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Energiewende - Mythen in der energiepolitischen Debatte

Keinem wichtigen Vorhaben dichten Lobbyisten so viel an wie der Energiewende: Sie kommt überstürzt! Macht uns arm! Zerstört die deutsche Industrie! Reißt uns ins dunkle Chaos! Höchste Zeit, mit den Mythen über ein gutes Projekt aufzuräumen

Autoreninfo

Professor Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin

So erreichen Sie Claudia Kemfert:

Angela Merkels Fehler ist niemandem aufgefallen. Die Korrespondenten bemerken ihn nicht. Sie sitzen vor der Kanzlerin in Berlin auf der jährlichen Pressekonferenz und fragen alle wichtigen innen- und außenpolitischen Themen ab, auch die Energiewende. Später wird in den Medien viel die Rede davon sein, wie Merkel im siebten Jahr ihrer Amtszeit in sich ruht, wie souverän sie das Corps der versammelten Journalisten mit ihren Gesten dirigiert hat am 17. September 2012, jenem Montagmorgen, an dem sie auch diese Sätze sagt: „Ich bin davon überzeugt, dass wir die Energiewende schaffen. Wir haben ja erst ein Jahr hinter uns und noch zehn, elf Jahre, in denen wir die Ziele erreichen können, die wir uns gesteckt haben.“

Noch zehn, elf Jahre? Ein echter Propaganda-Erfolg. Und zwar von denen, die die Energiewende verhindern wollen. Eine der Behauptungen, mit denen sie derzeit Wirkung erzielen, lautet: Der Zeitplan ist zu eng, bis 2022 schaffen wir den Umbau der Energieversorgung nicht. Angela Merkels Fehler zeigt: Es wirkt, wenn Lobbyisten Unwahrheiten gebetsmühlenartig wiederholen. Es ist wie mit der Werbung. Wir halten uns für aufgeklärte, selbstbestimmte Konsumenten. Doch es stimmt nicht, das Unterbewusstsein nimmt die Botschaften auf, die uns von jedem Plakat entgegenleuchten, und am Ende beeinflussen sie unser Kaufverhalten. Im Konzept zur Energiewende sind Ziele zum Ausbau erneuerbarer Energien formuliert, die sich auf das Jahr 2050 beziehen – auf 2050! Doch selbst die Kanzlerin, die das Konzept mitverabschiedet hat, glaubt inzwischen, es seien nur noch zehn, elf Jahre Zeit. Die Wahrheit ist: Bis Ende 2050 sind es noch 38 Jahre.

Angesichts von Ressourcenknappheit, Atomgefahren und Klimawandel, die uns bedrohen, ist die Energiewende ein sinnvolles, ein dringend notwendiges Projekt. Es ist höchste Zeit zu handeln. Zumal die Energiewende auch ein nützliches Projekt ist, von dem die deutsche Volkswirtschaft profitiert. Denn der Umbau unserer Stromversorgung ist mit gewaltigen Impulsen für die Wirtschaft verbunden und lässt dabei die Brennstoffkosten sinken. Und schließlich ist die Energiewende ein erfolgreiches Projekt: Vieles von dem, was vor wenigen Jahrzehnten noch im Reich grüner Utopien gesehen wurde, gehört heute zum Alltag. Saubere, grüne Energie ist technisch machbar und wirtschaftlich bezahlbar geworden.

[gallery:Karikaturen zur Energiewende]

Deutschlands Energiewende, ein sinnvolles, nützliches und erfolgreiches Projekt? Wer die eigene Meinungsfindung auf das gründet, was die Medien täglich berichten, hat vermutlich ein ganz anderes Bild im Kopf: teuer, riskant, zum Scheitern verurteilt. Warum ist das so? Und wer hat recht?

Zunächst einmal: Es geht um Dinge wie Brennstoffe, Stromleitungen, Kraftwerke. Dinge, die wir gewohnheitsmäßig kaum beachten. Nur viel zu wenige Menschen können den Betrag ihrer jährlichen Stromrechnung benennen. Doch das Thema grüne Energie polarisiert, und die Debatten darum sind in einer Weise emotional aufgeladen, die angesichts ihres prosaischen Inhalts überrascht. Dabei ist die Geschichte der ökologischen Bewegung eine schwere Hypothek. Wer sich offen für grüne Ideen ausspricht, macht sich auch heute noch eines träumerischen Ökoidealismus verdächtig. Kann man für die Energiewende sein, ohne als wirtschaftsferner Realitätsverweigerer zu gelten? Kann man ihre Umsetzung sachlich-konstruktiv kritisieren, ohne gleich das ganze Projekt infrage zu stellen? Und schließlich: Ist die Energiewende so schlecht wie ihr Ruf, oder hat sie in erster Linie ein Imageproblem?

