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(picture alliance) Für die Grünen geht es mit der SPD nicht vorwärts

Trotz Fritz Kuhn - Ökopartei in der Rot-Grün-Falle

Der Wahlsieg von Fritz Kuhn in Stuttgart wird den Grünen im Bund nur wenig Rückenwind geben. Dort setzen sie noch immer auf die falsche Strategie – eine Juniorpartnerschaft mit der SPD

Die CDU ist in ihrer Hochburg deutlich geschlagen, die SPD düpiert. Das zweite grüne Wunder in Baden-Württemberg ist perfekt. Der neue Oberbürgermeister von Stuttgart heißt Fritz Kuhn. Sein Vorsprung vor dem CDU-Kandidaten Sebastian Turner bei der Wahl am Sonntag war deutlich. Nach dem ersten grünen Ministerpräsidenten wird ab Januar kommenden Jahres nun erstmals ein Politiker der Grünen eine deutsche Groß- und Landeshauptstadt regieren. Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn: So heißt das grüne Erfolgsduo in Baden-Württemberg.

Seit Sonntag ist damit klar, der grüne Sensationserfolg bei der Landtagswahl vor anderthalb Jahren war keine Eintagsfliege. Kein singulärer Wahlerfolg, der allein durch den atomaren Supergau im japanischen Fukushima möglich geworden wäre. Die Grünen haben sich in Baden-Württemberg vielmehr als zweite politische Kraft neben der CDU etabliert – und die SPD in der Wählergunst erneut deutlich auf Platz drei verwiesen.

Zwar jubelten am Sonntagabend auch die grünen Spitzenpolitiker in der Hauptstadt Berlin, sprechen von einem „Signal“ für den Bund. Doch in Wirklichkeit blicken sie ziemlich skeptisch auf ihre Parteifreunde im Südwesten. Die profilieren sich schließlich bereits seit zwei Jahrzehnten gegen den grünen Mainstream mit einer ökologisch-konservativen und werteorientierten Politik. Kretschmann und Kuhn kuscheln nicht ständig mit den Sozialdemokraten und haben zugleich keine Berührungsängste mit der CDU. Sie setzten damit ganz andere politische Akzente als der Rest der grünen Partei. Mit Erfolg, wie sich bei der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl erneut gezeigt hat.

Plötzlich hat Fritz Kuhn wieder viele Freunde in seiner Partei. Dabei war er in der mit großer Vorliebe nach links strebenden Partei zuvor gescheitert. Viele Jahre gehörte der umjubelte Wahlsieger vom Sonntag als Parteivorsitzender und Chef der Bundestagsfraktion zu den Vordenkern der Grünen. Doch politisch und strategisch geriet Kuhn in Berlin immer mehr ins Abseits. Vielen Parteifreunden war dieser zu bürgerlich, zu wirtschaftsfreundlich und zu CDU-nah. Frustriert zog sich der Verschmähte ins Ländle zurück und bereitete sich akribisch auf den Kampf um das Stuttgarter Rathaus vor.  

Wie groß das Potenzial der Grünen ist, haben auch die Umfragewerte des Jahres 2011 gezeigt, als die Grünen bei der Sonntagsfrage bundesweit zeitweise sogar bis zu 28 Prozent Zustimmung erreichen konnten. So manches könnten die Parteifreunde in Berlin und anderswo deshalb jetzt von Kuhn und Kretschmann in Baden-Württemberg lernen:

- Die Grünen können auch im bürgerlichen Lager frustrierte Wähler von CDU und FDP gewinnen.
- Es lohnt sich, auf eine werteorientierte Politik zu setzen.
- Eigenständigkeit gegenüber der SPD zahlt sich aus.
- Das Überwinden des Lagerdenkens erhöht den politischen Spielraum.
- Die Grünen können sich aus der Rolle des Juniorpartners der SPD befreien.

