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Pädophilie-Debatte - Was droht Jürgen Trittin?

Eine Woche vor der Bundestagswahl werden die Grünen von der Debatte um ihre frühere Haltung zur Pädophilie eingeholt. Anlass ist ein Bericht über die Rolle von Spitzenkandidat Jürgen Trittin. Wie gefährlich sind die Enthüllungen?

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Eubel, Cordula

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Als Jürgen Trittin am Montag vor die Kameras tritt, wirkt er angespannt. Der Grünen-Spitzenmann muss unangenehme Fragen beantworten: Bei den Kommunalwahlen 1981 forderte die Grünen-Liste in Göttingen (AGIL), die Strafbarkeit von Sexualkontakten zwischen Erwachsenen und Kindern einzuschränken. Trittin wird in dem Wahlprogramm als „Verantwortlicher im Sinne des Presserechts“ genannt. Dass die Grünen in den Jahren nach der Gründung Raum boten für pädophilenfreundliche Positionen, war bisher bekannt – nun holt diese Vergangenheit auch ihren Spitzenkandidaten ein.

Wie verteidigt sich Trittin?

Bei den Grünen habe es anfangs Programme gegeben, in denen die Partei „falsche Positionen zum Missbrauch“ eingenommen habe, sagt er. Dem habe er sich „nicht hinreichend entgegengestellt“, auch wenn er die Forderungen problematisch gefunden habe. Es habe zu lange gedauert, bis das die Partei 1989 korrigiert habe. Warum solche Forderungen salonfähig werden konnten, erklärt er auch damit, dass bestimmte sexuelle Verhaltensweisen lange kriminalisiert wurden. So habe es in Hamburg einen Innensenator gegeben, der auf öffentlichen Toiletten Sichtklappen anbrachte, um Schwule abzugreifen. Solche Diskriminierungen abzubauen, sei das Ziel gewesen. „Im überbordenden Impuls, für eine Liberalisierung zu sorgen, sind die Grünen über das Ziel hinausgeschossen“, sagt Trittin.

Was hat er bisher in der Debatte gesagt?

Trittin hat es von Anfang an als Fehler bezeichnet, dass die Grünen sich nicht klar von pädophilen Strömungen abgegrenzten. Mit dem Versprechen, mögliche Opfer zu entschädigen, haben die Grünen sich bisher zurückgehalten. Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt spricht allerdings am Montag davon, dass es gegebenenfalls entsprechende Unterstützung geben müsse. Trittin verweist auf das Angebot, potenzielle Opfer könnten sich bei Professor Franz Walter melden.

Was droht Trittin?

Auch wenn am Montag vereinzelt Rücktrittsforderungen laut wurden, werden die Enthüllungen wohl kaum reichen, den grünen Spitzenmann zu Fall zu bringen. Für Trittin kommt die Veröffentlichung jedoch zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Eine Woche vor der Bundestagswahl befinden sich die Grünen in den Umfragen im Sinkflug. Manche in der Partei lasten Trittin an, im Wahlkampf zu stark auf die Steuerpolitik und zu wenig auf die Energiewende gesetzt zu haben. Dass nun im Endspurt auch noch Pädophilie-Vorwürfe hinzukommen, macht es nicht besser.

Sind weitere Enthüllungen zu erwarten?

Mit Sicherheit. In den 70er und 80er Jahren zeigten sich nicht nur die Grünen offen für pädophile Einflüsse, sondern auch eine liberale Bürgerrechtsbewegung – angefangen von der damaligen FDP-Jugendorganisation über Strafrechtler, Sexualwissenschaftler oder Pädagogen. So war auch der langjährige Präsident des Kinderschutzbunds in einer Organisation tätig, die als politische Speerspitze der Pädophilenbewegung gilt.

Hat Walter eine eigene Agenda?

Dass der Artikel eine Woche vor der Wahl veröffentlicht wurde, sei „kein taktisches Kalkül“, sagt der Göttinger Politologe Franz Walter. „Die Dokumente zu Trittin haben wir letzte Woche gefunden. Hätten wir sie zurückgehalten bis nach der Bundestagswahl, hätte man uns womöglich Vertuschung vorgeworfen“, sagt er. Sein Institut verstehe Wissenschaft so, dass man mit Ergebnissen auch in den Austausch mit der Öffentlichkeit gehe. „Nach jeder Veröffentlichung bekommen wir neue Hinweise für unsere Arbeit“, sagt Walter. Mit dem Artikel in der „taz“ habe er appellieren wollen, „die Sprachlosigkeit zu überwinden, die nicht nur bei den Grünen, sondern auch bei vielen anderen aus dieser Generation herrscht“. Die Grünen haben Walter vor etwa drei Monaten beauftragt, den Einfluss pädophiler Strömungen auf die Partei und auf die Milieus der neuen sozialen Bewegung in den 80er Jahren zu untersuchen. Für die Studie, an der zahlreiche Wissenschaftler des Instituts arbeiten, zahlen die Grünen 209000 Euro. Einen abschließenden Bericht will Walter 2014 vorlegen. Er darf jederzeit Zwischenergebnisse veröffentlichen. Die Partei muss nur zwölf Stunden vorher informiert werden.

Welche Rolle spielt die „taz“?

Eigentlich sollte Walters Text nicht in der „taz“ erscheinen, er war zuerst der „Süddeutschen Zeitung“ angeboten worden, die vergangene Woche einen Meinungsbeitrag bei Walter für die Rubrik „Außenansicht“ bestellt hatte. Dann aber gab es die neuen Erkenntnisse zu Trittin, die Walter schnellstmöglich publizieren wollte. Doch so kurzfristig hatte die „SZ“ keinen Platz und so kurz vor den Wahlen offensichtlich auch kein Interesse – und so wandte sich Walter an die „taz“. „Gerade weil die ,taz‘ dem Milieu der Grünen nahe steht, ist sie der richtige Ort für die Veröffentlichung gewesen“, sagt Walter. „Denn wäre ich mit dem Thema zu einem Medium gegangen, das eher als Gegner oder Skeptiker der Grünen gilt, hätte es wohl Vorwürfe einer angeblich bewussten Einflussnahme in der Woche vor der Wahl gegeben.“ Er habe keine Vorliebe für ein Medium, sondern suche je nach Thema aus. Der erste große Beitrag zu dem Thema war in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am 12. August erschienen.

Der „taz“ kam Walters Angebot am Sonntag gerade recht. Sie stand zuletzt in der Kritik, weil Chefredakteurin Ines Pohl einen Text zum Thema Pädophilie von Autor Christian Füller wegen angeblich „falscher Kausalzusammenhänge“ aus dem Blatt nahm. Pohl weist die Vorwürfe zurück: „Wir beschäftigen uns immer wieder kritisch mit diesem Thema und welche Rolle die Grünen und auch die ,taz‘ damals gespielt haben und sind die allerletzten, die hier eine Aufklärung verhindern wollen würden“, sagte sie dem Tagesspiegel. Der Trittin-Text sei nach der jüngsten Kritik deshalb auch nicht etwa als Gegenbeweis gedruckt worden, sondern „weil er einen aktuellen, akuten Nachrichtenwert hat, auch gerade so kurz vor der Wahl“.

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