Seite 2: Braucht die Energiewende ein Tempolimit?

In den vergangenen Monaten hat sich eine politische Auseinandersetzung um die Energiewende entwickelt, die nicht eben zu ihrem Gelingen beiträgt. Ein Kampf um Strom tobt, und es ist zu befürchten, dass dieser dem begonnenen Prozess des Energieumbaus schadet. So wurde der deutschen Energiepolitik vor kaum zwei Monaten auf der Weltklimakonferenz in Doha bescheinigt, dass die grüne Energiepolitik nach anfänglichen Erfolgen von ihrem Weg abgekommen ist; es drohen Stagnation und Rückschritte. Inzwischen scheint das von den Medien kolportierte Bild gar nicht mehr so falsch: An manchen Stellen – nicht an allen! – herrscht Chaos, und wir können noch scheitern. Ein erster Erfolg derer, die sich mit aller Macht gegen die Energiewende zur Wehr setzen.

Gegen den Energieumbau stellen sich in erster Linie jene, die von der bisherigen Energieversorgung am meisten profitieren: große Konzerne, für die jeder Landwirt mit einem Windrad auf dem Feld Konkurrenz bedeutet. Denn die Herausforderungen liegen nicht allein in der Umstellung auf neuartige Energiequellen, sondern auch in einer damit einhergehenden Neustrukturierung des Energiemarkts. Neue Mitspieler treten auf den Plan und machen den herkömmlichen Anbietern ihre Pfründe streitig. Das kann nicht jedem gefallen; insbesondere die Betreiber von Atom- und Kohlekraftwerken haben sich diesem Prozess deshalb von Anfang an widersetzt. Ihr Kundenstamm schrumpft stetig, da sich inzwischen ganze Dörfer mit Sonnenkollektoren auf den Dächern oder durch die Energiegewinnung aus Biomasse selbst versorgen.

Die Gegner der Energiewende haben Macht. Ein halbherziger Versuch, den Strommarkt zu liberalisieren, hat in den neunziger Jahren zur Entstehung weniger großer Energieversorgungsunternehmen geführt, die den Markt fast vollständig unter sich aufteilten und so zu einem wirtschaftlichen Schwergewicht werden konnten. Diese starke Position ermöglicht es ihnen heute, sich durch Lobbyarbeit und willige Handlanger in der Politik dem entgegenzustellen, was die Regierung längst beschlossen hat. So tobt der Kampf um Strom auf verschiedenen Ebenen. Da ist vor allem die Politik: Im Schatten der Lobby alteingesessener Energieriesen konnte sich ein Umweltminister, der sich mit einem allzu grün anmutenden Programm vorwagte, nicht lange halten. Seinem Nachfolger im Amt, Umweltminister Peter Altmaier, gab der Bund der Industrie kurz nach seinem Antritt den Rat, er solle bloß nicht „den Röttgen machen“. Seither werden seine Bemühungen, die Energiewende aus der eingetretenen Stagnation wieder herauszuführen, vom FDP-geführten Wirtschaftsministerium blockiert – was zuletzt nicht nur von aufmerksamen Journalisten, sondern sogar einem Gremium aus vier Regierungsberatern, die das Projekt seit Oktober 2011 begleiten, kritisiert wurde. Halten wir uns das vor Augen: Ein Teil der Regierung leistet offenen Widerstand gegen den Fahrplan zur Energiewende, der von derselben Regierung nur zwei Jahre zuvor beschlossen und in die Wege geleitet wurde.

Die Auseinandersetzung wird auch in den Medien ausgetragen. Im September steht die Bundestagswahl an, und darauf, dass die FDP sich in der Regierung halten wird, möchte niemand wetten. Deshalb reicht es der alten Energielobby nicht, in den Hinterzimmern von Ministern und Abgeordneten die Fäden zu ziehen. Es gilt, die Bevölkerung umzustimmen. Die sprach sich bis Mitte des Jahres 2012 noch mit großer Mehrheit für die Energiewende aus. Womit wir wieder beim Bild wären, das in der Öffentlichkeit über die Ökostromwende kursiert. Was könnte die Bevölkerung umstimmen? Sie muss das Vertrauen in das Projekt verlieren. Zuschreibungen wie „sinnvoll, nützlich, erfolgreich“ müssen ins Gegenteil verkehrt werden.

