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Mögliche Koalition - Chancen für Schwarz-Grün steigen

Die Große Koalition unter Angela Merkel ist wahrscheinlich. Doch die Chancen für eine schwarz-grüne Koalition werden steigen. Auch wenn CSU-Chef Horst Seehofer von Gesprächen mit den Grünen nichts wissen will

Autoreninfo

Helmut Däuble, Jahrgang 1961, lehrt als Akademischer Oberrat Politikwissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg

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Die Wettbüros sind geöffnet. Das Champions-League-Endspiel steht vor der Tür und der Titelverteidiger 1.FC Große Koalition liegt laut Quoten der Wettbücher weit vor dem Außenseiter Eintracht Schwarz-Grün. In diesem Fall könnte es jedoch sein, dass der Favorit das Nachsehen hat, dass der Underdog ganz knapp das Rennen macht, vielleicht erst in der Nachspielzeit.

Zurück zur politischen Wirklichkeit: Gibt es wirklich eine realistische Chance, dass sich die Union tatsächlich für Schwarz-Grün als Koalitionspartner entscheidet? Schauen wir uns die Sache näher an. Die Union kann vor Kraft kaum gehen. Ein äußerst strahlender Sieger, eine Kanzlerin, die wie selten glücklich scheint. Wer hätte für möglich gehalten, dass CDU/CSU einer Alleinregierung so nahe kommen würde? Dazu der historische Absturz der FDP und deren Verlust der parlamentarischen Präsenz auf Bundesebene wohl für Jahre.

Aber für die Union heißt es jetzt nicht lange an die Vergangenheit oder die ferne Zukunft zu denken, sondern nur an die unmittelbare Zukunft. Und da gilt: Aus den Augen aus dem Sinn. Mit der FDP sind neben Schwarz-Gelb auch noch Jamaika und Ampel im vorläufigen politischen Nirwana verschwunden. Und Rot-Rot-Grün wird nicht nur von der SPD sondern auch von den deutlich geschrumpften Grünen verteufelt. Bleibt faktisch also nur Schwarz-Grün oder die Große Koalition.

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Von Seiten der SPD steht der Großen Koalition nichts im Wege


Und kommt die letztere? Die SPD schließt keineswegs aus, dass sie in diese Notlösung einsteigen würde. Steinbrück ginge von Bord, Gabriel würde als Vize-Kanzler eine sehr wuchtige Figur neben Merkel machen. Dies hätte für die SPD aber nicht zu unterschätzende Pferdefüße. Sie hat sich trotz einer Ministerparität von 2005 bis 2009 als der bekannte Kellner erwiesen, der der Unionsköchin den Vortritt ließ. Eine kränkende Erfahrung, die die stolzen SPD-Anhänger ihrer Mutterpartei mit einer beeindruckenden Wahlniederlage 2009 heimzahlten. Diese Lektion steckt noch tief in den sozialdemokratischen Knochen. Zudem wären sie diesmal als deutlich kleinerer Juniorpartner gerade mal noch ein Kellnerlein.

Wollen die Genossen das wirklich? Schaut man sich die Historie an, dann haben Sozialdemokraten immer die Kröten geschluckt, wenn sie vermeintlich staatstragende Gründe angeben konnten, dabei zu sein. Zu dieser Burgfrieden-Partei gehört die Kernüberzeugung, dass Demütigungen für einen höheren Zweck hinzunehmen sind. Einer Großen Koalition dürfte also von Seiten der SPD nichts im Wege stehen.

Merkel hält die Karten in der Hand


Aber die SPD könnte da die Rechnung ohne die Wirtin gemacht haben. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht stehend wird Angela Merkel jetzt ihr ganze Erfahrung als ausgebuffter Voll-Profi ausspielen. Sie wird es sein, die die Karten in der Hand hält und das Spiel bestimmt. Sie weiß ganz genau, dass an ihrem Tisch das only game in town gespielt wird. Und ist aus Sicht der Kanzlerin die Schwarz-Rot tatsächlich die bessere Alternative?

Auf den ersten Blick scheint die Sache klar zu sein: Die Grünen sind in inhaltlicher wie personeller Sicht die weniger geeigneten Koalitionspartner. Wie soll man beim Betreuungsgeld je zusammen kommen, wie bei den Steuererhöhungen für Vermögende, die auch aus einem breiten Mittelstand bestehen, der ankündigt Arbeitsplätze verlagern oder abbauen zu müssen? Wie soll das je gehen? Wie soll ein Trittin mit Merkel am Koalitionstisch sitzen können?

