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NSA-Affäre - Warum hält der Spiegel Snowden-Dokumente zurück?

Mit seinen Snowden-Recherchen hat der Spiegel die Bürgerrechte verteidigt. Weil die Bundesanwaltschaft aber nicht an dieses Material herankommt, wird die juristische Aufklärung des NSA-Skandals erschwert. Was wiegt hier mehr: Pressefreiheit oder Datenschutz?

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Überall nur Beschönigen, Beschwichtigen: Die Bundesregierung wird die NSA-Affäre von selbst wohl nicht mehr aufarbeiten. Datenschutzaffinen Bürgern bleibt eigentlich nur noch eine Hoffnung – die Justiz. Wo Grundrechte bedroht sind, haben sich die Deutschen noch immer auf das Bundesverfassungsgericht verlassen können. Könnte man der Justiz nicht auch die Aufklärung der Abhöraffäre anvertrauen? Eine Strafanzeige gegen amerikanische Spione, eine Vorladung der NSA: Das wäre doch mal was.

Doch zu einer Anklage ist es noch nicht gekommen. Bislang gibt es nicht einmal ein Ermittlungsverfahren in Sachen NSA. Und das hat auch mit dem Spiegel zu tun. Ausgerechnet mit jenem Magazin also, das in den vergangenen Monaten preiswürdige Titelgeschichten zur Abhöraffäre geliefert hat. Das in der oberen Liga des internationalen Journalismus mitspielt.

Für die juristische Aufarbeitung sind die Bundesanwaltschaft und die Strafgerichte zuständig. Den Alltag dort muss man sich derzeit ziemlich dröge vorstellen: Generalbundesanwalt Harald Range lässt seine Mitarbeiter Presseclippings sammeln und bei Ministerien anfragen. Zu den mutmaßlichen Abhörmaßnahmen und der möglichen Ausspähung des Mobiltelefons von Angela Merkel hat die Behörde im Juni und im Oktober jeweils einen „Beobachtungsvorgang“ angelegt.

Und sonst? Nichts. Keinen Schritt ist man einem Ermittlungsverfahren näher gekommen, obwohl sich sogar der renommierte Kölner Rechtswissenschaftler Nikolaos Gazeas sicher ist: „An der Sache muss so viel dran sein, dass dies schon für einen Anfangsverdacht reicht“.

Es fehlen: belastbare Beweismittel


Man kann der Bundesanwaltschaft Behäbigkeit vorwerfen, vielleicht auch Angst vor politischem Einfluss. Heißt es doch in der Strafprozessordnung, dass der Generalbundesanwalt auf eine Verfolgung verzichten kann, wenn ein Gerichtsverfahren schwere Nachteile für die Bundesrepublik herbeiführen würde. Angela Merkel könnte die Ermittler am Bundesgerichtshof also ruckzuck zurückpfeifen.

Der Spiegel hatte in dieser Woche noch eine andere Erklärung. Die Juristen würden sich mit dem Delikt Spionage schwertun, weil dieses völkerrechtlich nicht verboten sei. Und „alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt“.

Die Bundesanwaltschaft wies schon viel länger auf einen Grund hin, der im Spiegel unerwähnt blieb: Es fehlten Informationen. Belastbare Beweismittel. Die Juristen haben beim Bundesnachrichtendienst angefragt, beim Verfassungsschutz, beim Innenministerium. Aus den Antworten, so ein Oberstaatsanwalt, würden sich bislang aber „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fallende Straftat“ ergeben. Grob gesagt: Die Beamten starren auf Zeitungsschnipsel und Ministerienmails, ausgedruckt und abgeheftet.

Die Bundesanwaltschaft dreht sich im Kreis


Eigentlich ist das wenig überraschend. Sind es nicht genau jene Behörden, die die Aufklärung des NSA-Skandals bislang blockiert haben? Die Justiz dreht sich im Kreis; sie bittet jene um Hilfe, die an einer juristischen Aufarbeitung eigentlich gar nicht interessiert sind.

Und die Quelle selbst zu befragen – Edward Snowden – hat Generalbundesanwalt Range jüngst ausgeschlossen, da die Zeugenvernehmung erst mit Aufnahme eines Ermittlungsverfahren erlaubt sei. In einer Art offenem Brief hatte Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF, Snowden daher selbst aufgefordert, die Dokumente ins Internet zu stellen. Das Schreiben ist aber in doppeltem Sinne peinlich. Theveßen schleudert dem Whistleblower darin unhöflichst entgegen, er verdiene kein politisches Asyl in Deutschland. Schlimmer: Er übersieht völlig, dass Snowden gar nicht mehr im Besitz von Geheimdokumenten ist – die hatte er erklärtermaßen aus Sicherheitsgründen vor seiner Einreise nach Moskau abgegeben.

