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(picture alliance) Geht den Piraten bis zur Bundestagswahl die Luft aus?

Piraten - „Parlamentsarbeit geht nicht mit lauten Frontsäuen“

Die Piraten casten gerade ihre Kandidaten für die Bundestagswahl 2013. Andreas Popp, Urheberrechtsexperte und Ex-Parteivize, bewirbt sich um einen vorderen Listenplatz im mitgliederstärksten Landesverband Bayern. Im Cicero-Online-Interview spricht er über den perfekten Kandidaten und mögliche Bündnispartner der Piraten

Herr Popp, würde es Ihnen besser gefallen, wenn ich Sie schon einmal als MdB Mitglied des Bundestags anspreche?
Um Gottes Willen, das wäre ja anmaßend. Nein, ich bin nur ein Bewerber unter vielen. Erst muss gewählt werden.

Warum? Kürzlich kursierte im Internet ein Dokument des Composers Club, des Berufsverbands der Auftragscomponisten, das mit „Andreas Popp, MdB“ signiert war.
Das war ein Missverständnis. Ich hatte dem Verband erzählt, dass ich gern für den Bundestag kandidieren würde. Sie haben dann eine Zusammenfassung dieses Gesprächs in ihrem Newsletter veröffentlicht, in dem das kurzzeitig drin stand. Ich hatte es erst später mitbekommen, aber es wurde schon zuvor schnell korrigiert.

Wenn die Piraten so sehr gegen Ranglisten sind, wieso gibt es die dann jetzt schon? Sie stehen in Bayern auf Platz eins.
Die Liste ist nur zeitlich-chronologisch sortiert, wer sich als erstes eingetragen hat, steht auch ganz oben. Eigentlich war ich die Nummer zwei. Anfangs hatte sich aber niemand eintragen wollen. Dann hat jemand den Ersten gemacht, nur um sich dann wieder auszutragen, weil er wollte, dass sich die anderen auch trauen. Jetzt bin ich da quasi reingefallen.

Wie läuft dann das Popp-Grillen?
Wir beginnen am 20. und 21. Oktober mit der Aufstellungsversammlung, und das „Kandidatengrillen“ läuft über das Portal watch.piratenpartei-bayern.de, das dem Projekt Abgeordnetenwatch angelehnt ist. Jeder kann dort Fragen stellen und die Kandidaten beobachten.

Finden Sie, dass der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer ein schlechter Pirat ist?
Herr Lauer? Nein! Er ist eines der größten Assets der Partei! Er ist ein begnadeter Redner, streitbar, polarisierend, aber ich würde ihn auf keinen Fall missen wollen.

Sie haben ihn ja zusammengefaltet für seinen Vorstoß zum Urheberrecht.
Das nehme ich mir raus, denn das ist eine Sachdebatte. Kritik wird öffentlich gemacht. Besser als Lauers alleiniger Schnellschuss wäre gewesen, wir hätten gemeinsam eine Strategie zur Urheberrechtsreform gemacht und diese nach Fristigkeit eingeteilt: Was kann man kurzfristig ändern, für was muss man europäische oder gar internationale Verträge ändern? Der Kern der Piratenposition ist ja die nicht-kommerziellen Vervielfältigung.

Sie haben sich beim Urheberrecht ja in ein ziemliches Minenfeld begeben, als Sie im Februar eine Splittergruppe der Piraten gründeten.
Welche Splittergruppe?

Seite 2: „Ich bin wohl eher die Frontsau“

Die Gruppe 42, in der Sie fordern, bei der Erweiterung des Piraten-Programms die Gründungsthemen nicht zu vernachlässigen. Als die Gruppe an die Öffentlichkeit wurde, pfiff der Shitstorm.
Das verstand sich nie als Splitter- sondern eher als Interessengruppe. Nach dem Offenbacher Parteitag im Dezember 2011, auf dem auch das bedingungslose Grundeinkommen beschlossen wurde, sagten mir viele Piraten, dass sie Anträge zu den Kernthemen vermisst hätten. Und dann war die Idee, diese Leute zu vernetzen, um sie vom Austritt abzuhalten. Das war von uns schlechte Öffentlichkeitsarbeit. In einem Artikel hieß es, Jens Seipenbusch wolle ins Europaparlament und Andreas Popp in den Bundestag. Das war schade.

