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Pädophilie-Vorwurf - Cohn-Bendit und ein unappetitliches Plädoyer von links

Der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit hat sich in der Kinderschänder-Frage längst von seiner früheren Fehlaussage distanziert. Jetzt erhält er ungebetene Rückendeckung von Jakob Augstein – peinlich für die beiden und für die Linken

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Vor zwei Wochen durfte ich zusammen mit meinem Kollegen Frank A. Meyer in Berlin eine Diskussion mit Daniel Cohn-Bendit moderieren. Das Thema war die Zukunft Europas – was einen Zuhörer jedoch nicht daran hinderte, plötzlich auf die Bühne zu stürmen, um vor versammeltem Publikum die inzwischen vielfach zitierte Stelle aus Cohn-Bendits Buch „Der große Basar“ vorzulesen: „Mein ständiger Flirt mit den Kindern nahm erotische Züge an“ und so weiter. Der aufgebrachte und etwas verwirrt wirkende Mann beendete seinen kurzen Auftritt sinngemäß mit den Worten, Cohn-Bendit befürworte den sexuellen Missbrauch von Kindern und verließ dann eilig den Saal.

Unser geladener Gesprächspartner hingegen blieb sehr sachlich und gestand unmissverständlich ein, dass die Schilderungen seiner Zeit als Kindergärtner Mitte der siebziger Jahre aus heutiger Sicht unsäglich seien, er sich dafür schäme und zu Recht für die Passage aus „Der große Basar“ kritisiert werde. Er selbst habe schließlich auch nie mit Kritik an anderen gespart. Cohn-Bendit stellte ebenfalls klar, dass er weder pädophil sei noch jemals sexuelle Kontakte zu Kindern gehabt habe. Danach setzten wir unser Gespräch über Europapolitik fort.

In der aktuellen Ausgabe des Spiegel geht Cohn-Bendit in einem Interview ausführlich auf seine Frankfurter Kindergärtnertage und das daraus entstandene Buch ein. Er nennt es „eine Art Manifest gegen die bürgerliche Gesellschaft“ und spricht von einer geschmacklosen und dummen Provokation. Nun kann man gewiss der Auffassung sein, der damals auch schon dreißig Jahre alte Cohn-Bendit hätte beim Verfassen von „Der große Basar“ erkennen müssen, dass seine Einlassungen von jedem Pädophilen als moralischer Persilschein für Kindesmissbrauch gelesen werden könnten. Auch damit setzt Cohn-Bendit sich äußerst selbstkritisch auseinander: „In dieser Hinsicht ist das, was ich geschrieben habe, unverantwortlich.“

Ich bin der Auffassung, dass er sich mit diesen Worten sehr klar zu seinen inzwischen vierzig Jahre zurückliegenden Verirrungen bekennt. Niemand schuldet ihm deswegen Respekt, aber Cohn-Bendits Erklärungsversuche verdienen es, gehört zu werden. Und es wäre unstatthaft, sein Leben und politisches Wirken auf die Rolle eines Kinderschänder-Apologeten zu reduzieren. Soviel Fairness sollte schon sein, auch wenn das Sujet noch so heikel ist.

Deutlich unappetitlicher als Cohn-Bendits Rechtfertigung in eigener Sache ist indes eine Verteidigungsrede von unbeteiligter Seite, die jetzt auf Spiegel Online zu lesen ist. Deren Autor Jakob Augstein geht nämlich mindestens drei Schritte hinter Cohn-Bendits Selbstkritik zurück und beschwört den Geist der sexuellen Revolution mit einer Emphase, die man allenfalls noch von komplett in der Vergangenheit festgefahrenen Achtundsechzigern kennt (oder von ehemaligen Stasi-Offizieren, die einander mit Tränen in den Augen von den Segnungen der DDR vorschwärmen). Augstein jedenfalls wünscht Daniel Cohn-Bendit in dieser Sache „den Mut, einfach zu rufen: Ihr könnt mich mal!“

Die Solidarität unter Linken kennt aus Sicht des Spiegel-Online-Kolumnisten („Im Zweifel links“) nicht einmal dann Grenzen, wenn das Subjekt der Solidaritätsbekundung diese gar nicht in Anspruch nehmen will. Denn Cohn-Bendit hat sich ja von seiner umstrittenen Schrift längst distanziert. Wenn Augstein ihn nun dazu ermuntern will, diese Distanzierung zurückzunehmen, unterstellt er Cohn-Bendit implizit, es mit seiner Selbstkritik gar nicht ernst gemeint zu haben. Ein seltsamer Freundschaftsdienst für einen politisch Gleichgesinnten.

Es wird aber noch unangenehmer. Und zwar dort, wo Augstein sich folgenden Hinweis „an die Spießer von heute“ erlaubt: „Eine Revolution ohne Exzesse gibt es nicht.“ Wer die „Revolution ohne Revolution“ wolle, der folge dem „typisch deutschen Wunsch“ nach einer Veränderung, die „bitte nicht so umwälzend“ ausfallen solle. Anders gesagt: Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne. Und wenn halt die sexuelle Unversehrtheit von Kindern zu den ideologischen Kollateralschäden der sexuellen Revolution von Achtundsechzig gehört haben sollte, dann ist das zwar nicht so schön. Aber eben auch irgendwie unvermeidlich. Immerhin habe es ja der guten Sache gedient. Denn wir könnten ja heute allesamt die „Früchte der sexuellen Revolution“ in vollen Zügen genießen.

Mit dem Wort „zynisch“ ist solcherlei Argumentation eher noch wohlwollend umschrieben. Wenn diese Geisteshaltung „im Zweifel links“ sein sollte, würde ich als Linker jedenfalls verzweifeln.

 

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