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NSA-Affäre - Das perfide Doppelspiel der Bundesregierung

Selten wurde den Deutschen so geschickt Sand in die Augen gestreut wie dieser Tage in der NSA-Affäre: Einerseits heuchelt die Bundesregierung Empörung im Fall der aufgeflogenen Doppelagenten. Andererseits weigert sie sich weiterhin, Edward Snowden in Deutschland Asyl zu gewähren. Ein Kommentar

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Ja, was haben wir gelacht. Die Bundesregierung hat am Donnerstag den Repräsentanten der US-Geheimdienste in Berlin aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Zuvor waren zwei Spione beim Bundesnachrichtendienst und im Verteidigungsministerium aufgeflogen: „Sehr ernst“ nehme man diese Vorgänge, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Wuff. Er hat gebellt, der deutsche Schäferhund.

Doch das angeblich „harte“ Vorgehen gegen den obersten US-Geheimdienstler ist in Wirklichkeit eine Farce. Zwar gibt es in den USA vereinzelt Verblüffung über den Schritt der Deutschen. Die frei gewordene Position in Berlin aber wird umgehend von seinem Stellvertreter eingenommen. Der wird zweifelsohne so weitermachen wie bisher.

Es ist bezeichnend, dass die Bundesregierung bislang immer nur dann erbost reagiert hat, wenn sie selbst betroffen war: Das illegale Ausspähen deutscher Bürger interessierte Angela Merkel monatelang nicht – bis sie vom Abhören ihres Mobiltelefons erfuhr. Doppelagenten – so absurd deren Verwendung gegen einen Verbündeten erscheinen mag – gab es schon immer, wird es immer geben. Merkel und ihr Kabinett bauen hier einen Popanz auf. Dabei liegt das wahre Problem doch ganz woanders: Es ist der massenhafte Rechtsbruch durch US-Geheimdienste, das illegale Ausspähen von Millionen Bürgern. Deren Privatsphäre zu schützen, wäre eigentlich eine Aufgabe der Bundesregierung.

Mit amerikanischer Höflichkeit abgewimmelt


Die deutschen „Reaktionen“ aber haben die amerikanischen Partner bislang in keinster Weise beeindruckt. Als der damalige Außenminister Guido Westerwelle im Oktober 2013 den US-Botschafter einbestellte, formulierte das Satire-Onlinemagazin „Postillon“ treffend, John B. Emerson zittere schon vor der Begegnung.

Die USA bügelten deutsche Bedenken bislang stets mit amerikanischer Höflichkeit ab: Diplomat Emerson gewährte ein paar Journalisten Zutritt zu einem abgeschotteten Raum im US-Botschaftsgebäude in Berlin – freilich ohne wirklich auf kritische Fragen zu antworten. Die US-Regierung lud deutsche Minister zu Gesprächen ein – verweigerte sich aber einem No-Spy-Abkommen. Auch unter einer möglichen US-Präsidentin Hillary Clinton würde sich daran nichts ändern: Während ihres Deutschlandbesuchs betonte die frühere amerikanische Außenministerin mehrmals, dass die USA niemals aufs Spionieren verzichten würden. Dieser Tage kam wieder ein „Gesprächsangebot“: Außenminister Frank-Walter Steinmeier dürfe seinen US-Kollegen John Kerry treffen. Was dabei herauskommen wird, kann man erahnen: nichts.

Die Drohung von Thomas de Maizière, jetzt die USA abzuhören, läuft ebenso ins Leere: Wenn der BND mit seinen Werkzeugen aus dem vergangenen Jahrhundert kommt, werden sich die Boys von NSA, CIA und FBI sicher kringeln vor Lachen. Nicht einmal ein Aussetzen der Verhandlungen um das transatlantische Freihandelsabkommen wäre geeignet, den USA das Fürchten zu lehren: Denn die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Amerika ist in deutschem Interesse – mit einem Boykott würde sich die Bundesrepublik ins eigene Fleisch schneiden.

Edward Snowden droht in den USA eine Haftstrafe


Nein, all diese Maßnahmen wirken hilflos, unausgegoren und peinlich. Es gibt nur eine Aktion, die die Regierung Obama wirklich empören würde: eine Aufnahme des NSA-Whistleblowers Edward Snowden. Der gilt in den USA als „Verräter“ – bei einer Rückkehr in seine Heimat droht ihm eine hohe Haftstrafe.

Angela Merkel könnte ihm einen sicheren Aufenthalt in Deutschland gewähren. Zugleich könnte Snowden dem NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages bei der Aufklärung der Spähaffäre helfen. So wie Gerhard Schröder 2002 „Nein“ zum Irakkrieg sagte, so könnte Merkel jetzt mit einer Aufnahme Snowdens ein ähnlich deutliches Signal setzen: Ein transatlantischer Treueschwur heißt nicht, dass sich Deutschland alles bieten lässt.

Viele Amerikaner haben sogar Verständnis für die hiesige Empörung. Die Deutschen seien die Einzigen mit einer lebenden Erinnerung an einen totalitären Staat, sagte der NSA-Whistleblower William Binney jüngst, bevor er vom Untersuchungsausschuss des Bundestags befragt wurde. Das ist auch der Grund, warum Berlin längst zum neuen Zentrum von Netzaktivisten und Snowden-Unterstützern geworden ist.

Snowden Asyl zu gewähren, würde gut in dieses Bild eines Landes passen, dessen Bürger gern von sich behaupten, aus ihrer eigenen Geschichte gelernt zu haben. Ein solcher Schritt wäre zudem ein erstes Zeichen für die selbstbewusste neue deutsche Außenpolitik, die Bundespräsident Joachim Gauck jüngst proklamierte und auch Polens Ministerpräsident Donald Tusk schon 2011 angemahnt hatte.

„Wachsende Entfremdung zwischen Regierung und Bevölkerung“


Dass die Bundesregierung an Aufklärung aber kein Interesse hat, wurde am Freitag deutlich: Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags lehnte mehrere Petitionen ab, die einen sicheren Aufenthalt für Snowden in Deutschland forderten – oder dieses Thema zumindest auf die Agenda des Parlaments setzen wollten. Die schwarz-rote Mehrheit hatte sich gegen Linke und Grüne durchgesetzt, ganz im Sinne der Bundesregierung. Der Ausschuss flüchtete sich in hanebüchene verfahrenstechnische Begründungen. Snowden könne ja Zuflucht in anderen Staaten suchen, hieß es etwa.

Vor diesem Hintergrund wirkt der Rauswurf des obersten US-Geheimdienstlers geradezu heuchlerisch. Eine der Petentinnen, Katharina Nocun, erklärte zurecht: „Der Fall Snowden ist symptomatisch für eine wachsende Entfremdung zwischen einer Regierung, die Aufklärung blockiert, und einer Bevölkerung, die sich nicht länger überwachen lassen will.“

Offenbar will die Regierung durch den NSA-Skandal nicht ihre eigenen Geheimdienstoperationen gefährden. Sie setzt weiter auf die enge Zusammenarbeit mit den US-Diensten, um mögliche Terroranschläge in Deutschland zu verhindern. Zudem hat sie ihrem BND gerade ein sündhaft teures, überdimensioniertes Dienstgebäude in Berlin errichtet. Wozu da Spionage einschränken?

Gut möglich, dass die Pseudo-Reaktionen der Bundesregierung daher nur einem Ziel dienen: der Bevölkerung ein Sedativum zu verabreichen. Auf dass sie glauben möge, ihre politischen Vertreter erfüllten ihre Aufgabe.

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