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Nach den Landtagswahlen - Die Gesundbeter von der CDU

Kisslers Konter: Die Landtagswahlen waren ein Debakel für die CDU. Doch anstatt sich den Realitäten zu stellen, übt sich die Partei im Schönreden und hält weiter zu Merkel. So wird sich eine fundamentale Krise nicht lösen lassen

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Das Gesundbeten hat einen schlechten Ruf, nicht immer zu Recht. Mary Baker Eddy begründete auf dem Gesundbeten eine Glaubensgemeinschaft, die „Christliche Wissenschaft“. Das Gesundbeten gilt darüber hinaus als eine „alte Heiltradition“ mit oft verblüffenden Ergebnissen. Auch heute noch werde „Gebetsheilung bei den unterschiedlichsten Leiden praktiziert“. So steht es im aktuellen Fachbuch „Gesundbeten mit Heiligen“. Es muss sich dabei um die Lieblingslektüre im Konrad-Adenauer-Haus handeln.

Der Absturz ihrer Partei ist der Kanzlerin egal
 

Anders ist die Inbrunst kaum zu erklären, mit welcher die Größen der CDU nach den für ihre Partei katastrophal verlaufenen Landtagswahlen die Lage beschönigen und zur Politroutine zurückkehren wollen. Die CDU gefällt sich in innerer Selbsteinkehr und sperrt die Realität aus. Sie legt sich die Hände auf. Das beruhigende Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, soll den Wählerwillen als Trugbild verscheuchen. Dabei ist nach den drei Wahlen sonnenklar: Was immer das Wahlvolk im Einzelnen mögen mag – es will auf keinen Fall mehr CDU. Sonst hätte es ihr mehr Stimmen gegeben. Der Kanzlerin ist der Absturz ihrer Partei erkennbar egal. Den Job als Parteivorsitzende hat sie in ihrem Gemütshaushalt auf den Rang einer Liebhaberei herabgestuft. Wenn es ihr nostalgisch zumute wird, schaut sie alte Dias von der CDU und erfreut sich am Vergangenen. Europa, die Welt, das Universum sind die neuen leitenden Prinzipien. Schon das Wort „Deutschland“ kommt Angela Merkel kaum über die Lippen.

Doch die Gesundbeterei der Granden ist vor diesem Hintergrund mehr als das routinierte Aufsagen von Durchhalteparolen. Die gesundbetenden Herren Oettinger, Lammert, Laschet, Bouffier, Tauber und Kauder sind der Chor, den jede Kaiserin braucht, damit sie als solche erkannt wird. Gesundbeten ist Pflicht, damit der Monarch nicht stürzt. Und so murmeln sie alle im nämlichen Tonfall, in der Flüchtlingspolitik brauche es keinen Kurswechsel, denn „ich bin mir sicher, dass der Kurs, den Angela Merkel fährt, zum Erfolg führt“. Man brauche Geduld, „erste Erfolge zeigen sich“, „der Kurs, den Angela Merkel fährt, ist richtig“, „davon kann man nicht abgehen.“ Sprach Fraktionschef Volker Kauder im Brennpunkt der ARD, und vergaß zu erwähnen, dass die „Erfolge“, die sich zeigen, gerade auf jenem Weg beruhen, den Merkel ablehnt, auf der Schließung der Balkanroute. Nur deshalb reduziert sich die Zahl der Migranten und Flüchtlinge, die an Deutschlands Pforte klopfen.

Die CDU stärkt Merkel den Rücken
 

Zuvor hatten der CDU-Generalsekretär und der hessische Ministerpräsident bei n-tv an der Legende von der starken Angela gestrickt. Peter Tauber sah „schlichtweg niemanden“, der „unser Land auf diesem schwierigen Weg führen und begleiten und andere mitnehmen“ könne, wie es Merkel vermöge – unbeschadet der Tatsache, dass in Europa fast niemand sich von der Kanzlerin „mitnehmen“ lassen will. Volker Bouffier blies ins selbe Horn, Merkels Politik finde „die größte Unterstützung“ – freilich nur, wenn man die Stimmen für SPD und Grüne zu Stimmen für die CDU-Kanzlerin umetikettiert.

Günther Oettinger erklärte, Merkel könne sich nun in Europa durchsetzen, „deswegen wäre es falsch, jetzt einen Kurswechsel herbeizuführen". Doch ist irgendwo ein Weg vom Konjunktiv zum Indikativ sichtbar? Möglichkeiten sind keine Realitäten, Hypothesen binden nicht. Norbert Lammert sah nach dem Wahldesaster eine „erkennbar starke Mehrheit, die im Großen und Ganzen den Kurs der Kanzlerin unterstützt“, Armin Laschet repetierte das alte Motto, es könne nur eine europäische Lösung geben.

In der Tat gibt es eine solche europäische Lösung längst, nur besteht sie im Gegenteil jenes deutschen Sonderwegs, den Merkel zum europäischen Weg erklärt hat. Europas Staaten schützen und schließen ihre Grenzen. Merkel lehnt ab, was Europas Staaten tun und sieht sich dadurch als Mustereuropäerin: Ball paradox in Berlin.

Merkel betont in der Krise den Faktor Zeit
 

Die, die sich solchermaßen ins Gebet nehmen lässt, hat in ihrer jüngsten Pressekonferenz das eigene Wirken vor einen heilsgeschichtlichen Horizont gerückt. Wir befänden uns „in einer alles andere als einfachen Zeit“, die Welt erscheine „in großer Unordnung“: Zeit und Welt also, das Geworfene und das Gewordene, Zufall und Schicksal, die denkbar größten Bedingungen menschlicher Existenz, ruft Merkel auf, um ihr Tun einzuordnen. Ihr persönliches Tun, losgelöst von aller Repräsentativität, denn „ich bin der festen Überzeugung, und das ist heute auch nicht in Frage gestellt worden, dass wir eine europäische Lösung brauchen, dass diese Lösung Zeit braucht“. Da war sie wieder, die „Zeit“, die mal beschworen wird als dunkles Gegenüber, mal gepriesen als Handlungsraum, damit das Ich, das Kanzlerinnen-Ich vor diesem Firmament zum einzig denkbaren Gestalter wird. Merkel will „in der Zukunft“ daran arbeiten, „die entsprechenden Antworten zu finden“.

Bis es soweit ist und der Kanzlerin die Antworten dämmern, bleibt ihr und den Granden der CDU das Gesundbeten von Partei und Volk und Land. Und uns, den betroffenen Betrachtern, das Staunen mit offener Kinnlade über so viel daseinsfromme Selbsteinkehr, eine derart offensive Realitätsverkehrung auf dem Gipfelpunkt einer Parteienkrise. In der Regel, wie es im Fachbuch heißt, bewirke das Gesundbeten „eher eine milde Umstimmung, eine allmähliche Gemütsaufhellung“. Stets aber geht eine Krankheit dem Gesundbeten voraus. Immerhin das wissen wir nun.

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