen über die real existierende eigene Schlechtigkeit ruhig – sie mag sich darin äußern, dass einer seinem besten Freund die Freundin ausspannt, oder dass er ihn in der Karriere zu beschädigen versucht, beides Handlungen, deren krasser Egoismus, anders als bei Steinbrück und Petraeus, im berechtigten Interesse des anderen keine Grenze mehr finden will, sondern diese Grenze kategorisch negiert und verletzt.

Karriereneid und Sexualneid bedienen sich mit Geschick punktuell einer moralischen Kerngröße wie der Reue, um das Fehlen von Einsicht und Selbstreflexion in der Breite zu maskieren. So erleben wir eine Inflation der Reuebekenntnisse von der falschen Seite – ganz abgesehen davon, dass sich ein Politiker sowieso nicht zu entschuldigen hat.

Ein Politiker hat dafür zu sorgen, dass er gar nicht erst in die Lage kommt, sich entschuldigen zu müssen. Und wenn er merkt, dass er diesem Anspruch, weshalb auch immer, nicht gerecht werden kann, kann er sich immer noch – wie das sehr selten, aber immer noch gelegentlich geschieht – aus dem Amt zurückziehen und den Rückzug ins Private antreten. Auf keinen Fall aber sollte er sich entschuldigen müssen für Dinge, bei denen es keine Schuld gibt.

Steinbrück hat das getan, was man von einem erwachsenen Mann in seiner Stellung schlechterdings erwartet, nämlich viel Geld verdient; dass er dabei seine Pflichten als Politiker verletzt habe, kann man ihm eben nicht nachsagen. Und Petraeus hat sich auf eine Affäre eingelassen, die zwar für die betrogene Ehefrau sicher bedauernswert, aber irgendwie auch menschlich verständlich ist, weil die Liebe eben ihren ganz eigenen Gesetzen folgt. Das plump-entrüstete, protestantisch-verbissene Draufhauen auf die Protagonisten dieser und ähnlicher „Skandale“ folgt einer moralischen Entlastungsstrategie, die im Tiefsten falsch, unlauter und verschlagen ist.

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