Eine schwierige, aber keine unlösbare Aufgabe. Denn, wir haben es am eingangs zitierten Beispiel der Kanzlerin gesehen: Wenn man Falsches oft genug wiederholt, setzt es sich irgendwann in den Köpfen fest. Aus Behauptungen wie der, die Energiewende sei mit nur zehn, elf Jahren ein zu hastig gestricktes Programm – obwohl es in Wahrheit noch 38 Jahre sind –, entstehen fest verankerte Glaubenssätze aus Halb- und Unwahrheiten. Auf diese Weise droht sich ein mutiges und in seinen Dimensionen gewaltiges Zukunftsprojekt in ein Menetekel zu verwandeln: Stoppt die wahnsinnige Ökopolitik, sie wird uns in den Untergang treiben! Dabei werden die meisten der Falschaussagen, die solche Ängste schüren, bewusst von jenen gestreut, die die Energiewende im eigenen Interesse zu torpedieren suchen.

Braucht die Energiewende ein Tempolimit?

Es geht zu schnell, lautet einer der Vorwürfe, Mahnungen nach einem Tempolimit werden laut. Dabei liegt hier im doppelten Sinne ein Missverständnis vor: Zum einen beziehen sich die noch vor uns liegenden zehn Jahre auf das Datum 2022, zu dem die endgültige Abwicklung der Atomenergie geplant ist. Die Ziele der Energiewende – 80 Prozent der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien und die Reduktion der Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent – sollen erst bis 2050 erreicht werden. Zum anderen: Das Hin und Her von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb, von Laufzeitenverlängerung zum schnellen Ausstieg nach dem Reaktorunglück in Japan hat tatsächlich den Eindruck eines hastigen, unüberlegten Handelns hervorgerufen. Das Konzept der Energiewende wurde jedoch schon vor Fukushima geplant und verabschiedet, mit einer panikartigen Reaktion hat es nichts zu tun. Man muss es immer wieder richtigstellen: Der Atomausstieg und die Energiewende sind nicht dasselbe – im Gegenteil. Als das Konzept zur Energiewende von der schwarz-gelben Koalition im Oktober 2010 beschlossen wurde, verlängerte sie zugleich die Laufzeiten der Atomkraftwerke. Eine Entscheidung, die sie nur deshalb rückgängig machte, weil die Zustimmung zur Atomenergie in der Bevölkerung nach den Ereignissen in Japan wegbrach.

Ein „Tempolimit“, ein langsamerer Ausbau der erneuerbaren Energien, würde der Energiewende schaden, was manchen gelegen käme. Wenn der Ökostrom nicht so bald kommt, nutzt das den Betreibern von Kohlekraftwerken. Solange nämlich aus Altersgründen stillgelegte Kraftwerke und abgeschaltete Atommeiler nicht durch erneuerbare Energien ersetzt werden können, müssen neue Kohlekraftwerke gebaut werden, um die Stromversorgung zu sichern. Diese haben jedoch eine Lebensdauer von 40 bis 60 Jahren. Sind sie erst einmal gebaut, besteht für den unbegrenzten Zubau von grünem Strom keine wirtschaftliche Notwendigkeit mehr. Das ist gut für die Betreiber von Kohlekraftwerken. Die von der Bundesregierung ebenso wie von der EU angestrebte spürbare Reduktion der Treibhausgase würde damit jedoch in weite Ferne rücken.

Seite 3: Bringt die Energiewende uns Planwirtschaft und soziale Verelendung?

Bringt die Energiewende uns Planwirtschaft und soziale Verelendung?

