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Obama in Berlin - Abrüstung. Klima. Freiheit

Barack Obama vor dem Brandenburger Tor. Die Kulisse und der historische Rahmen ausnahmsweise mal ein bisschen zu groß für Barack Obama – den Mann der Superlative. Doch in 50 Jahren wird sich an diese Rede wohl eh niemand mehr erinnern. Die Chronik zur Rede

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Das politische Berlin läuft heiß. Seit Tagen. Große Reden, große Worte gab es hierzulande lange nicht mehr. (Und das, obwohl sich dieses Land doch inmitten eines Bundestagswahlkampfes befindet.) Allerhöchstens größtmögliche Interpretationen.

„Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt Westberlin, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf sagen zu können: Ich bin ein Berliner!"“

Fast auf den Tag genau vor 50 Jahren hielt John F. Kennedy seine berühmte Rede vor dem Schöneberger Rathaus. 450.000 begeisterte Menschen jubelten ihm zu. Mitten hinein in eine geteilte Stadt fielen seine Worte, präzise, befindlich. Sie erinnerten an eine Passage aus Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meeren“.

Dort heißt es: „Dieser Inder lebt in einem Land der Unterdrückung. Und alle unterdrückten Menschen, wo immer sie leben mögen, sind auch Angehörige dieses Landes Indien, und deshalb werde ich als Unterdrückter bis zu meinem letzten Atemzug stolz sagen: Ich bin ein Inder!“

Große Fußstapfen also, die sich Obama in diesen Tagen wählte. Typisch für Obama, der immer das Größtmögliche anzuziehen vermag, die größten Hoffnungen und Projektionen der freien Welt auf sich zu laden weiß. Eine Fallhöhe, an dessen untersten Ende immer die Enttäuschung steht, stehen muss. Auch heute wählt er sich bewusst den größtmöglichen historischen Bezugsrahmen. Die Rede Kennedys. Doch die historischen Vorzeichen sind andere: Kein Kalter Krieg, kein getrenntes Deutschland, Europa. Aber dennoch genügend Probleme, auf die es Bezug zu nehmen gilt: die Krise Europas, die Bedrohung des Westens, Drohnenkriege, Datenschutz, Atomwaffen.

Doch schalten wir in den Tickermodus. Sind wir doch daran gewöhnt, Wichtiges in Häppchen und Spiegelstrichen serviert zu bekommen.

15.00. Die Sonne brennt. Warten auf den Präsidenten. 6.000 ausgewählte Gäste (vermutlich weniger) umringt von ca. 8000 Polizisten.

15.16: Eine Ostdeutsche, ein Schwarzer und ein Homosexueller betreten die Bühne. Nein, das ist nicht der Beginn eines schmutzigen Witzes, sondern der symbolhafte Auftritt von Merkel, Obama und Wowereit als Repräsentanten einer freien Welt. Und doch sprechen sie hinter schusssicherem Panzerglas.

Wir überspringen die Rede Wowereits.

15:21. Merkel spricht. Ein Traum in Orange. Schwenk auf Joachim Sauer in der ersten Reihe. Irgendwas über „Freiheit…“. Sorry, Angela, aber wir warten auf Obama.

15:28. Obama trinkt einen Schluck Wasser. Merkel spiegelt sich im Panzerglas.

15:29. Obama tritt ans Pult. „Hello Berlin.“ Jubel!

„Ich danke Ihnen für ihren Lebenslauf, Frau Merkel.“ Verweis auf Geschlecht und Herkunft: Frau, Ostdeutsche, die es bis an die Spitze eines Staates schaffte. Er hatte es ähnlich schwer. Das verbindet.

15:30: Er fühle sich so wohl, dass er sein Jackett ausziehen möchte – und macht es. „Wir können im Freundeskreis auch informell sein“, so Obama. Was für ein Sympathieträger. Einer von uns – hinter Panzerglas.

