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NSU-Abschlussbericht - Arbeit der Behörden „beschämend, falsch und verharmlosend“

Der Deutsche Bundestag wirft dem Verfassungsschutz bei der Aufklärung der NSU-Mordserie schweres Versagen vor. Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zum Rechtsterror ist auch ein wichtiges Beweismittel im Münchner NSU-Prozess

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Ein Gericht hat die individuelle Schuld oder Unschuld einzelner Angeklagter zu klären. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss analysiert Verantwortlichkeiten und begünstigende Rahmenbedingungen für fehlerhaftes Handeln von Regierung und staatlichen Behörden.

Das eine ist nicht das andere, auch wenn dem Untersuchungsausschuss durchaus juristische Möglichkeiten für seine Beweisaufnahme an die Hand gegeben sind: Zeugen sind dort wie vor Gericht zur Wahrheit verpflichtet, sie dürfen aber auch die Aussage verweigern, wenn gerade ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen sie läuft. Nur lügen dürfen sie nicht ungestraft, was Angeklagte vor Gericht durchaus tun können. Aber in einem Ausschuss gibt es ja auch keine Angeklagten, nur Zeugen – die aber hinterher, in der Bewertung ihres Handelns durch den Untersuchungsausschuss, durchaus zu Beschuldigten werden können.

Seit drei Monaten untersucht das Münchner Oberlandesgericht die Frage, ob Beate Zschäpe und ihre vier Mitangeklagten für die Morde der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) verantwortlich sind oder zumindest Hilfestellung geleistet haben. Ein mühsamer Prozess, im doppelten Wortsinn, dessen Ende noch lange nicht absehbar ist. Das Gericht muss die individuelle Tatbeteiligung der Angeklagten untersuchen, es muss herausfinden, ob jeder von ihnen überhaupt Kenntnis vom NSU und dessen Taten gehabt hat – und es muss die Umstände aufklären, die das Entstehen einer neonationalsozialistischen Terrorzelle ermöglichten und begünstigten.

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Für letzteres liefert der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages mit dem Abschlussbericht, der am Donnerstag vorgelegt wird, eine wichtige Grundlage. Sein in seltener Einmütigkeit von allen Ausschussfraktionen getragener, weit mehr als 1000 Seiten dicker Abschlussbericht benennt die Mitverantwortlichen auf staatlicher Seite für die jahrelange Raub- und Mordserie der Terrorzelle. Es sind Minister, Behördenleiter, Beamte von Polizei und Verfassungsschutz, Staatsanwälte. Sie alle schauten weg oder nicht genau hin oder bewusst hinweg darüber, was es doch so deutlich zu sehen gab und gibt – einen offen rassistisch und antisemitisch agierenden Bodensatz in der Gesellschaft, der sich bei seinen Hetzparolen und Gewaltexzessen der stillschweigenden Duldung eines erschreckend großen Teils der Zivilbevölkerung sicher sein kann – siehe Berlin-Hellersdorf.

Beschämende Niederlage der Ermittlungsbehörden“

Nachzulesen ist die Anklageschrift des Untersuchungsausschusses im Teil 3 seines Abschlussberichts, dem sogenannten Bewertungsteil. In diesem nur drei Dutzend Seiten langen Abschnitt werden die Erkenntnisse aus der Beweisaufnahme politisch eingeordnet: Warum sind die Ermittlungen zur Ceska-Mordserie gescheitert? Welche politischen Rahmenbedingungen begünstigten die Radikalisierung rechter Jugendlicher? Welche Fehler haben Verfassungsschutz und Polizei gemacht? Und die wichtigste Frage: Haben Behörden oder einzelne Staatsbeamte mitgewirkt an den Verbrechen des NSU?

In der Bewertung seiner Aufklärungsergebnisse findet der Ausschuss klare Worte: Dass die Mordserie weder verhindert noch die Täter ermittelt werden konnten, sei „eine beschämende Niederlage der deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden“, heißt es in dem Bericht. Die Untersuchungen des Ausschusses hätten „massive Versäumnisse, Fehlleistungen und Fehleinschätzungen“ in den Behörden zutage gefördert. „Deutlich geworden sind (…) schwere behördliche Versäumnisse und Fehler sowie Organisationsmängel bis hin zum Organisationsversagen bei Behörden von Bund und Ländern vor allem bei Informationsaustausch, Analysefähigkeit, Mitarbeiterauswahl und Prioritätensetzung“, stellen die Abgeordneten fest. Fehlleistungen einzelner Behördenmitarbeiter seien „teilweise über Jahre nicht erkannt und korrigiert“ worden.