Es gibt in Deutschland aber einen Akteur, der sehr wohl über Zugang zu diesen Informationen verfügt: der Spiegel. Zwar hatte auch die Süddeutsche Zeitung vereinzelte Exklusivberichte, doch das Hamburger Magazin hat im vergangenen halben Jahr das Snowden-Material der Dokumentarfilmerin Laura Poitras am akribischsten analysiert. Herausgekommen sind die besagten Titelgeschichten. Keine Frage, der Spiegel hat sich um Bürgerrechte und um die Pressefreiheit verdient gemacht. Aber er muss sich jetzt auch fragen lassen: Warum lässt er jetzt die Bundesanwaltschaft so hängen?

Anfang Juli forderte das Magazin noch lautstark „eine unabhängige Aufklärung“. Poitras und die Spiegel-Redakteure Marcel Rosenbach und Holger Stark schrieben bei Spiegel Online, der NSA-Skandal sei „ein Fall für zwei“: für einen internationalen Untersuchungsausschuss auf europäischer Ebene und in Deutschland für „die Justiz in Karlsruhe“. Dass der Spiegel da selbst hätte mithelfen können, schrieben sie nicht.

Es ist freilich nicht unproblematisch, wenn eine Redaktion sensible Informationen an die Justiz herausgibt. Die Bundesanwaltschaft hat den Spiegel bislang nicht zur Beweisherausgabe aufgefordert, ja ihn nicht einmal darum gebeten: Denn das Grundgesetz beinhaltet die Pressefreiheit. Diesem müssen andere Interessen mitunter weichen – auch wenn das heißt, auf ein Strafverfahren zu verzichten. Die Juristen respektieren das.

Andererseits gilt es bei jeder Grundrechtskollision abzuwägen: Welches Gut ist schützenswerter? Ist es im Fall der massenhaften Abhörmaßnahmen die Pressefreiheit oder der millionenfache Bruch des Brief- und Postgeheimnisses, der Privatsphäre, des Rechts auf Datenschutz?

Steht für den Spiegel die eigene Pressefreiheit höher?


Die Hoheit der Pressefreiheit umfasst insbesondere den Quellenschutz. Im Fall des NSA-Skandals braucht es aber gar kein Zeugnisverweigerungsrecht. Edward Snowden hat sich selbst enttarnt. Er hat seine Erkenntnisse bekanntermaßen an drei ausgewählte Journalisten weitergegeben, neben Poitras noch Glenn Greenwald und Ewen MacAskill. Das Ziel: größtmögliche Aufklärung. Um die Snowden-Dokumente ist mittlerweile ein knallhartes internationales Medienwettrennen ausgebrochen.

Steht für den Spiegel die eigene Pressefreiheit also höher? Konkret gefragt: Würde der Spiegel den Strafverfolgungsbehörden eine Einsicht in sein Material ermöglichen, wenn denn ein solches Ansinnen käme? „Das ist eine hypothetische Frage, die wir beantworten werden, wenn sie sich tatsächlich stellen sollte“, teilte ein Pressesprecher mit.

Vielleicht hat der Spiegel gute Gründe für die Geheimhaltung. Beim britischen Guardian haben die königlichen Behörden schamlos gewütet. Camerons Geheimdienst zwang die Zeitung, Festplatten mit Snowden-Dokumenten zu zerstören. Ein Zugriff des Staates auf ein Medium wäre auch in Deutschland ein Dammbruch, mit dem keinen von beiden Grundrechten gedient wäre, weder der Pressefreiheit noch den Bürgerrechten.

Der Spiegel zeigt mit seiner Diskretion ein Misstrauen in die deutsche Justiz. Das ist legitim. Einem staatlichen Missbrauch könnte der Spiegel aber zuvorkommen, indem es das Material einfach selbst veröffentlicht. Möglicherweise will er aber sein Informationsmonopol nicht gefährden. In jedem Fall bleibt offen, warum das Magazin die dritte, offenbar ohnmächtige Gewalt so vehement für eine Aufklärung in Haftung nimmt.

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