Hinter den vorgeblich sachlichen Diskussionen um die Energiewende und um ihre bestmögliche Umsetzung verbergen sich oft handfeste Interessen. Wäre grüner Strom langfristig unbezahlbar, gäbe es das Projekt Energiewende nicht. Natürlich sind es nicht Sonnen- und Windenergie, die zur sozialen Verelendung führen. Dieses Argument entlarvt sich in seiner Fadenscheinigkeit schon dadurch, dass es ausgerechnet von der FDP vorgetragen wird. Soziale Gerechtigkeit ist keine Frage der Energiepolitik, auch in Bezug auf die Strompreise nicht, sondern eine Frage der Lastenverteilung – hier geht es nicht darum, was wir bezahlen, sondern wer zahlt. Dabei kann man in der Tat Ungerechtigkeiten feststellen, die jedoch an der Steuer- und Subventionspolitik, nicht aber der Art unserer Energieversorgung festzumachen sind.

Noch fadenscheiniger ist es, das Erneuerbare-Energien-Gesetz – das maßgebliche Instrument zur Förderung der erneuerbaren Energien – als „Planwirtschaft“ zu verunglimpfen. Es ist schlicht Heuchelei zu behaupten, seine Abschaffung sei die Voraussetzung für eine besser organisierte Stromversorgung. „Mehr Markt, weniger Staat“, fordern die Kritiker des EEG und schlagen ein alternatives marktregulierendes Instrument vor, die sogenannte Quotenregelung, die sie als das marktwirtschaftlichere Modell anpreisen.

Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Eine Quote zur Förderung des Ökostroms brächte nicht mehr Marktgerechtigkeit, sondern käme vor allem den vier etablierten Großkonzernen zugute. Während das EEG jede produzierte Kilowattstunde Ökostrom vergütet und damit fördert, würde eine Quotenregelung bestimmte Mengen grünen Stroms festsetzen, die jeder Anbieter produzieren beziehungsweise handeln müsste. Auf diese Weise, so hoffen die Befürworter, würde nur der am billigsten produzierte Ökostrom gehandelt, teurere Produktionsverfahren hätten keine Überlebenschance. Gut für den Verbraucher! – prophezeien die Kritiker des EEG: Das Quotenmodell führe zu niedrigeren Strompreisen. Nun besteht der Sinn einer Förderung aber gerade darin, technische Innovationen so lange finanziell zu stützen, bis sie marktwirtschaftlich werden und sich damit selbst finanzieren. Wenn sich eine Volkswirtschaft entscheidet, immer nur die zu einem gegebenen Zeitpunkt billigste Technologie zu unterstützen, mag das kurzfristig niedrige Preise bringen. Doch wer sich weigert, in zukunftsbringende Technologien zu investieren, der verzichtet von vorneherein auf die Teilnahme an einem lukrativen Wettbewerb.

Tatsächlich hat sich das in anderen EU-Ländern praktizierte Quotenmodell als innovationsfeindlich erwiesen, darüber hinaus wurde der Strom keineswegs billiger für den Verbraucher. Die Erfahrung mit der Quote in Ländern wie Großbritannien zeigt: Sie macht es den etablierten Konzernen leicht, kleinere Anbieter zu verdrängen – und dem Verbraucher am Ende Bedingungen und Preise zu diktieren. Wer die Quote fordert, handelt nicht im Interesse des Verbrauchers, sondern spielt den großen Energieversorgern in die Hände. Anders das EEG, das bereits heute zahlreichen mittelständischen und kleinen Anbietern zur Existenz verholfen hat und so dazu beiträgt, das kartellrechtlich äußerst fragwürdige Oligopol der großen vier allmählich aufzuweichen. Und das zudem dafür sorgt, dass Deutschland in ein bis zwei Jahrzehnten über ein breites Spektrum an Technologien zur Stromproduktion verfügen wird.

Führt die Energiewende zu einer DeIndustrialisierung in Deutschland? Und fördern wir mit der Ökostromzulage die Solarbranche in China?

Indem das EEG kleine wie große Anbieter gleichermaßen fördert, trägt es zu Liberalisierung und mehr Vielfalt auf dem Strommarkt bei. Insofern erstaunt es, dass sich die wirtschaftsnahe FDP für die Quote ausspricht, oder es erstaunt wiederum auch nicht, sondern zeigt vielmehr, dass die FDP ihre liberalen Ideen gerne hintanstellt, wenn es darum geht, Interessen etablierter Wirtschaftsmächte zu bedienen.