Aber sind da nicht auch inhaltliche Überschneidungen? Hat nicht Merkel die Energiewende eingeleitet, die sie jetzt mit den Grünen gar besser fortsetzen kann? Hat sie der Union nicht ein urbaneres und liberaleres Antlitz gegeben, das den Gesichtszügen der Grünen fast schon frappierend ähnelt. Der Abbau des homophoben und konservativen Miefs, die Debatte über die Mindestlöhne, eine teilweise relativ moderne Frauen- und Familienpolitik? Sind das nicht mögliche inhaltliche Schnittmengen? Und kann man sich nicht vorstellen, dass Trittin sich zurückzieht und Göring-Eckart samt Özdemir als Minister im neuen Kabinett vertreten sein werden?

Was sagen die Grünen aber selbst dazu? Natürlich wurde im Wahlkampf wieder und wieder versichert, dass die inhaltlichen Differenzen doch viel zu groß wären, als dass man eine Liaison mit den Konservativen sich auch nur vorstellen könnte. Natürlich wollte etwa Claudia Roth keine gemeinsame Politik mit den „neochauvinistischen und rechtspopulistischen CSU-Brüdern“ machen, aber die Welt des Wahlkämpfers ist eine andere als die Welt des um Mitregierung buhlenden Werbers. Dass sich die Grünen den Sirenenklängen und den Verlockungen nationaler Regierungsverantwortung verwehren, darauf sollte man keinen Penny verwetten.

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Merkel hat gute Gründe für Schwarz-Grün


Diese Situation ist nachgerade ideal für Merkel. Natürlich wird sie mit beiden verhandeln. Und selbstverständlich wird sie immer wieder betonen, dass es nur um die maximale gemeinsame politische Schnittmenge und die Stabilität der Regierung gehen wird. Doch geht es ihr nicht um wesentlich mehr? Würde sie Kanzlerin einer ersten schwarz-grünen Regierung sein wollen? Ließen sich die Grünen genauso leicht kujonieren wie die FDP? Will sie Trittin an ihrer Seite? Will sie diese habituellen Differenzen politisch aushalten?

Merkel hat in der Tat sehr gute Gründe, von Schwarz-Grün nicht vorschnell zu lassen, ja diese Koalition sogar ganz realistisch ins Auge zu fassen. Drei Gründe lassen sich dafür finden: Erstens weiß sie genau, dass eine Große Koalition eine demokratietheoretische Notlösung ist für den Fall, dass eine stabile Zweier-Koalition nicht zustande kommen kann. Und dieses ungeschriebene Gesetz hat seinen guten Grund. Dass die zwei Regierungselefanten sich verbünden mutet den oppositionellen Zwerghirschen nämlich sehr viel zu. Das macht man nicht ohne Not. Und diese Not ist gerade nicht zu erkennen

Zweitens hat Merkel das „Problem“, dass Seehofers CSU sich gerade erfolgsbedingt aufbläst, als wären sie nicht die kleine Unionsschwester sondern der große besserwisserische Bruder. Könnte Merkel diese Halbstarken nicht perfekt ausbalancieren mit - quantitativ gesprochen - etwa gleich großen Grünen im koalitionären Schlepptau? Angela Merkel ist eine Spezialistin im Herstellen solcher politischen Mobiles. Sie ist dabei ganz Technikerin der Macht.

Der dritte Grund ist schließlich profan: Die Grünen sind die Wahlverlierer. Ihr Auftreten in Koalitionsvereinbarungen würde sich - was Ministerzahl und Kompromisse angeht - viel handzahmer gestalten als bei den geringfügig erstarkten Genossen. Kurzum: Wäre eine Koalition mit den - siehe Baden-Württemberg - längst bürgerlich gewordenen Grünen nicht solide genug und die Zeit dafür ohnehin reif?

Ob Merkel sich schon entschieden hat, lässt sich schwer ausmachen. Sie hält, ja ist die Wild Card selbst. Doch sieht es ganz so aus, als würden sich die Wettquoten für die Eintracht Schwarz-Grün in den nächsten Wochen deutlich verbessern.

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