Muss man einen „Shitstorm“ überstanden haben, um in den Bundestag zu kommen?
Unser Politischer Geschäftsführer Johannes Ponader hat das mal so schön als Kultur beschrieben, in der Shitstormresistenz eine Qualifikation ist. Man darf tatsächlich nicht zu empfindlich sein bei den Piraten. Aber – und das habe ich auch zu meiner Bundesvorstandszeit an mir selbst gemerkt – diese Shitstormresistenz führt auch zur Beratungsresistenz. Dabei sollten Funktionäre auch offen gegenüber Kritik aus der Basis sein, denn deren Funktion erachte ich immer noch als wichtig.

Immer noch? Heißt das, die Basis hat eine Funktion mit Ablaufdatum?
Nein, das hat nie geendet, das wird auch weiterhin so sein. Ich würde mir nur wünschen, dass die Kritik langsam ein bisschen sachlicher wird. Aber dass Leute persönlich angegriffen werden, hat einen negativen Effekt. Das führt eben zu Beratungsresistenz und eben dazu, dass die Basis diese Kontrollfunktion nicht mehr ausüben kann.

[gallery:20 Gründe, Pirat zu werden]

Solche Kritik musste auch Herr Ponader ertragen: Kritiker sagen, dass es ihm bei seinen vielen Fernsehauftritten eher um seine Figur und seine persönliche Lebensweise geht – und weniger um die Piraten.
Ich glaube nicht, dass er seine Person in den Vordergrund stellt. Es ist vielleicht der Partei vielmehr schwergefallen, die eigentliche Debatte von der Person Ponader zu trennen und auf das eigentliche Problem zu beschränken: nämlich die Tatsache, dass Künstler, wenn sie kein Engagement haben, vom Staat leben. Es wäre eine wichtige Debatte gewesen, ob wir das als Gesellschaft so akzeptieren und sagen, ja das Sozialsystem ist auch dazu da, solche Lebensmodelle zu subventionieren – oder sagen wir nein, diese Branche muss sich ändern. Das muss ich uns als Partei ankreiden, da nicht dazwischen gegangen zu sein. Wir sind da noch eine Gruppe von Einzelkämpfern.

Wird das laute Einzelkämpfertum nicht jetzt noch mehr hervortreten, wenn in den Bundesländern Plätze für die Listen- und Direktmandate verteilt werden?
Den parteiinternen Wahlkampf können wir nicht vermeiden, wenn die Basis offen abstimmen soll. Das ist zum Teil belastend, aber es wird auch wieder vorbei gehen, wenn wir in den eigentlichen Wahlkampf eintreten. Es ist auch nicht so, dass nur die Lauten nach vorn kommen, denn fleißige, stille Parteiarbeit wird honoriert. Das brauchen wir doch auch. Wir können keine Parlamentsarbeit mit 50 lauten Frontsäuen machen und keinem, der die eigentliche Arbeit macht.

Und Sie? Sind Sie eher die Frontsau oder der stille Verwalter?
Ein bisschen von beidem. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich über Sachfragen diskutieren kann. Und das mache ich gerne öffentlich und da dürfen auch gerne mal die Fetzen fliegen, solange es nicht persönlich wird. Dahingehend bin ich wohl eher die Frontsau. Ich habe aber auch schon genug Verwaltungsarbeit in der Partei gemacht und würde mich jetzt nicht davor drücken, dass auch in einer Fraktion zu machen.