Noch weniger nachvollziehbar wird die Strategie der Energiewendegegner, wenn sie behaupten, das Vorhaben führe zu einer Deindustrialisierung in Deutschland. Sicher, die Ökostromzulage, die auf den Strompreis gezahlt werden muss, kann vereinzelt bewirken, dass energieintensive Betriebe wegen zu hoher Energiekosten im internationalen Wettbewerb ins Hintertreffen geraten – hier sind Ausnahmeregelungen nötig, die die Politik der Industrie ja längst großzügig gewährt. Doch stehen vorübergehend höhere Stromkosten im Verhältnis zu den enormen Wachstumsimpulsen, die von der Energiewende ausgehen?

Seite 4: Treibt die Energiewende den Strompreis in die Höhe?

Das Großprojekt des Energieumbaus ist insbesondere für Deutschland ein Konjunkturmotor, der gerade deshalb so rund läuft, weil unsere Industrie hervorragend aufgestellt ist. Wir können unsere Anlagen selbst bauen, deshalb fördern wir mit nahezu jeder Investition in neue Technologien die eigene Wirtschaft. Der Bau von Wind- und Solaranlagen, von neuen Kraftwerken, der Ausbau der Netze, aber auch die Gebäudesanierung und die Elektromobilität stellen riesige neue Märkte dar. Während jeder Euro, den wir für Öl oder Gas ausgeben, in den Kassen ausländischer Konzerne landet, kommen die Gelder der Energiewende zu einem großen Teil der deutschen, vor allem mittelständischen und regionalen Wirtschaft zugute und schaffen auf diese Weise neue Arbeitsplätze. Tatsachen, die in krassem Widerspruch zu den Unkenrufen stehen, die Ökoenergie reiße uns finanziell in den Abgrund. Anders als Maßnahmen wie die „Abwrackprämie“ von 2009, die der schwächelnden Autoindustrie helfen sollte und deren Effekt nach drei Jahren bereits verpufft ist, steht am Ende dieses Konjunkturprogramms eine moderne, umweltfreundliche Energieversorgung. Je mehr Länder sich dem deutschen Vorbild anschließen, desto größer werden die Möglichkeiten, die hierfür entwickelte Technik zu exportieren. Doch anstatt solche Entwicklungen zu unterstützen, wettert man gegen die dafür notwendigen staatlichen Hilfen und diffamiert überlebensnotwendige Investitionen. Mit dramatischen Folgen, wie sich am Beispiel der Solarbranche zeigt. Eine Reihe von Pleiten hat hier in den vergangenen Monaten dazu geführt, dass die Rufe lauter wurden, man möge dieser Industrie die Förderung streichen. Dabei liegt auch hier ein großes Missverständnis vor, denn die Pleiten wurden durch einen unerwarteten Preisverfall verursacht, der gerade für den Erfolg der Fotovoltaik spricht. Ausgerechnet diese als unbezahlbar teure Luxusvariante des Ökostroms geltende Technologie wurde innerhalb der vergangenen zwei Jahre so billig, dass sie nun eine wirtschaftliche Alternative zu konventionellen Energieträgern darstellt.

Auch bei Erfolg dauert es ein paar Jahre, bis junge Industrien anfangen, Rücklagen zu bilden. Wird ihnen die Unterstützung zu früh entzogen, kann sie das bei der kleinsten auftretenden Schwierigkeit ihre Existenz kosten. Die staatliche Förderung einer neuen Industrie verfrüht aufzugeben, schadet unserer Volkswirtschaft. Auf diesem Kurs droht tatsächlich eine Deindustrialisierung. Genau für diesen Weg aber hat die Regierung sich in Bezug auf die Solarbranche entschieden.

[gallery:Die Kosten der Energiewende]

In diesem Zusammenhang wird gerne behauptet, Deutschland fördere mit jeder Kilowattstunde Solarstrom die Solarindustrie in China, die die benötigten Solarzellen billiger herstellen und die deutsche Konkurrenz damit aus dem Feld schlagen könne. Das ist jedoch falsch: Da bei der Herstellung der Fotovoltaikanlagen die Materialkosten vergleichsweise hoch, die in Deutschland überdurchschnittlich hohen Produktions- und Lohnnebenkosten aber vergleichsweise gering sind, können auch in China Solarzellen derzeit – angesichts des übersättigten Marktes – nur mithilfe staatlicher Subventionen hergestellt werden. Doch die Chinesen setzen auf diese Zukunftstechnologie und fördern sie. Auch in den USA wird in Solarenergie investiert, wie die Entscheidung von Warren Buffett für den 2,5-Milliarden-Dollar-Kauf einer Groß-Solarenergieanlage in Kalifornien deutlich macht. Nur in Deutschland verschlechtert man die Bedingungen für Solar­unternehmen, indem man ihnen die Unterstützung entzieht.