15:31: Zur Geschichte Berlins: „Die Geschichte spricht hier zu uns.“ Zitat Kant: „Die Freiheit als Geburtsrecht des Menschen.“ Punktlandung.

Obama im Friedens- und Freiheitsmodus: Eine rhetorische Frage jagt die nächste: „Wollen wir frei leben oder in Ketten? In einer offenen Gesellschaft[…] oder in einer abgeschotteten Gesellschaft, die die Seelen erstickt?“

15.38. Die Bedrohung der heutigen Zeit sind nicht so düster wie vor 50 Jahren. Aber für die Freiheit gelte es weiter energisch einzutreten. Freiheit ist und soll heute sein großes Thema werden.

15.39. Verweis auf die Worte Kennedys: „Ich möchte Sie auffordern, den Blick auf die Freiheit zu richten.“ Obama weiter: „Diese Worte ermahnen uns dazu, nicht nur an unsere eigene Bequemlichkeit zu denken, sondern an das Wohl der ganzen Welt. Wir sind auch Weltbürger.“

15:42. „Ich sage dies hier im Herzen Europas, keine dieser Herausforderungen kann überwunden werden, wenn wir uns nicht als großes Ganzes sehen.“

Eine deutliche Ermahnung an die Adresse der Europäer – und dem außenpolitisch zögerlichen Deutschland. Sich nicht zurück zu lehnen, sondern für die westlichen Werte einzutreten, über den nationalen Tellerrand hinauszuschauen.

15.44. „Frieden mit Gerechtigkeit“, leitet er nun seine pathos-schwangeren Sätze ein. „Unser höchstes Gut sind unsere Menschen. Frieden mit Gerechtigkeit bedeutet, jenen eine Hand zu reichen, die um Freiheit kämpfen.“

Dann ein Versprechen:

Obama sagt, dass es Frieden mit Gerechtigkeit nur in einer kernwaffenfreien Welt geben könne.  „Heute gebe ich zusätzliche Schritte bekannt: Wir können die Sicherheit unseres Landes weiterhin garantieren, wenn wir unsere Atomsprengköpfe um bis zu einem Drittel senken.“

Es ist ein Abrüstungsangebot vor unpassender Kulisse. Darüber wird noch zu diskutieren sein!

15:49. „Frieden mit Gerechtigkeit bedeutet, dass wir dem Klimawandel Einheit gebieten. In den USA haben wir die erneuerbaren Energien verdoppelt. Wir müssen aber mehr tun. Und wir werden mehr tun.“

Klimawandel als globale Bedrohung unserer Zeit: Das hören die Deutschen gern.

15.50. „Frieden mit Gerechtigkeit bedeutet, dass wir unseren moralischen Verpflichtungen nachkommen.“

15.52: Obama erfüllt weiter Wünsche. Er wolle die Anstrengungen verdoppeln, das Gefangenenlager in Guantanamo zu schließen und kündigte strengere Kontrollen für Drohnen an.

15:57. „Die Mauer ist Geschichte. Aber wir müssen ebenfalls Geschichte schreiben“, sagt der US-Präsident und schließt mit den Worten: „Vielen Dank und Gottes Segen, Gott segne die Deutschen und die Amerikaner!“

15:58: Sehr laute Musik ertönt, vielleicht auch, um eventuelle Buhrufe zu überspielen. Ein letzter Gruß. Winken. Raus.

Fazit: 34 Grad. Abrüstung, Klimawandel, Freiheit.

Vor 50 Jahren übrigens ließ Kennedy, bevor er seine berühmte Rede hielt, in der Frankfurter Paulskirche einen merklichen Satz fallen: „Die großen freien Nationen dieser Welt müssen ihre Finanzprobleme kontrollieren, bevor diese Probleme uns kontrollieren.“

Eine ähnlich prophetische Wortwendung hätten wir uns von Obama auch gewünscht. Schade. In 50 Jahren wird sich wohl niemand mehr an diese Rede erinnern. Obama eilt indes zum nächsten Termin. Peer Steinbrück wartet. Na dann.

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