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NSA-Affäre - Die Große Koalition wäre ein GAU für den Datenschutz

Die Überwachung im Netz ist total. Das hat nicht zuletzt die NSA-Affäre gezeigt. Doch das Letzte, was man von einer Großen Koalition erwarten kann, ist mehr Datenschutz

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Wenn Bürger und Politiker bislang glaubten, der NSA-Skandal sei erwartbar gewesen, sind sie über Nacht eines Besseren belehrt worden. Die jüngsten Enthüllungen des Ex-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden sind eine Zäsur. Ob verschlüsselte E-Mails, Online-Banking oder private Transaktionen – nichts davon ist im Internet mehr sicher. Wie der Guardian und die New York Times berichten, können die NSA und der britische GCHQ sogar verschlüsselte Kommunikation knacken.

Mehr als 250 Millionen US-Dollar soll die NSA in die Geheimoperation mit dem Codenamen „Bullrun“ gesteckt haben. Zum Vergleich: „Prism“ kostete 20 Millionen Dollar. Offenbar wurden mit dem Geld auch Computerfirmen geschmiert: Die Programmierer bauten Schlupflöcher in die Software ein, um den Zugang für staatliche Beobachter zu erleichtern.

Bürgerrechtsparteien müsste diese Nachricht als Munition im Wahlkampf eigentlich sehr gelegen kommen. Doch sowohl FDP als auch Grüne haben den NSA-Skandal bislang vernachlässigt. Auch den Piraten und der Linkspartei, die immerhin konsequent in Pressemitteilungen dagegen opponieren, ist es bislang nicht gelungen, das Thema für sich zu kapitalisieren.

Geheimdienste reichen Daten im Ringtausch weiter

Vielleicht liegt das auch daran, dass die bisherigen Erkenntnisse im Fall NSA wenig konkrete Angriffsfläche boten. Dass offene E-Mails von Sicherheitsbehörden abgefischt werden: geschenkt. Es wundert auch niemanden, wenn Briefträger Postkarten lesen. So richtig hat es auch keinen empört, dass Geheimdienste ihre Informationen in einer Art Ringtausch untereinander teilen. Mit diesem Trick nämlich konnten die deutschen Sicherheitsbehörden und somit auch Angela Merkel behaupten, sie hätten sich an alle Gesetze gehalten: Der BND späht – völlig legal – fremde Staatsbürger aus, reicht die Informationen an ausländische Geheimdienste weiter und erhält im Gegenzug Daten über Deutsche. Die Beteiligten halten sich formal ans Recht, obgleich sie alle den Datenschutz unterwandern.

Dass aber auch Kontobewegungen, Firmeninterna, vielleicht sogar wettbewerblich relevante Informationen abgefischt werden können, ist eine andere Dimension. Damit ist das letzte Stück Privatsphäre im Netz ausgeleuchtet, der letzte Pfahl am digitalen Gartenzaun herausgerissen. Kurzum: Die Überwachung ist total.

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Was aber hören wir von den Bürgerrechtsparteien, die zumindest eine Chance auf eine Regierungsbeteiligung haben?

Die Grünen rufen nach Steuererhöhungen und einem Veggie Day. Sie fordern das eigene Klientel zu Verzicht auf – eine unpopuläre Forderung, die man eigentlich nicht allzu laut im Wahlkampf äußern sollte. Kein Wunder, dass die Grünen in der jüngsten Umfrage des ARD-Deutschlandtrends nur noch bei 10 Prozent liegen. Das rot-grüne Projekt droht endgültig zu scheitern. Den Grünen fehlt der Beweis, dass sie die Bürger nicht nur bestrafen, sondern auch beschützen wollen. Der NSA-Skandal könnte so ein Beweis sein – und bitte nicht erst an Stelle 9 im Newsletter.

 

Die FDP setzt derzeit eher auf Attacke. Nein, nicht gegen die Sicherheitsbehörden, nicht gegen die NSA und andere Schnüffler dieser Welt, sie attackiert den politischen Gegner. Rainer Brüderle warnt im Werbespot mehrmals eindringlich vor Rot-Grün. Der Spot machte übrigens Schlagzeilen, weil darin die gleiche Familie zu sehen war wie bei der Werbung der NPD. Außerdem befeuert die FDP das Thema Eurorettung. Doch davon profitieren nicht sie, sondern die AFD. Dabei kratzt die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde, ihr Wahlkampf ist existenziell. Wollte sie jetzt noch ein paar konservativ gesinnte Bürgerrechtler überzeugen, was läge näher, als sich des Schutzes vor massenhafter Überwachung anzunehmen?

Kritischen Bürgern kann an schwachen Grünen und Liberalen nicht gelegen sein. Denn das würde Große Koalition bedeuten: der datenschutzrechtliche GAU. Die Summe aus Pofalla-Partei und Schily-Partei.

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Die Union hat sich bislang in keiner Weise für eine ernsthafte Aufklärung des NSA-Skandals interessiert. Man erinnere sich: Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hat die Affäre schon vor einem Monat für beendet erklärt. Und Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) versicherte: „Es gibt keine flächendeckende Ausspähung in Deutschland.“ Bundesdatenschützer Peter Schaar sieht das freilich anders: Er wirft Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vor, bei der Aufklärung der Affäre zu mauern.

CDU und SPD für Vorratsdatenspeicherung

Zudem fordert die Union weiterhin die Vorratsdatenspeicherung. Sie heißt jetzt nur anders: „Mindestspeicherung“. Das Gleiche bei der SPD: Im Wahlprogramm distanziert sich die Partei nicht eindeutig von der Vorratsdatenspeicherung, stattdessen heißt es: „Den Umgang mit Verbindungsdaten werden wir auf die Verfolgung schwerster Straftaten beschränken.“

Die SPD hat mit Otto Schily unter Rot-Grün ihr wahres bürgerrechtliches Gesicht gezeigt: Der Ex-Innenminister setzte nach dem 11. September massiv auf Terrorismusbekämpfung, verschärfte die Sicherheitsgesetze und beschränkte den Datenschutz. Die aktuellen Diskussionen um die NSA hält Schily für „Getöse“. Und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück? Zwar attackierte er Merkel anfänglich noch für ihr Zögern in der NSA-Affäre. Aber im TV-Duell drückte Steinbrück sich deutlich vorsichtiger aus, verbreitete in Bezug auf Edward Snowden sogar Unwahrheiten. Das Thema Datenschutz ist also auch bei der SPD nicht in sicheren Händen.

Grüne und FDP sollten gewarnt sein. Wenn sie ihren Wahlkampf noch retten wollen, müssen sie jetzt mit Seriosität punkten. Für Samstag ist in Berlin eine Großdemonstration unter dem Stichwort „Freiheit statt Angst! Stoppt die Überwachung“ angekündigt. Es ist also noch nicht zu spät, in den Kampf für mehr Bürgerrechte einzusteigen. Die jüngste Enthüllung wäre dafür eine gute Rampe.

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