Treibt die Energiewende den Strompreis in die Höhe?

Die Diskussion um die Energiewende wird von einer Reihe fester Verknüpfungen begleitet, die manchmal verschleiern, worum es in der Debatte eigentlich geht. Da wäre die Verwechslung von Energiewende und Atomausstieg. Da wäre die unlösbare Verknüpfung der erneuerbaren Energien mit dem politischen Erbe der Grünen, mit ökoideologisch motivierten staatlichen Eingriffen in einen vermeintlich freien Energiemarkt. Und da wäre der Strompreis. Sieht man sich diesen genauer an, werden zwei Dinge deutlich: Der Energiemarkt war nie frei von staatlichen Eingriffen, und der Strompreis hängt nicht allein an den Kosten der Stromproduktion.

Viele glauben, die Ökostromproduktion verursache viel höhere Kosten als die konventionelle Stromproduktion. Und diese Mehrkosten seien es, die den Strompreis in die Höhe trieben. Die erneuerbaren Energien würden so zu einem Luxusgut, das sich der Mittelstand gerade noch leisten könne, das die Menschen mit niedrigem Einkommen jedoch in den finanziellen Ruin stürze. Hartz-IV-Empfänger, die ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können, werden von einer Talkshow zur nächsten gereicht, um diese These zu untermauern. Doch es ist nicht der grüne Strom, der dem Hartz-IV-Empfänger zu schaffen macht.

Vergleicht man die konventionelle mit der ökologischen Stromproduktion, so ergibt sich, sehr vereinfacht dargestellt, folgende Rechnung: Konventionelle Stromproduzenten, in erster Linie Atom- und Kohlekraftwerkebetreiber, haben die Phase der Investition hinter sich. Die teuren Meiler sind gebaut, und nun folgen Jahrzehnte, in denen sie Gewinne abwerfen. Die erneuerbaren Energien hingegen befinden sich noch in der Phase der technologischen Entwicklung und der Investitionen. Anlagen müssen gebaut, Möglichkeiten zur Speicherung des Stroms und zu seinem Transport geschaffen werden. Deshalb ist die Stromproduktion aus konventionellen Energiequellen zurzeit billiger als der grüne Strom. In ein, zwei Jahrzehnten wird sich diese Rechnung verändert haben. Die Kosten für die Ökostromproduktion werden sinken, je mehr Anlagen gebaut und je ausgereifter die Technologien sind. Vor allem aber wird sie dann ohne die zusätzlichen Kosten auskommen, die bei konventionellen Kraftwerkebetreibern für Brennstoffe anfallen. Kohle und Uran, Öl und Gas kosten, Sonne und Wind dagegen nicht.

Für die Gegenwart gilt: Durch die Ökostromzulage, mit der wir die notwendigen Investitionen in erneuerbare Energien finanzieren, bezahlen wir im Moment einen höheren Strompreis. Doch bereits heute belegen zahlreiche Berechnungen, dass diese Zulage bald nicht mehr steigen und in ein paar Jahren sogar wieder fallen wird. Bei den konventionellen Energien verhält es sich genau umgekehrt. Während sie derzeit noch vergleichsweise billig sind, fallen insbesondere bei der Atomkraft Entsorgungslasten an, die uns noch lange nach Stilllegung der Meiler teuer zu stehen kommen werden. Dasselbe gilt für die durch den CO2-Ausstoß der Kohlekraftwerke verursachten Umweltschäden. In der Zukunftsperspektive werden die grünen Energien billiger, die konventionellen teurer. Doch deren zusätzlich anfallende Kosten bildet der Strompreis nicht ab. Und daraus ist entstanden, was in den vergangenen Monaten in Presseberichten als „Strompreislüge“ bezeichnet wurde.

Seite 5: Führt die Energiewende ins Versorgungschaos?