Die stärkste Kritik muss der Inlandsgeheimdienst einstecken. „Die Analyse der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zur rechtsterroristischen Gefahr war falsch und grob verharmlosend“, heißt es in dem Bericht. Vorurteile und eingefahrene Denkmuster in den Verfassungsschutzbehörden auf allen Ebenen hätten das Erkennen rechtsterroristischer Bedrohungen behindert. Insbesondere das Bundesamt, das einen Überblick über die Gefahrenlage in Deutschland haben soll, „hat unbestreitbar versagt“.

Als Verantwortliche dafür werden im Bericht der frühere BfV-Chef Heinz Fromm und dessen damaliger Stellvertreter und heutiger Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche genannt. Die Untersuchungen des Ausschusses hätten darüber hinaus gezeigt, dass die Gefahren, die von der gesamten militanten neonazistischen Szene in Deutschland ausgingen bzw. ausgehen, von Verfassungsschutz und Polizei immer wieder unterschätzt und bagatellisiert worden seien, bemängeln die Abgeordneten.

Um die viel diskutierte Frage, ob die eher laxe Handhabung des Problems Rechtsextremismus durch den Verfassungsschutz nicht auch andere Ursachen haben könnte – etwa die politischen Ansichten einzelner Beamter oder gar eine gewisse, noch von kaltem Krieg und einer von NS-Tätern aus der Gründergeneration geprägten Grundeinstellung des Geheimdienstes – mogeln sich die Parlamentarier allerdings herum. Eine solche Analyse wäre aber wohl auch zu komplex für einen Ausschuss. Und so wird das strittige Thema im Bericht nur mit einem zwar lapidaren, aber durchaus doppelsinnigen Satz abgetan: „Nach den Feststellungen des Ausschusses war keine Verfassungsschutzbehörde in dem Sinn ‚auf dem rechten Auge blind’, dass Befunde bewusst übersehen worden wären.“

Deutlich kritisiert wird hingegen die einseitige Ermittlungsrichtung der Polizei. In dem Bericht heißt es dazu,  die meisten Ermittler hätten sowohl bei der „Ceska“-Mordserie als auch bei den Sprengstoffanschlägen in Köln an der Ermittlungsrichtung Organisierte Kriminalität „auch dann noch festgehalten, als Spur um Spur in diese Richtung ergebnislos blieb“. Noch im Jahr 2010 habe BKA-Präsident Jörg Ziercke die Ceska-Mordserie bei einem Vortrag als herausragendes Beispiel für einen ungelösten Fall der Organisierten Kriminalität präsentiert, stellen die Abgeordneten fest.

Als fehlerhaft wird auch die Arbeit des Bundeskriminalamtes eingeschätzt, das ab 2004 mit „ergänzenden Strukturermittlungen“ an dem Verfahren zur Ceska-Mordserie mitwirkte. Als das bayerische Landeskriminalamt 2006 in einer „operativen Fallanalyse“ der Mordserie die Hypothese eines rassistisch motivierten Einzeltäters ausführte, habe dies die BKA-Führung als „Kaffeesatzleserei“ abgetan und einen möglichen Ermittlungsansatz in diese Richtung unterbunden, kritisiert der Ausschuss. Fehler seien zudem bei der Fahndung nach der Tatwaffe gemacht worden. „Der Ausschuss hat hier diverse fachliche Defizite feststellen müssen, die auch aus damaliger Sicht nicht als gute Polizeipraxis gelten konnten“, heißt es in dem Bericht.

Haarsträubende „Auswüchse“ im V-Mann-Wesen

Dennoch: Anhaltspunkte dafür, dass eine Behörde an den Straftaten des NSU in irgendeiner Art und Weise beteiligt war, diese unterstützte oder billigte, hätten sich nicht ergeben, stellen der Ausschuss fest. Auch gebe es keine Belege dafür, dass eine Behörde vor dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 Kenntnis von der Gruppe gehabt habe oder das Trio dabei unterstützte, sich dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen. Allerdings heißt es in dem Bericht einschränkend: „Diese Feststellung gilt nicht für die von Sicherheitsbehörden geführten V-Personen aus der rechten Szene.“

Denn bei der Untersuchung des Einsatzes von V-Leuten in der rechten Szene sind die Parlamentarier auf eine zum Teil haarsträubende Praxis gestoßen. Im Bericht ist dann auch in diesem Zusammenhang von „Auswüchsen“ die Rede. So sei der Ausschuss in seiner Arbeit „auf eine Reihe problematischer, teilweise inakzeptabler Umstände bei der Auswahl und Führung von V-Personen gestoßen“. Geschildert werden in dem Bericht die Fälle von fünf Neonazis, die trotz ihrer Führungspositionen in der Szene oder ihrer extrem gewalttätigen Art als Quellen angeworben und zum Teil mit hohen Summen entlohnt worden waren.

