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NSU-Prozess - Zschäpe ist nicht Satan

Im NSU-Prozess wird Beate Zschäpe zum Satan stilisiert. Denn Teufel entlasten die Nichtteufel

Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Lange Zeit schien Beate Zschäpe, die Frau des NSU-Mordtrios, ein unlösbares Rätsel. Bild – wer sonst? – hat es für uns gelöst. Mit der Schlagzeile zum Prozessauftakt: „Der Teufel hat sich schick gemacht.“ Die Angeklagte als Teufel, als teuflischer Teufel sogar, der sich, zur Tarnung, auch noch schick macht: Davon versteht Bild etwas, gilt das Blatt doch manchem als Zeitungsteufel, der sich selber gern schick macht und mit Nikolaus Blome, dem schönsten und schlawinerigsten seiner Redakteure, die Talkshows beschickt.

Warum Teufel und nicht Teufelin? Die weibliche Form klingt einerseits nach Diminutiv, verkleinert Zschäpe phonetisch, entspricht auch nicht der kirchlichen Wahrheit, die den Teufel bis heute auf Teufel komm raus männlich sieht, wie übrigens auch den lieben Gott. Und Bild nimmt die Bibel ernst. Warum nicht einfach Hexe? Weil der Begriff durch Hexenprozesse und Hexenverbrennungen historisch belastet ist, sich zudem auch Emanzen heute gerne Hexen nennen – was also, angewendet auf die mutmaßliche Mittäterin von zehn Morden, verharmlosend wirken würde. Bild hat gefunden, was andere lange suchten: den Schlüssel zu den Mordtaten an andersgläubigen, anderssprechenden, andersdenkenden Menschen. So etwas kann nur das Werk des Teufels sein.

Den Teufel in Frauengestalt beschreiben auch andere Blätter. Focus weiß zu berichten: „Selten hat man eine Angeklagte, noch dazu bei solch schwerwiegenden Vorwürfen, so entspannt gesehen, so cool.“ Die Welt schildert akribisch die „Mädchenohrringe“, viel „Mascara auf den Wimpern“, die „puppenhaften Züge“, die „sorgfältig getönten Haare“, die auch noch „auf Hochglanz gefönt“ sind. Gipfel der Diabolik. Des Teufels Anwälte tragen verräterische Namen, wie Georg M. Oswald in einem Beitrag für das Welt-Feuilleton enthüllt: „Stahl, Heer, Sturm.“ Der Schriftsteller hellsichtig: „Die Namen der drei Verteidiger lesen sich, als habe sie Frau Zschäpe sich ausgesucht, um zu provozieren. Sicher ist das nicht bewiesen. Aber es ist auch nicht auszuschließen, was in diesem Fall schon ausreicht, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.

Gottlob findet sich die Vizepräsidentin des Bundestags, Katrin Göring-Eckart, nicht unter den Zschäpe-Anwälten. Göring! Es wäre schon fast der Beweis. Auch die Haltung Zschäpes ist natürlich exegetisch interessant. Zum Beispiel die verschränkten Arme: „Nazi-Braut in Hitler- Pose“, titelte die türkische Zeitung Habertürk. Und so fiel denn bei der Demonstration vor dem Münchner Gericht ganz folgerichtig auch der Begriff „Hitlerin“. Hitler und Hitlerin, Teufel und Teufelin. So fügt es sich. So muss es sein. So schließt sich der deutsche Teufelskreis.

Welches Outfit der 38-Jährigen hätte das Gericht der Publizisten wohl ohne Empörung durchgehen lassen? Skinhead- Look? Sack und Asche? Für Deutsche muss der Teufel erkennbar sein. Das ist ihr historisches Problem. Erkennbare Teufel entlasten die Nichtteufel. Wer aber den Teufel vor Gericht sehen will, der wünscht sich keinen profanen Prozess, der ausschließlich der Rechtsfindung dient. Den Teufel treibt man aus. Seit dem deutschen Pontifikat Ratzinger/Benedikt ist auch das religiöse Ritual dazu, der Exorzismus, wieder abgesegnet. Aus türkischer Sicht ist ohnehin der Scheitan in den deutschen Staat gefahren, weshalb der Prozess nur zu genügen vermag, wenn er, möglichst stracks, zur Aufdeckung eines staatlichen Komplotts und zur „Höchststrafe“ führt. So jedenfalls fordert es Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, vom Gericht.

Wo findet dieser Prozess eigentlich statt? In Ankara? Dort ist die politische Zurichtung von Richtern gang und gäbe. Doch der Prozess findet statt im Rechtsstaat Deutschland, dem vielleicht modernsten Rechtsstaat der Welt. Was auch bedeutet: dem vielleicht unspektakulärsten Rechtsstaat von allen. Die spektakulärste Mordserie seit den Taten der RAF – wie lässt sie sich unspektakulär verhandeln? Genau dies ist die Pflicht des Gerichts. Es hat sich vor niemandem zu verbeugen. Nicht einmal vor den Medien, und zwar selbst dann nicht, wenn ihm Fehler unterlaufen, wie bei der Zuweisung der Medienplätze im Gerichtssaal. Es hat sich auch nicht zu verbiegen, um außergerichtliche Erwartungen zu erfüllen. Der deutsche Rechtsstaat kennt keinen Schauprozess. Auch nicht den Showprozess.

Trat Adolf Eichmann anders auf als Beate Zschäpe, 1961 vor dem Gericht in Jerusalem? Er sah aus, wie Nazi-Täter normalerweise aussehen: normal. Hannah Arendt beschrieb ihn für die Zeitschrift The New Yorker so: Er sei ein „normaler Mensch“, kein „Dämon oder Ungeheuer“. Daraus leitete die jüdische Denkerin den Begriff von der „Banalität des Bösen“ ab. Was einen Proteststurm entfachte, im jüdischen Opfervolk wie im deutschen Tätervolk. Nazis müssen Teufel sein! Menschen? Das sind wir. Die anderen. Vielleicht liegt diese Sichtweise sogar dem Versagen des Verfassungsschutzes zugrunde, der die NSU-Mordserie partout nicht erkennen wollte: Ganz normale Nazi-Taugenichtse – auf Serienmörder kam keiner. Mit diesem Reflex wurden viele Verdachtsmomente verdrängt.

Für weitere Verwischung der Spuren sorgte die historisch notorische Blindheit vieler deutscher Polizisten auf dem rechten Auge. Doch auch das hat das Gericht nicht zu beschäftigen. Es hat Recht zu sprechen. In einem sehr schwierigen Fall, wie die Frankfurter Allgemeine zu bedenken gibt: „Die Anklage gegen Beate Zschäpe beruht zu großen Teilen auf Indizien (…). Ihre Verurteilung gilt keineswegs als sicher.“ Ja, was weiten Teilen der Öffentlichkeit als sicher gilt, der deutschen wie der türkischen, muss sich das Gericht erst mühselig erarbeiten: Gewissheit über Beate Zschäpes konkretes Mittun bei der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Dies gegen eine Verteidigung, die mit allen Kniffen kämpft, weil sie eben zu verteidigen hat. Aber auch gegen Nebenkläger, die jede denkbare Emotionalität in das Verfahren einbringen, weil sie eben die Angehörigen der Opfer sind.

Schade, dass türkischen Politikern und Juristen nicht möglichst viele Sonderplätze im Gerichtssaal zur Verfügung gestellt werden konnten. Sie hätten Nützliches über den deutschen Rechtsstaat gelernt. Über den Rechtsstaat überhaupt.

 

 

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