Die Strompreislüge fußt auf dem Glauben, der Preis, den wir für Strom bezahlen, decke sich mit den Kosten der Stromproduktion. Diese Annahme wiederum setzt voraus, dass die konventionelle Stromproduktion ohne staatliche Hilfen auskommt. Dass dies nicht stimmt, ist lange bekannt. Bereits 1988 veröffentlichte die EU ein Gutachten, in dem bemängelt wird, die Strompreise seien zu niedrig, was für künftige Generationen zu stark steigenden Strompreisen führen müsse. Doch als die Energieversorger in den sechziger Jahren zum Umrüsten auf die Atomenergie motiviert werden sollten, erklärte der Staat sich bereit, anfallende Kosten zu bezahlen. Bis heute und in noch langer Zukunft wird die teure Endlagerung des Atommülls aus Steuern finanziert. Würde man diese Kosten auf den Strompreis umlegen, würde der konventionelle Strom im Vergleich zum Ökostrom keineswegs besser abschneiden.

Für den Verbraucher besteht der eigentliche Unterschied zwischen alter und neuer Energie also vor allem darin, dass der Staat sich aus der Förderung zurückzieht und diese dem Stromkunden aufbürdet. Die Diskussion über steigende Strompreise – und über die sozialen Folgen – verfehlt ihr Thema, solange sie um die Mär vom teuren Ökostrom kreist. Sie müsste vielmehr von der Frage handeln, wie weit der Staat sich in der Energiewirtschaft engagieren und so für bezahlbaren Strom sorgen sollte. Doch der Staat, seit Jahrzehnten klamm, hat an einer solchen Debatte das geringste Interesse. Die Politik verheimlicht tunlichst, dass der Staat sich nicht nur aus der Subvention von Strom zurückzieht – die alten Energien werden aus Steuern finanziert, die neuen über den Strompreis –, sondern an der steigenden Ökostromzulage auch noch kräftig verdient: Obwohl Güter, die zur Grundversorgung zählen, nur mit einer Mehrwertsteuer von 7 Prozent belastet sind, nimmt sich der Fiskus beim Strom die vollen 19 Prozent. Es gäbe viele Wege, die unteren Einkommen beim Strompreis zu entlasten, ein Erlass der Mehrwertsteuer wäre nur einer davon. Damit sind wir indessen nicht mehr bei der Frage, was uns der grüne Strom kostet, sondern wer ihn bezahlt. Eine Entlastung der Privatverbraucher scheint am wenigsten im Sinne der Regierung: Sie befreit lieber eine zunehmende Zahl von Industriebetrieben von der Ökostromzulage und verteuert damit den Strompreis für den Privatkunden.

Führt die Energiewende ins Versorgungschaos?

Mit dem Bedrohungsszenario eines Blackouts lässt sich die Angst vor Neuem wunderbar schüren. Auch hier könnte man von einer unseligen Verknüpfung sprechen, denn wieder werden Ursache und Wirkung in einen falschen Zusammenhang gebracht.

Im Zuge der Umstellung auf neue Energiequellen verändern sich die Anforderungen an die Stromnetze. Anders als die konventionellen Kraftwerke produzieren Wind- und Solaranlagen keinen gleichmäßigen Output an Strom, sondern liefern abhängig von den Wetterverhältnissen schwankende Mengen. Mit den sogenannten Smart Grids, den intelligenten Netzen, lassen sich solche Schwankungen bereits ausgleichen. Zudem ändern sich die Standorte der Stromproduktion – Atomkraftwerke im Süden weichen Windkraftanlagen im Norden, an die Stelle von Großkraftwerken treten zahlreiche kleine Versorger –, und so sind auch neue Transportwege notwendig. Insofern stimmt es: Wenn wir unsere Versorgung auf Ökostrom umstellen, müssen wir uns auch um die entsprechenden Netze kümmern, im anderen Fall drohen zwangsläufig Blackouts.

Nun ist selbst die viel gescholtene Politik nicht so blind, dass ihr das nicht klar wäre. Auf nationaler wie auf EU-Ebene wird seit langem an einer völlig neuen, EU-weiten Netzinfrastruktur gearbeitet. Nur wurde dabei bisher die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn bis zum Jahr 2009 teilten die vier großen Energieversorger RWE, Eon, Vattenfall und ENBW das deutsche Stromnetz unter sich auf. Als Besitzer allein zuständig für deren Instandhaltung, beschränkten sie über Jahre hinweg die dafür notwendigen Investitionen auf ein Minimum und strichen so höhere Gewinne ein. Mit dem Ergebnis, dass das Durchschnittsalter der Höchstspannungsmasten (380 kV) Anfang des Jahres 2008 bei 32 Jahren und das der Hochspannungsmasten (220 kV) bei 50 Jahren lag. Das Durchschnittsalter!