Unter dem Strich aber habe hier wie auch in anderen Vorgängen „Aufwand und Ertrag des Einsatzes von V-Personen zur Aufklärung einer von Rechtsterrorismus ausgehenden Gefahr (…) in keinem Verhältnis“ gestanden, heißt es in dem Bericht. In der Konsequenz bedürfe es daher bei Einsatz und Führung von V-Personen „einer grundlegenden Neuordnung“, empfehlen die Parlamentarier.

Ausführlich analysiert der Bericht auch die Umstände, die in den 1990er Jahren eine Radikalisierung der rechten Szene vor allem im Osten Deutschlands begünstigten. Auch hier äußert der Ausschuss deutliche Kritik am Staat: Die in den frühen 1990er Jahren auftretende Welle rassistischer und neonazistischer Gewalttaten, insbesondere gegen Flüchtlinge und Migranten, sei von den staatlichen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden nicht konsequent genug unterbunden worden. „Potenzielle Nachahmer und Sympathisanten der extremen Rechten konnten sich dadurch ermutigt und bestätigt fühlen“, heißt es in dem Bericht. Insbesondere in Thüringen hätten schleppend verlaufende polizeiliche Ermittlungen gegen Neonazi-Aktivisten mit darauf folgenden Verfahrenseinstellungen durch Staatsanwaltschaften oder Gerichte damals den Eindruck vermittelt, dass rechte Straftaten nur halbherzig verfolgt würden und die Täter letztendlich kaum mit schwerwiegenden Konsequenzen zu rechnen hätten.

Auch die Bundeswehr sei in dieser Zeit einer konsequenten Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus aus dem Weg gegangen, kritisieren die Abgeordneten. „Der Grundsatz, Gewalttäter und Führungskader extremistischer Gruppen von der Bundeswehr fernzuhalten, wurde in den 1990er Jahren nicht mit der nötigen Konsequenz umgesetzt“, heißt es dazu in dem Bericht.

Watsche für Schäuble, Schily und Hessens Wahlkämpfer Bouffier

Konkret benannt werden in dem Bericht auch damals verantwortliche Politiker, die Missstände in Behörden und Verwaltungen zuließen und duldeten. So etwa die früheren Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Otto Schily (SPD), die aus Sicht des Ausschusses zu wenig Interesse und Engagement für die Aufklärung der Mordserie an den Migranten zeigten. Der gleiche Vorwurf trifft im Bericht die früheren Länderinnenminister von Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen, Günther Beckstein (CSU), Fritz Behrens (SPD) und Volker Bouffier (CDU): Sie hätten sich mit dem einseitigen Ermittlungsansatz der Polizei zufriedengegeben und nicht darauf gedrängt, einen möglichen rechtsextremistischen Tathintergrund zu ermitteln.

Im Falle von Bouffier erheben die Abgeordneten einen zusätzlichen Vorwurf: Der heutige hessische Ministerpräsident habe als Innenminister 2006 die Ermittlungen zum Kasseler Mord an Halit Yozgat beeinträchtigt, indem er die polizeiliche Vernehmung möglicher Mitwisser, die als V-Leute für den Verfassungsschutz tätig waren, verhindert habe. „Damit bewertete er den Quellenschutz von fünf Quellen höher als den zusätzlichen Erkenntnisgewinn durch eine polizeiliche Vernehmung“, heißt es in dem Bericht.

Mit seiner komplexen Analyse des behördlichen Versagens in der NSU-Affäre und der staatlichen Begünstigung rechtsradikaler Entwicklungen in der Gesellschaft hat der Untersuchungsausschuss nicht nur ein beeindruckendes Zeugnis seiner Leistungsfähigkeit vorgelegt. Er gibt dem Münchner Oberlandesgericht auch eine wichtige Handreichung bei dessen Suche nach Schuld und Verantwortung im NSU-Prozess. Denn bei der Prüfung strafmildernder Umstände muss ein Gericht berücksichtigen, inwieweit der Staat und seine Behörden das gesetzwidrige Verhalten eines Angeklagten begünstigt und ermöglicht haben. Im Fall des NSU hat der Untersuchungsausschuss des Bundestages eine klare Antwort darauf gefunden.

 

 

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