Seite 2: Wie sich die Realos dem linken Parteiflügel unterwarfen

Doch von alldem will der Rest der grünen Partei nicht viel wissen. Dass sie in den Umfragen wieder auf das Niveau der Bundestagswahl 2009 abgesunken sind, damit haben sich die Grünen abgefunden. Anders als in Baden-Württemberg haben die grünen Parteistrategen in Berlin zugleich alle Annäherungsversuche an enttäuschte Wähler von FDP und Union aufgegeben. Schwarz-Grün ist für die Parteispitze genauso Tabu wie ein Jamaika-Bündnis mit Union und FDP. Mit den Referenzprojekten in Hamburg und Saarland gelten auch alle Öffnungsversuche als gescheitert. Als mahnendes Beispiel gilt in der grünen Partei Renate Künast, die vor einem Jahr in Berlin als grüne Bürgermeisterkandidatin grandios gescheitert war. Doch in Wirklichkeit hat auch sie die Wahl nicht verloren, weil sie sich die schwarz-grüne Option offengehalten hat, sondern im Gegenteil deshalb, weil sie keine Machtalternative zur dauerregierenden SPD anbot.

Trotzdem soll die grüne Zukunft nach dem Willen der Parteistrategen nun noch Rot-Grün heißen. 2013 will sich die Partei im Retrolook präsentieren. Völlig ohne Not fügen sich die Grünen – wie schon zwischen 1998 und 2005 – in die Rolle des grünen Kellners des sozialdemokratischen Kochs Peer Steinbrück. Von Augenhöhe kann zwischen beiden Parteien keine Rede mehr sein. Alle Bemühungen um mehr Eigenständigkeit gegenüber der SPD und um die Rolle eine Scharnierpartei im Parteiensystem, die sowohl nach links als auch ins bürgerliche Lager bündnisfähig ist, haben sie aufgeben. Strategisch haben sich die grünen Realos damit dem linken Parteiflügel unterworfen.

Auch das Personal ist – sieht man einmal vom privatisierenden Joschka Fischer ab – dasselbe wie einst unter Rot-Grün. Bei der grünen Urwahl treten mit Claudia Roth, Renate Künast, Katrin Göring Eckhardt und Jürgen Trittin vier Kandidaten an, die schon damals an prominenter Stelle dabei waren. Neue Gesichter: Fehlanzeige. Programmatisch wirkt die Partei ausgezehrt; kein Wunder also, dass im innergrünen Wahlkampf keiner die ausschließliche Fokussierung auf Rot-Grün in Frage stellt.

Dabei spricht derzeit wenig dafür, dass SPD und Grüne als Wahlsieger aus der Bundestagswahl 2013 hervorgehen und unter einem Bundeskanzler Peer Steinbrück eine zweite rot-grüne Ära begründen:

- Es gibt keine Wechselstimmung in Deutschland. Die Mehrheit der Wähler steht hinter Kanzlerin Merkel. Vor die Alternative gestellt, zieht eine solche zudem eine Große Koalition einer rot-grünen Regierung vor.
- Die sieben rot-grünen Jahre hat das Land nicht so in Erinnerung, dass es wirklich Lust auf mehr hätte.
- Nachdem nun auch CDU und CSU auf einen atomkraftkritischen Kurs umgeschwenkt sind, alle Atomkraftwerke schnell abschalten wollen und die Energiewende vorantreiben, fehlt den Grünen ein identitätsstiftendes Thema.
- In einem Gerechtigkeits- und Umverteilungswahlkampf  gibt es wenig Spielraum für eine grüne Profilierung zwischen SPD und Linkspartei.

Die Rot-Grün-Strategie könnte sich für die Öko-Partei deshalb schon bald rächen. Am Ende des Wahljahres 2013 könnten die Grünen als strategischer Verlierer im Parteienwettbewerb und ewige Oppositionspartei dastehen; ohne politische Perspektive und ohne Machtoption. Während die Grünen in Baden-Württemberg erfolgreich auch bürgerliche und konservative Wähler mobilisieren und nach dem Land nun auch die Landeshauptstadt regieren, stecken sie in Berlin in der Rot-Grün-Falle. Spätestens nach einer verlorenen Bundestagswahl könnte dann bei den Grünen auch der Rat von Kretschmann und Kuhn gefragt sein.

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