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NSU-Prozess - Brigitte, pack den Reporter aus!

Eine Lotterie zur Platzvergabe für Medienvertreter beim NSU-Prozess erst für gut befinden, mitspielen und dann das Ergebnis als „zweifelhaft“ bezeichnen, nur weil man selbst nicht gewonnen hat, ist deutlich peinlicher als das Verhalten des Münchener Oberlandesgerichts

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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Sicherlich lässt sich trefflich darüber streiten, ob es angesichts des großen Medieninteresses am Münchener NSU-Prozess hätte sinnvoll sein können, die Verhandlungen zusätzlich in einen Nebenraum zu übertragen, um weiteren Journalisten eine direkte Teilnahme zu ermöglichen. Schließlich konnten im letzten Jahr 800 Medienvertreter direkt vom Prozess gegen den norwegischen Attentäter von Oslo und Utøya, Anders Behring Breivik berichten. Der Prozess wurde hierfür extra in einen Nebenraum sowie in ein benachbartes Hotel übertragen. Andererseits muss die Frage gestattet sein, wie vieler Journalisten es bedarf, um das Recht der Öffentlichkeit auf vollumfängliche Information als gesichert zu betrachten. Der Berichterstattung aus Gerichtssälen sind enge Grenzen gesetzt, da hier aus gutem Grund besonders hohe Qualität erwartet wird. Das mediale Affentheater, das den NSU-Prozess mit einer Art „Reise nach Jerusalem“ überlagert, lässt Zweifel aufkommen, ob die für hohe Qualität nötige Seriosität im Medienmarkt zwischen „Brigitte“ und „Zeit“ überhaupt noch weit verbreitet ist.

Als das Oberlandesgericht München nach dem ersten „verunglückten“ Akkreditierungsverfahren für Ende April eine erneute Platzvergabe per Losverfahren beschloss und zudem ankündigte, ausländischen Medien Plätze zu garantieren, gab es breite Zustimmung. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Michael Konken, beschrieb am 15. April den Gerichtsentscheid als „die richtige Konsequenz aus der viel diskutierten Pannenserie der letzten Wochen“. Vier Tage später schien sich Konken mit dieser Bewertung schon nicht mehr so sicher zu sein: Mittlerweile hatte sein Verband das Verfahren nur noch als „zweitbeste Lösung“ eingestuft, da freie Journalisten „vollständig vom NSU-Prozess ausgeschlossen“ seien – eine Vermutung, die, wie sich später herausstellen sollte, unbegründet war.

Nach der Auslosung der Presseplätze brach erneut ein Sturm der Entrüstung los. Dieses Mal nicht wegen der Nichtberücksichtigung ausländischer oder freier Journalisten, sondern schlicht und ergreifend aufgrund der Tatsache, dass große Medien wie die FAZ, Die Zeit, Die Welt, taz, der Berliner Tagesspiegel und die Berliner Zeitung kein Losglück hatten. Schnell ereiferte man sich darüber, dass es unwürdig sei, dass neben kleineren Regionalzeitungen Publikationen wie „Brigitte“, „Hallo-Muenchen.de“ oder aber der Regionalsender „Radio Lotte Weimar“ nunmehr vom Prozess berichten sollten.

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Auch vonseiten des DJV wurde das Ergebnis des Akkreditierungsverfahrens plötzlich als „zweifelhaft“ kritisiert, da die Vergabe der Presseplätze „in krassem Widerspruch zur immensen bundesweiten und internationalen Bedeutung des Prozesses“ stehe. (3) Spott und Häme ergossen sich vor allen Dingen über der Zeitschrift „Brigitte“ (immerhin mit einer durchschnittlich verbreiteten Auflage von rund 580.000 Exemplaren), und einige große Medienhäuser erwogen, erneut rechtlich gegen das Verfahren vorzugehen.

Ginge es nicht um so etwas Ernsthaftes wie einen Mordprozess mit rassistischem Hintergrund, man könnte die Reaktionen auf den Losentscheid zu Kindergarten-Lehrfilmen mit Titeln wie „Im Glücksspiel gibt’s auch Pech“ oder „Erst nachdenken, dann mitmachen“ zusammenschneiden. Aber die Lage ist deutlich ernster: Die Aufregung um den Losentscheid offenbart eine geradezu abstoßende Arroganz der „seriösen“ und großen Medien gegenüber den Kleinen und „Unseriösen“. Man könnte fast meinen, FAZ, taz, Zeit & Co. hielten sich selbst für „allein systemrelevant“, während eine Behandlung des NSU-Prozesses durch andere Medien einem Verrat an und einem Beinahe-Ausschluss der Öffentlichkeit gleichkomme. Diese von innen vorangetriebene Selbstzerfleischung der Medienlandschaft ist weitaus problematischer für die Pressefreiheit als das Fehlen der „Großen“ im Münchener Gerichtssaal.

Ich bin jedenfalls gespannt darauf, wie die Brigitte-Redaktion und die kleineren Lokalmedien mit dieser Herausforderung umgehen werden. Schließlich stellt deren Losglück für sie eine einmalige Chance dar, im Revier des sich selbst diskreditierenden „seriösen Groß-Journalismus“ zu wildern. Mit Sicherheit wird es aber auch den medialen Unglückskindern gelingen, aus der Schmollecke heraus eine hochwertige Prozess-Berichterstattung abzuliefern, sodass wir keineswegs unter einer medialen Unterversorgung leiden werden. Gleichzeitig befürchte ich jedoch, dass die brüskierten „Systemrelevanten“ in Zukunft noch stärker ihrem elitären Selbstbild frönen und noch verzweifelter ihr Heil in Schlammschlachten gegen Boulevard und Blogosphäre suchen werden. Diese Schlammschlachten mögen als „Qualitäts-Offensiven“ gegen den „unseriösen“ Boulevard-Journalismus getarnt sein, tatsächlich sind sie jedoch ein frontaler Angriff auf die Intelligenz und Selbstbestimmtheit der Medien nutzenden Öffentlichkeit.

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