Sie haben 2009 einmal der rechtskonservativen Jungen Freiheit ein Interview gegeben. Wieso das?
Das war ein klassischer Anfängerfehler, mein erster großer Fail. Ich wusste damals einfach nicht, welche politischen Ausrichtungen gewisse Zeitungen in der Verlagsbranche haben. Ich lese ja solche Zeitungen auch nicht. Im Interview habe ich schon an den Fragen gemerkt, huch, das klingt ein bisschen komisch. Ich habe dann eine Distanzierung geschrieben – und so weit ist es mir auch verziehen worden.

Seite 3:  „Ich könnte mir eine Tolerierung einer rot-grünen Koalition vorstellen“

Wenn Sie tatsächlich auf einen vorderen Listenplatz gewählt und in den Bundestag ziehen sollten, was würden Sie zuerst verändern?
Ich muss gestehen, als ich gesehen habe, was die Kollegen in Berlin versucht haben zu ändern, bin ich da vorsichtig, Versprechen loszulassen. Aber wenn ich mir eine Sache wünschen dürfte, dann öffentliche Ausschusssitzungen.

Würden Sie, ähnlich wie die Kieler, da voll auf Konfrontation gehen?
Ja! Diese Geschichte um das Meldegesetz hat gezeigt, dass es so nicht geht. Kurz vor der Abstimmung hat man das Ding im Ausschuss noch einmal umgeworfen – und winkt es dann während des EM-Halbfinalspiels durch den Bundestag. Wäre die Ausschusssitzung öffentlich gewesen, dann hätten die zwei, drei Leute, die das interessiert, das publik machen und Alarm schlagen können.

Es könnte passieren, dass weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb die absolute Mehrheit erreichen. Mit welchen Parteien könnte eine Piratenpartei Bündnisse eingehen?
Alle demokratischen Parteien sind erst einmal potenzielle Koalitionspartner. Ich könnte mir eine Tolerierung einer rot-grünen Koalition durchaus vorstellen, ich als Einzelperson. Aber auch andere Konstellationen.

[gallery:Die Piratenpartei. Ein Landgang auf Bewährung]

Peer Steinbrück lehnt eine Koalition mit den Piraten ab. Sie auch mit ihm?
Steinbrück ist im Wahlkampfmodus. Er verfällt jetzt ins Säbelrasseln und präsentiert die SPD als großen Platzhirsch, der nicht mit „Amateuren“ wie den Piraten zusammenarbeiten will. Es sei ihm gelassen. Ich weiß, dass die Piraten der SPD und den Grünen in Sachen Politik-Kompetenz in nichts nachstehen, ganz im Gegenteil. Herr Steinbrück wird früher als er denkt das Gespräch mit uns suchen müssen und ich denke wir werden mit ihm reden wie mit jedem anderen auch. Wir sind da nicht nachtragend.

Sollten die Vorstände der Piratenpartei bezahlt werden?
Das wäre notwendig. Denn ich würde es ungern sehen, dass  die Fraktion zum Sprachrohr der Partei wird. Deswegen müsste der Vorstand in der Lage sein, die Partei zu repräsentierten oder etwa über Liquid Feedback eine Meinungsäußerung zu organisieren. Das geht aber nur mit entsprechenden Ressourcen.

Würden Sie im Bundestag zustimmen – ähnlich wie bei den Grünen – Teile der Diäten an die Partei zu zahlen? Die meisten piratigen Mandatsträger in den Landtagen haben das ja abgelehnt.
Ich möchte keine Geiz-und Neid-Debatte draus machen. Und die Kritik, die einige Kollegen aus Nordrhein-Westfalen an der Parteienfinanzierung anbringen, ist berechtigt. Mir wäre es aber lieber, wenn sich die Fraktion auf eine Empfehlung für eine freiwillige Abgabe einigen könnte. Das  würde verhindern, dass sich die Abgeordneten dann gegenseitig mit den Spenden überträfen – und das dann als Argument für eine Wiederwahl nutzten!

Herr Popp, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Petra Sorge. Foto: Tads-Visual/Thomas Alexander Duff

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