Die letzten größeren Stromausfälle, die Deutschland erlebt hat, waren denn auch ausschließlich auf diese Überalterung der Stromleitungen zurückzuführen. Als nun die Energiewende in Gang kam, saßen die Energiekonzerne als Besitzer der Netze am Schalthebel der Macht. Es war klar, dass jede Verzögerung beim Netzausbau dem Ökostromausbau schaden würde. Inzwischen wurden die Netze auf Druck der EU in eigene Gesellschaften ausgegliedert, drei von ihnen in Tochtergesellschaften ihrer vorherigen Eigentümer. Und was macht die Politik? Anstatt die Netzbetreiber für die entstehenden Schäden in Haftung zu nehmen und dabei deutlich zu machen, wo die Verantwortlichen für drohende Blackouts zu suchen sind, einigt man sich in der Bundesregierung darauf, dass die Verbraucher zahlen: über höhere Strompreise.

Beim Umbau und der Erneuerung der Netzinfrastruktur wurden wichtige Entscheidungen viel zu lange verschlafen oder bewusst blockiert. Das liegt nicht an der Energiewende, sondern an einem Wirrwarr aus Kompetenzen und Zuständigkeiten. Beides gilt es in Zukunft aufzulösen. Wie würde wohl Deutschlands Straßennetz aussehen, läge die Aufsicht darüber nicht zentral in einem Bundesministerium? Und wie käme wohl der Netzausbau voran, wenn die Ökostromproduzenten auch über die Netze verfügten?

Seite 6: Energiewende und Energiepolitik

Energiewende und Energiepolitik

Der Umbau unserer Energieversorgung stellt einen gewaltigen, hochkomplexen und langwierigen Prozess dar, einen Wandel auf allen Ebenen. Die Erzeugung und vor allem der technisch aufwendige Transport von Strom müssen vom privaten Selbstversorger, der sich Solarzellen aufs Dach baut, bis hin zu der komplizierten Logistik einer europaweiten Verknüpfung des Strommarkts koordiniert werden, woraus am Ende ein neues Netz entsteht, in dem nahezu jeder von jedem abhängig ist. Bereits heute kann eine kaputte Leitung in Niedersachsen Stromausfälle in Österreich und bis nach Spanien verursachen. Wir brauchen ein hervorragendes Management dieses Vorhabens, das entschlossen, mit viel Übersicht und noch mehr Weitsicht handelt, um den Prozess des Energieumbaus zu steuern. Die Energiewende ist ein schwieriges Vorhaben. Aber die Antwort auf die Grundfrage: Ökostrom – ja oder nein? ist im Grunde unglaublich einfach. Drei Fakten reichen aus, um den Kern der Zusammenhänge zu verstehen.

Erstens: Fossile Ressourcen wie Öl, Gas und Kohle sind endlich. Sie werden knapper, und irgendwann wird der weltweit steigende Energiebedarf durch sie nicht mehr zu decken sein. Große Länder wie Indien und China, in denen erst allmählich eine vollständige Industrialisierung stattfindet, werden ihren Energieverbrauch in den nächsten Jahrzehnten noch gewaltig steigern.

Zweitens: Das Verbrennen fossiler Ressourcen verursacht Treibhausgase, die das Klima gefährden. Trotz alarmierender Warnungen steigen jedoch auch die weltweit produzierten Treibhausgase immer noch an.

Drittens: Erneuerbare Energien versprechen akzeptable Lösungen für beide Probleme. Sie sind unendlich – Sonne und Wind gibt es immer –, und sie verursachen weitestgehend keine Treibhausgase.

„Energiewende“ und „Energiepolitik“ sind nicht dasselbe. Das eine ist die grundsätzliche Entscheidung unserer Politik, die Stromproduktion der Zukunft auf erneuerbare Energien umzustellen. Das andere ist die Umsetzung und Gestaltung dieses Prozesses. Die Energiepolitik kann man kritisieren, die Energiewende müssen wir schaffen.

Claudia Kemfert: Kampf um Strom (Murmann Verlag)Claudia Kemferts Beitrag für Cicero ist die Essenz ihres Buches „Kampf um Strom. Mythen, Macht und Monopole“, das am 29. Januar im Murmann-Verlag erscheint

 

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